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Dienstag, 12. August 2014

hiervon können wir viel lernen.....Näheres zum Yukos Schiedsgerichtsurteil Spektakuläre Schadensumme – mustergültiger Prozess

Näheres zum Yukos Schiedsgerichtsurteil

Spektakuläre Schadensumme – mustergültiger Prozess

Tim Osborne als Vertreter der Yukos-Mehrheitsaktionäre (rechts) und seine Anwälte nehmen zum Urteil Stellung.
Tim Osborne als Vertreter der Yukos-Mehrheitsaktionäre (rechts) und seine Anwälte nehmen zum Urteil Stellung. (Bild: EPA)
Die Verurteilung des russischen Staates zur Zahlung von 50 Milliarden Dollar an Aktionäre des zerschlagenen Yukos-Konzerns hat für Aufsehen gesorgt. Das Schiedsgerichtsverfahren enthält viele interessante Aspekte, wirkt aber solide und nicht politisiert.
Beim kürzlich bekanntgewordenen Schiedsgerichtsurteil im Fall «Yukos» haben die 50 Mrd. $, welche den drei Klägern zulasten Russlands zugesprochen wurden, und die sich für Russland daraus ergebenden Konsequenzen weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Das aussergewöhnliche Verfahren ist aber auch darüber hinaus interessant. Zur Beurteilung stützt sich der Autor auf das frei zugängliche Schiedsgerichtsurteil auf der Website des Permanent Court of Arbitration (PCA) in Den Haag .

Russen setzen auf Amerikaner

Das Schiedsverfahren wurde im Februar 2005 durch drei Kläger (Hulley Enterprises Ltd., Zypern, Yukos Universal Limited, Isle of Man, und Veteran Petroleum Ltd., Zypern) gegen Russland eingeleitet. Die Kläger sind zusammen Mehrheitsaktionäre der OAO Yukos Oil Company (Yukos). In einem solchen Schiedsgerichtsverfahren kann jede Partei einen Schiedsrichter benennen, der sich dann gemeinsam mit den anderen auf einen dritten als Vorsitzenden einigen sollte (vgl. Zusatz). In angelsächsischer Tradition kommt dabei der Person des Richters eine wichtige Bedeutung zu. Die Kläger wählten 2005 Daniel Price aus Washington; der russische Staat ernannte Judge Stephen M. Schwebel, ebenfalls aus Washington (!), als ihren Parteischiedsrichter. Da sich die beiden nicht auf die Person des Präsidenten einigen konnten, bestellte der PCA den renommierten ehemaligen Präsidenten des London Court of International Arbitration, den Kanadier L. Yves Fortier, in diese Funktion.



Im ganzen Verfahren wurden die Kläger durch die amerikanische Anwaltskanzlei Shearman & Sterling (über ihre Niederlassung in Paris) vertreten. Aufseiten Russlands war – man staunt ein zweites Mal – ebenfalls eine amerikanische Kanzlei mit der Prozessführung betraut, nämlich Cleary Gottlieb Steen & Hamilton, New York, später unterstützt durch eine weitere amerikanische Kanzlei, Baker Botts. Die Parteien einigten sich darauf, das Verfahren durch den PCA administrieren zu lassen, und bestimmten Den Haag als Schiedsort. Wohl deshalb ist in der Presse das Yukos-Urteil oft «dem» permanenten Schiedsgericht in Den Haag zugeschrieben worden. Das stimmt so nicht. Dieser Entscheid ist von einem Ad-hoc-Schiedsgericht gefällt worden, welches den PCA nur zur administrativen Unterstützung beigezogen hat.
Mit der materiellen Entscheidfindung hat sich der PCA zu keinem Zeitpunkt befasst. Als 2007 Daniel Price – aus Gründen, die nicht offengelegt wurden – als Schiedsrichter zurücktrat, nominierten die Kläger neu die Genfer Professorin Gabrielle Kaufmann-Kohler. Diese erklärte sich für unabhängig und war bereit, das Mandat zu übernehmen, musste aber gewisse Verbindungen ihrer Kanzlei mit der Anwaltskanzlei der Kläger offenlegen. Der PCA gab dem darauf gestützten Ablehnungsbegehren Russlands statt. Die Kläger ernannten in der Folge den auf Schiedsgerichtsverfahren spezialisierten Genfer Anwalt Charles Poncet zu ihrem Schiedsrichter.

Schutz durch Energiecharta

Die Sitzwahl für Den Haag bestimmte die sogenannte Lex Arbitri, The Netherlands Arbitration Act von 1986, welche die zwingenden Rahmenbedingungen für Schiedsgerichte mit Sitz in den Niederlanden festlegt. Dies ist für die von Russland in Aussicht genommene Anfechtung des Schiedsspruches relevant, welche damit vor niederländischen Gerichten zu erfolgen hat. Für die näheren Verfahrensbestimmungen haben sich die Parteien auf die Anwendung der Uncitral-Regeln geeinigt.
Materiell basierte die Klage im Wesentlichen auf den Bestimmungen der Energiecharta, einem internationalen Vertrag, der die Förderung der langfristigen Zusammenarbeit im Energiebereich bezweckt und in Art. 13 Bestimmungen zum Schutz von Investoren vor Verstaatlichung und Enteignung enthält. Dem Abkommen sind bis heute 48 Staaten beigetreten, darunter auch die Schweiz. Russland hat die Charta unterschrieben, aber nie ratifiziert. Im August 2009 wurde sogar offiziell bekanntgegeben, auf eine Ratifizierung zu verzichten. Daraus leitete Russland die Unzuständigkeit des Schiedsgerichtes zur Behandlung der unter Bestimmungen der Energiecharta eingeklagten Ansprüche her. Diese Einrede wurde aber durch das Schiedsgericht in einem über 200-seitigen Zwischenentscheid Ende November 2009 verworfen. Russland hatte bis zum Yukos-Verfahren nie zum Ausdruck gebracht, sich nicht an die Bestimmungen der Charta gebunden zu fühlen. Das Schiedsgericht behaftete Russland deshalb gemäss dem Vertrauensprinzip darauf, an die Charta gebunden zu sein.

Teures Mammutverfahren

Als das Schiedsgericht am 18. Juli 2014 sein Urteil eröffnete, wies es zu Recht auf die Eigenheiten dieser «mamoth arbitration» hin: Eingeklagt waren 114 Mrd. $, das Schiedsgericht hielt fünf Verhandlungen, allein um den Verfahrensablauf zu koordinieren. Es erliess 18 Verfügungen, die Verhandlung über die bestrittene Zuständigkeit des Schiedsgerichtes dauerte 10 Tage, die Hauptverhandlung gar 21 Tage. Die schriftlichen Eingaben der Parteien umfassten 4000 Seiten mit 8000 Beilagen, und das Protokoll der Verhandlungen beanspruchte 2700 Seiten. Das sind Grössenordnungen, die ihresgleichen suchen. Das Urteil umfasst denn auch 579 Seiten, 2465 Fussnoten und 16 Beilagen, die sich mit der vom Schiedsgericht vorgenommenen eigenen Schadensberechnung befassen.
Nach einlässlicher Auseinandersetzung mit den vorgelegten Beweisen und Zeugenaussagen ist das Schiedsgericht zum Schluss gekommen, dass das Vorgehen Russlands gegen die von Yukos vorgenommene Steueroptimierung primär darauf ausgerichtet war, sich der wesentlichen Aktiven von Yukos günstig habhaft zu machen, und dass dieses Vorgehen Art. 13 der Energiecharta verletzt. Damit war die Klage im Grundsatz gutzuheissen. Das Schiedsgericht berücksichtigte ein auf der aggressiven Steueroptimierung basierendes Mitverschulden der Kläger und quantifizierte dieses mit 25%. Sehr ausführlich setzte es sich mit den verschiedenen Schadensberechnungen der Parteien auseinander und kam mit eigenen Kalkulationen auf einen Schaden für die Kläger von 66,7 Mrd. $. Davon zog das Schiedsgericht die 25% für das Mitverschulden der Kläger ab, was zur Zusprechung von 50 020 867 798 $ an die Kläger führte.
Zum Schluss hatte sich das Schiedsgericht noch mit den Verfahrenskosten auseinanderzusetzen. Sie waren erheblich. Die Kläger beanspruchten mit einer auch im Urteil enthaltenen Abrechnung eine Entschädigung für Anwalts- und Expertenkosten in der Höhe von 80 Mio. $, während dem Russland eine offenbar nicht näher spezifizierte Entschädigung von «nur» 31,5 Mio. $ verlangte. Mit dem Obsiegen im Hauptpunkt sprach das Schiedsgericht den Klägern auch das Recht auf Ersatz ihrer Prozesskosten zu, reduzierte diese aber auf 60 Mio. $, weil zumindest ein Teil der Forderungen «plainly excessive» sei. Für sich selber setzte das Schiedsgericht die Kosten auf 8,44 Mio. € fest, was dem von beiden Parteien je zu gleichen Teilen geleisteten Vorschuss entsprach.

Schwer anfechtbares Urteil

Das Urteil scheint sorgfältig und umfassend begründet, es dürfte Russland schwerfallen, dieses Urteil vor niederländischen Gerichten noch zu wenden. Dabei ist zu beachten, dass Schiedsgerichtsurteile vor staatlichen Gerichten nicht noch einmal umfassend überprüft werden können. Die Kompetenz der staatlichen Gerichte ist auf die Überprüfung formeller Mängel beschränkt, wie etwa mangelnde Zuständigkeit oder Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Eine materielle Überprüfung des Urteils kann nur bei einem Verstoss gegen den sogenannten «ordre public» erfolgen, das heisst nur, wenn das Schiedsgerichtsurteil gegen fundamentalste internationale Rechtsgrundsätze verstösst.
Die Entschädigung für die klagenden Anwälte und Experten wirkt sehr hoch, wobei allerdings die lange Verfahrensdauer von neun Jahren zu berücksichtigen ist. Zudem waren auf beiden Seiten je rund 25 Anwälte tätig. Dies dürfte auch erklären, weshalb Russland sich zur Vertretung seiner Interessen nicht einer russischen Kanzlei bedienen konnte – es gibt schlicht nicht genug schiedsgerichtliche Kompetenz in Russland, welche die Führung eines derartigen Mammutverfahrens durch «eigene» Anwälte erlauben würde. Schwerer nachvollziehbar bleibt, weshalb Russland sich für den amerikanischen Schiedsrichter entschieden hat, der zweifellos weltweit höchst anerkannt ist, aber als eher investorenfreundlich gilt. Hier hätte Russland wohl noch andere, ihm «näherstehende» Optionen gehabt. Immerhin hat dies nun dazu geführt, dass der Entscheid des Schiedsgerichtes in allen Punkten einstimmig gefällt worden ist, was auch dessen Vollstreckung erleichtern dürfte.

Üblicher Investitionsschutz

Entledigt man den Fall seiner spektakulären Hülle, so bleibt im Kern ein nicht ungewöhnlicher Sachverhalt: Drei Investoren sind durch diskriminierende Steuermassnahmen faktisch enteignet worden, weshalb der verursachende Staat für den von ihm angerichteten Schaden einzustehen hat. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, musste das Schiedsgericht keine neuen Rechtswege beschreiten. Das Yukos-Urteil ist eines von vielen, in denen Investoren, die sich willkürlichen konfiskatorischen Massnahmen durch den Staat ausgesetzt sahen, durch ein Schiedsgerichtsurteil wirksam geschützt wurden. Dies kann unter dem ECV geschehen. Weit häufiger wird aber eines der über 3000 bilateralen Investitionsschutzabkommen angerufen, die in der Regel durch das International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) in Washington administriert werden, einen verlängerten Arm der Weltbank.
Leider wird bei Investitionen im Ausland oft der Frage zu wenig Beachtung geschenkt, wie diese strukturiert werden sollten, damit sie staatsvertraglich geschützt sind. Bei richtiger Berücksichtigung der vorhandenen Abkommen verfügt ein Investor in einem Drittland meist über einen angemessenen Schutz.
Komplett zurückzuweisen ist die Kritik aus Russland, wonach das Yukos-Urteil nur eine Retorsionsmassnahme des Westens für die politische Entwicklung der vergangenen Monate sei. Dagegen spricht nicht nur die Integrität der drei Schiedsrichter, sondern auch der zeitliche Ablauf. Das Schiedsgericht kann nicht kurzfristig einen 597-seitigen Schiedsspruch produzieren. Dieser ist das Resultat langer Beratungen, welche hier über ein Jahr beansprucht haben.
Natürlich erstaunt auf den ersten Blick die lange Verfahrensdauer von über neun Jahren. Verfahren im Bereich der Investitions-Schiedsgerichtsbarkeit dauern aber erfahrungsgemäss länger als Verfahren vor Wirtschafts-Schiedsgerichten. Staaten als Parteien haben komplexere Entscheidungswege. Sie sind zudem immer in der Rolle des Beklagten und damit selten an einer speditiven Verfahrenserledigung interessiert. Deshalb dauern Verfahren im Bereich der Investitions-Schiedsgerichtsbarkeit meistens vier bis sechs Jahre. Dass es im vorliegenden Fall noch länger dauerte, ist dessen Komplexität geschuldet.

Verletzliche Rosneft?

Der Prozessgeschichte im Urteil ist nichts zu entnehmen, was auf eine dilatorische Verfahrensführung seitens Russlands schliessen liesse. Russland hat während der ganzen Verfahrensdauer in allen Belangen aktiv partizipiert, und das Schiedsgericht tat soweit ersichtlich gut daran, Russland jeweils das gebotene rechtliche Gehör zu gewähren. Damit wurde die Vollstreckbarkeit des Schiedsgerichtsurteils gefestigt.

Beliebte Schiedsgerichte

H. Stutzer ⋅ Ein Schiedsgericht beurteilt anstelle eines staatlichen Gerichtes Streitigkeiten. Es tut dies in aller Regel endgültig, gestützt auf eine vorgängige Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien, sei sie privatwirtschaftlicher oder staatsvertraglicher Natur. Ein Schiedsgericht urteilt entweder durch einen Einzelrichter oder durch ein Dreier-Schiedsgericht, bei dem Kläger und Beklagter je ihren Parteischiedsrichter ernennen und diese ihren Obmann. Obwohl von einer Partei ernannt, hat ein Parteischiedsrichter absolut unabhängig zu sein.
Schiedsgerichte zur Streiterledigung waren schon im römischen Recht bekannt und erfreuen sich im Zeichen der Globalisierung steigender Beliebtheit. Das rührt daher, dass oft keine Partei sich einem ihr fremden Rechtssystem unterwerfen will. Zudem sind heute die Mehrzahl der internationalen Abmachungen in englischer Sprache abgefasst, aber nur die wenigsten staatlichen Gerichte in nichtenglischsprechenden Ländern lassen Eingaben und Beilagen unübersetzt zu. Ferner sind Schiedsverfahren anders als Verfahren vor staatlichen Gerichten nicht an zwingende Verfahrensabläufe gebunden. Die Parteien können zusammen mit dem Schiedsgericht den Verfahrensablauf ihren Bedürfnissen entsprechend gestalten und auch das Schiedsgericht entsprechend den fachlichen Bedürfnissen ihres Falles zusammensetzen(NZZ vom 10. 7. 14) .
Zuzustimmen ist aber den Kommentatoren, welche auf die Schwierigkeiten der Vollstreckung dieses Urteils hinweisen. Vollstreckungen von Schiedsgerichtsurteilen gegen Staaten sind ein dornenvolles Kapitel. Davon können etwa die über 30 verschiedenen Parteien ein Lied singen, die aus verschiedenen Investitionsschutzabkommen erfolgreich gegen Argentinien geklagt haben. Immerhin enthält das Urteil im vorliegenden Fall bemerkenswerte Folgerungen über die Stellung von Rosneft, heute einer der weltgrössten Energiekonzerne, der Ende 2004 die wesentlichen Aktiven von Yukos über eine zweifelhafte Auktion weit unter deren Wert erworben hat.
Grundsätzlich gelten alle Aktiven, welche ein Staat im Ausland hält und die direkt mit seiner Staatstätigkeit verbunden sind, als vor Massnahmen Dritter zur Vollstreckung von Urteilen geschützt («iure imperii»), während bei Aktiven, mit denen ein Staat in privatwirtschaftlicher Form am Wirtschaftsleben teilnimmt («iure gestionis»), dieser Immunitätsschutz entfällt. Rosneft und deren Tochtergesellschaften erscheinen deshalb als ziemlich verwundbar. Jedenfalls haben die drei Kläger einen ganz wichtigen Teilsieg errungen, und Russland operiert fortan aus der Defensive.
Hansjörg Stutzer ist Schweizer Rechtsanwalt und hat sich auf internationale Schiedsgerichtsverfahren spezialisiert. In zahlreichen Fällen wirkte er als Schiedsrichter. Stutzer ist Partner bei Thouvenin Rechtsanwälte, Zürich.

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