Dienstag, 16. Juni 2015

Eine nahezu perfekte Warenwährung wären hingegen Gutscheine des Online-Versandhändlers Amazon, die darüber hinaus auch noch durch einen Warenwert gedeckt ist. Wenn sich die Gutscheine als Währung etablieren, erzielt Amazon einen Notenbankgewinn, der ansonsten der Zentralbank zufällt. Eine noch ausgefeiltere Ersatzwährung wären Investmentprodukte mit verbrieften Anteilen: Man investiert sein Geld in einen Fonds und lässt sich seine Anteile verbriefen; diese Verbriefungen können dann als vollständig besicherte Parallelwährung zum nichtelektronischen Zahlungsverkehr genutzt werden.


GeldpolitikAlternativen zum Bargeld

Weniger Kriminalität und eine effektivere Geldpolitik - kann ein Verbot von Bargeld das leisten? Es gäbe überraschende Ausweichmöglichkeiten.

© PETER VON TRESCHOWVergrößernVerliert das Sparschwein bald seinen Platz in unserer Welt?
Brauchen wir noch Bargeld? Die Idee, Bargeld abzuschaffen, scheint manchen Ökonomen und Politikern verlockend angesichts der Wirkungen und Möglichkeiten, die sie sich davon versprechen: Nicht nur, dass der Zahlungsverkehr schneller und billiger werde, nein, man könne auch der organisierten Kriminalität einen Schlag versetzen, da diese vor allem mit Bargeld operiert, und obendrein mache eine Welt ohne Bargeld es den Zentralbankern leichter, in Rezessionszeiten negative Zinsen durchzusetzen. Eine Reihe größerer und kleinerer Prominenter der Ökonomenzunft, von Larry Summers über Kenneth Rogoff bis Peter Bofinger, plädiert mit diesen Argumenten für eine Abschaffung des Bargeldes.
In einigen Ländern geht das Ende des Bargelds schon schrittweise voran: Die Notenbank Dänemarks hat angekündigt, von 2017 an keine neuen Banknoten mehr zu drucken, in Italien sind seit 2011 Bargeldzahlungen nur noch bis zu einem Höchstbetrag von 999,99 Euro möglich, in Frankreich sind ab Herbst ebenfalls nur noch Barzahlungen bis 1000 Euro erlaubt. Und in der Schweiz wird ein solches Verbot ebenso diskutiert wie in Deutschland.
Mehr zum Thema
Noch ist es ein weiter Weg zur Abschaffung des Bargelds: Laut Bilanz der Europäischen Zentralbank belief sich der Banknotenumlauf 2014 auf rund eine Billion Euro, das sind 46 Prozent ihrer Bilanzsumme.Offenbar horten viele Bürger (auch im Ausland) große Eurosummen in bar, sei es in Safes, unter der Matratze oder in Sparschweinen. In den Vereinigten Staaten beläuft sich der Banknotenumlauf auf rund 30 Prozent der Bilanzsumme der Federal Reserve. Vor allem in Japan und Deutschland ist das Verhältnis von Bargeld und BIP in den vergangenen Jahren gestiegen und, verglichen mit anderen Industrienationen, bemerkenswert hoch.

Alternativen: Ausländische Währungen, Bitcoin oder Warengeld

Diese Zahlen zeigen, dass die Nachfrage nach Bargeld immer noch groß ist, was vermuten lässt, dass viele Bürger sich bei einer Abschaffung des Bargeldes nach Alternativen umsehen werden, vor allem, wenn es ihnen darum geht, sich einer perfekten Erfassung und Überwachung ihrer Zahlungen zu entziehen. Im Inland, vor allem in der Schattenwirtschaft, könnten sich rasch alternative Zahlungsmittel etablieren, beispielsweise ausländische Währungen oder das abgeschaffte Bargeld, das man nicht in digitale Währung umtauscht. Im ehemaligen Jugoslawien wurde viele Jahre lang mit D-Mark bezahlt - auch nach der Einführung des Euros.
Eine andere Ausweichmöglichkeit wäre Warengeld: Nach dem Krieg waren auf den Schwarzmärkten Zigaretten eine gängige Währung, heute könnten Gold, Sammlermünzen oder andere Wertgegenstände zur Bezahlung genutzt werden. Allerdings sind die Transaktionskosten dabei hoch. Eine nahezu perfekte Warenwährung wären hingegen Gutscheine des Online-Versandhändlers Amazon, die darüber hinaus auch noch durch einen Warenwert gedeckt ist. Wenn sich die Gutscheine als Währung etablieren, erzielt Amazon einen Notenbankgewinn, der ansonsten der Zentralbank zufällt.
Eine noch ausgefeiltere Ersatzwährung wären Investmentprodukte mit verbrieften Anteilen: Man investiert sein Geld in einen Fonds und lässt sich seine Anteile verbriefen; diese Verbriefungen können dann als vollständig besicherte Parallelwährung zum nichtelektronischen Zahlungsverkehr genutzt werden. Alternativ bleiben künstlich geschaffene Cyber-Währungen wie die digitale Währung Bitcoin, die sich dadurch auszeichnen, dass man sie im Internet auch zu anonymen Transaktionen nutzen kann. Dass sich diese Währungen für alle Arten krimineller Aktivitäten eignen, haben die Erfahrungen mit Bitcoin längst gezeigt.

Abschaffung des Bargelds wird Kriminalität nicht verhindern

Denkt man in den Kategorien der organisierten Kriminalität, so ist zu vermuten, dass diese Wege finden wird, ihr Geschäft auch weiterhin zu finanzieren. Schon heute nutzen Verbrechersyndikate Warengeld, beispielsweise wertvolle Gemälde. Und darüber hinaus hat die organisierte Kriminalität vermutlich auch die Möglichkeit, eigene Währungen zu schaffen und in Umlauf zu bringen. Das hätte zur Folge, dass der Währungsgewinn (Seigniorage) ans organisierte Verbrechen geht. Ganz abwegig ist das nicht: In den neunziger Jahren wurde in Somalia das Bargeld von Piratenbanden hergestellt und von der Bevölkerung dennoch akzeptiert - die Piraten hielten die Geldmenge bemerkenswert stabil.
Vielleicht kann die Abschaffung des Bargelds ein wenig Sand ins Getriebe der kleinen oder großen Kriminalität streuen, verhindern aber lässt sich diese auf diesem Weg wohl kaum. Im Gegenteil muss man vermuten, dass eine rein digitale Währung Raum schafft für neue Spielarten der Kriminalität, ausgeübt von Computerspezialisten. Die Fälle schwerer Kreditkarten- und Computerkriminalität weisen bereits darauf hin.

Bei niedrigen Zinsen Flucht in Vermögenswerte

Angesichts der Fülle von Ausweichmöglichkeiten muss man fragen, wie realistisch bei einer Bargeldabschaffung das zweite Ziel, die Durchsetzung negativer Zinsen, ist. Zunächst einmal verstärkt ein negativer Zinssatz die Flucht in Vermögenswerte: Je höher der Negativzins wäre, umso größer die Bemühungen auszuweichen, und umso geringer die Effektivität dieser Politik. Deren Effektivität wird umso mehr verringert, je mehr die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigt, je stärker die Bürger also Geldhaltung reduzieren - was bei elektronischen Währungen viel einfacher wird. Die Bürger werden bestrebt sein, ihre Geldbestände schneller und länger in Vermögenswerten anzulegen; damit wird die Effektivität der Geldpolitik untergraben.
Nun kann man argumentieren, dass diese Flucht in Sachwerte zu den gewünschten Ergebnissen negativer Zinsen gehört: Das Angebot an Kapital steigt, die Finanzierungsbedingungen verbessern sich, und die Investitionstätigkeit steigt wegen des billigen Geldes. Doch das kann zu massiven Fehlinvestitionen führen; bei einer negativen Verzinsung könnte es rein theoretisch zu Investitionen mit negativem Grenzertrag kommen - umgangssprachlich nennt man das Verschwendung von Kapital. Die gewaltigen Fehlinvestitionen und Abschreibungen im Zuge der New-Economy-Blase 2000 oder in der Immobilien- und Hypothekenkrise nach 2007 zeigen, was geschehen kann.
Bleibt noch der billigere Zahlungsverkehr: Fast alle Studien attestieren digitalen Währungen einen Kostenvorsprung. Allerdings vernachlässigen die meisten Studien den erheblichen Aufwand, der betrieben werden muss, um Internet-basierte Kriminalität zu verhindern. Dabei dürfte gelten, dass dieser Aufwand umso höher sein muss, denn je größer der Anteil elektronischer Zahlungen, umso mehr lohnen sich kriminelle Attacken auf die elektronische Infrastruktur.
Hanno Beck ist VWL-Professor an der Hochschule Pforzheim, Aloys Prinz ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft an der Universität Münster.
Quelle: F.A.Z.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen