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Sonntag, 3. April 2016

Südkaukasus Gewalteskalation zwischen Armenien und Aserbaidschan Der Konflikt zwischen den Kaukasusrepubliken Armenien und Aserbaidschan flammt wieder auf. Bei den schwersten Gefechten seit vielen Jahren gab es etliche Tote.

SüdkaukasusGewalteskalation zwischen Armenien und Aserbaidschan

Der Konflikt zwischen den Kaukasusrepubliken Armenien und Aserbaidschan flammt wieder auf. Bei den schwersten Gefechten seit vielen Jahren gab es etliche Tote.
 von MOSKAU
© APEin zwölf Jahre alter Junge wird in Nagornyj Karabach in einer Klinik behandelt.
Im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan kommt es seit der Nacht auf Samstag zur schwersten Eskalation der Gewalt seit Jahren. Bei Gefechten um das Gebiet Nagornyj Karabach werden laut Agenturberichten Panzer, schwere Artillerie und Kampfhubschrauber eingesetzt. Es gibt mehrere Tote; die genaue Opferzahl bleibt aber unklar.
Die Kämpfe begannen nur Stunden nach Gesprächen der Präsidenten beider Länder mit dem amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden in Washington. Biden hatte Sersch Sarkisjan aus Armenien und Ilham Alijew aus Aserbaidschan am Freitag in Einzelgesprächen dazu aufgerufen, den Konflikt friedlich beizulegen. Er äußerte sich besorgt über die andauernden Zusammenstöße im Streit um Nagornyj Karabach. Dieser „gebirgige schwarze Garten“ im Südosten des Kleinen Kaukasus und einige umliegende Gebiete werden seit einem Krieg, der mit Zehntausenden Toten und Hunderttausenden Vertriebenen von 1988 bis 1994 währte, von Armenien kontrolliert, gehören aber weiterhin zu Aserbaidschan. Internationale Vermittlungsbemühungen in der Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), deren Vorsitz sich Russland, die Vereinigten Staaten und Frankreich teilen, haben bislang keine handfesten Ergebnisse gebracht.
Auch mit Blick auf die jüngsten Gefechte weisen Armenien und Aserbaidschan einander die Schuld zu. Die Regierung in Eriwan warf den aserbaidschanischen Streitkräften vor, an der gesamten Front eine große Offensive begonnen zu haben; die eigenen Streitkräfte seien unter heftiges Feuer genommen worden und gezwungen gewesen zu antworten. Das aserbaidschanischeVerteidigungsministerium teilte dagegen mit, man habe lediglich auf massive Angriffe der armenischen Seite reagiert, auch Wohngebiete seien beschossen worden.

Russlands Doppelrolle

Unabhängige Berichte von der Front gibt es kaum; das Nachrichtenprotal „Kawkaskij Usel“ berichtete von einer „Reihe örtlicher Zusammenstöße“ mit unbekannten Folgen. Aserbaidschan wies zunächst zurück, dass armenische Kräfte einen Militärhubschrauber abgeschossen hätten. Später bestätigte das Verteidigungsministerium dann doch den Abschuss eines Kampfhubschraubers, eines russischen Modells vom Typ Mi-24. Zudem teilte das Ministerium mit, zwölf aserbaidschanische Soldaten seien bei Kämpfen in Nagornyj Karabach getötet worden. Ein Panzer sei durch eine Mine zerstört worden. Man habe „mehr als hundert“ armenische Soldaten getötet oder verwundet, zudem sechs armenische Panzer und 15 Artilleriestellungen vernichtet sowie einige „strategisch bedeutende Höhen“ eingenommen und einige Siedlungen „befreit“. Die „erste Verteidigungslinie des Feindes“ sei „durchbrochen“.
Die armenische Regierung wies diese Angaben prompt als „Desinformation“ zurück. Das Verteidigungsministerium machte zunächst keine Angaben zu eigenen Verlusten; es hieß lediglich, es gebe „Verluste auf beiden Seiten“. Aus Stepanakert, der „Hauptstadt“ der nicht anerkannten „Republik Nagornyj Karabach“, hieß es, ein zwölf Jahre alter Junge sei getötet und zwei weitere Kinder seien verletzt worden; auch aus Aserbaidschan hieß es, ein Zivilist sei ums Leben gekommen.
Ein Sprecher des russischen Präsidenten sagte, Wladimir Putin sei „tief besorgt über die Berichte über die Wiederaufnahme militärischer Handlungen an der Kontaktlinie in Nagornyj Karabach“. Putin rufe alle Seiten zu einer sofortigen Waffenruhe und zur Zurückhaltung auf. Das russische Außenministerium teilte mit, Minister Sergej Lawrow habe seine Kollegen in Armenien und Aserbaidschan telefonisch zu einem Ende der Gewalt aufgerufen.
Russland tritt einerseits als Schutzmacht Armeniens auf, das in der Region isoliert ist; man ist einander in der Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit verbunden, welche die territoriale Integrität und Souveränität der Mitgliedstaaten garantierten soll, was im Angriffsfall eine Beistandspflicht begründen würde. In Gjumri im Norden Armeniens ist ein großer russischer Armeestützpunkt. Andererseits verkauft Russland regelmäßig Waffen wie Panzer und Raketensysteme an Aserbaidschan.

Reaktion mit Härte

Dort hat sich das Alijew-Regime in jüngster Zeit hoch nervös gezeigt. Schon seit dem Sturz von Viktor Janukowitsch in Kiew hat es seine wichtigsten Kritiker - von denen sich etliche für eine Aussöhnung mit dem Erzfeind Armenien einsetzten – in Schauprozessen verurteilt. Zuletzt gab es Berichte über Demonstrationen in verschiedenen Teilen des Landes, die sich gegen den wirtschaftlichen Niedergang richteten, der mit dem Verfall des Ölpreises zusammenhängt. Rund drei Viertel der staatlichen Einnahmen des Landes stammen aus dem Verkauf des Rohstoffs. Auch die Preise für Lebensmittel wie Mehl sind deutlich gestiegen.
Das Regime reagierte auf den Unmut mit Härte, mit dem Einsatz von Tränengas, Wasserwerfern und Verhaftungen. Es beschuldigte zudem die Vereinigten Staaten, eine Revolution in Aserbaidschan anzetteln zu wollen – ein Standardvorwurf im postsowjetischen Raum – und hat Vertretungen amerikanischer Organisationen in der Hauptstadt Baku geschlossen; so arbeitet der aserbaidschanische Dienst von Radio Free Europe/Radio Liberty mittlerweile aus Prag.
Der Kaukasusfachmann Thomas de Waal hob im Januar hervor, dass auch der neue Konflikt zwischen Russland und der Türkei, Aserbaidschans engsten Partnern, sowie die Aufhebung der Sanktionen gegen Iran und die Rückkehr des Landes auf die internationale Bühne das Regime in Baku in eine schwierige Lage brächten. Es wachse die Sorge, so de Waal seinerzeit, dass Alijew „die Karabach-Karte“ spielen könnte, um die Aserbaidschaner um das Regime zu sammeln, und dafür eine Militäroperation beginnen könne, um die besetzten Gebiete zurückzuerobern – was einen „neuen und potentiell katastrophalen Konflikt im Kaukasus“ zur Folge hätte.
Auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der derzeit turnusmäßig die OSZE führt, äußerte sich am Samstagnachmittag „sehr besorgt über die militärische Eskalation“. Es gebe keine militärische Lösung für den Konflikt, hieß es in einer Mitteilung.

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