Mittwoch, 30. Mai 2018
2,3 Billionen Euro SchuldenItalien ist zu groß zum Retten
Italien beschert der Eurozone ein schmerzhaftes Déjà-vu: Populisten streben an die Macht, Roms Schuldenberg wird immer größer, die Märkte zittern. Doch für eine Rettung wie in Griechenland dürfte die finanzielle Feuerkraft diesmal kaum reichen.
In Europa werden Erinnerungen an die schlimmsten Tage der Griechenlandkrise wach. Weltweit brechen die Börsen ein, die Risikoprämien für italienische Staatsanleihen sind auf den höchsten Stand seit vier Jahren geklettert. Wie im Sommer 2012 zweifeln die Anleger an der Finanzkraft eines Eurolands - und damit am Zusammenhalt der gesamten Währungszone. Nur der Schauplatz der Krise hat sich geändert. Diesmal findet sie nicht in Athen statt, sondern in Rom.
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Die Regierung zwischen der rechten Lega und der Anti-Establishment-Bewegung Fünf Sterne ist geplatzt, weil Staatspräsident Sergio Mattarella den eurokritischen Finanzminister der populistischen Koalition nicht ernennen wollte. Eine Technokraten-Regierung soll nun übernehmen, doch sie hat keinerlei Rückhalt im Parlament. Lega-Chef Matteo Salvini ruft bereits nach Neuwahlen. Sie könnten schon im Herbst stattfinden und zu einem Referendum über den Euro werden - und den Populisten noch mehr Zulauf verschaffen.
Noch ist die Krise längst nicht so heftig wie 2012. Dafür ist sie umso gefährlicher, weil sie sich auf viel höherem Niveau abspielt. Denn Griechenland war im Vergleich zu Italien ein Schulden-Leichtgewicht. Während Hellas laut Eurostat gerade mal rund 320 Milliarden Euro Schulden auf die Waage bringt, belaufen sich Italiens Schulden auf rund 2,3 Billionen Euro - mehr als siebenmal so viel. Athen steht für weniger als ein Zwanzigstel der Schulden aller Euroländer. Italien, das viertgrößte Mitglied der Eurozone, dagegen für fast ein Viertel. Diesmal sind die Euro-Länder deshalb darauf angewiesen, "dass Italien selber Kurs hält", sagt DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. "Wir können das nicht stemmen."
Italien sprengt den Rettungsschirm
Denn sollten in Rom Rettungspakete wie in Athen nötig werden, käme der Euro-Rettungsschirm ESM schnell an seine Grenzen. Maximal 500 Milliarden Euro kann die EU-Finanzfeuerwehr ausreichen, 383 Milliarden Euro sind nach den Finanzhilfen an Griechenland und andere Euroländer noch übrig. Allein bis Ende des Jahres muss Rom laut dem italienischen Finanzministerium noch Anleihen über rund 182 Milliarden Euro refinanzieren. Bis Ende 2019 sind es nochmal 229 Milliarden Euro. Wenn die Märkte Italien also wie einst Griechenland den Geldhahn zudrehen sollten, wäre der Rettungsschirm nach spätestens anderthalb Jahren am Ende.
Um das Vertrauen ihrer Gläubiger nicht zu verlieren, muss die Regierung den Haushalt in Ordnung bringen. Doch Sparmaßnahmen lehnen viele Italiener ab. Stattdessen setzten sie auf die Populisten von der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung, die ihnen Wohltaten wie ein Grundeinkommen versprechen und dafür die Ausgaben sogar noch erhöhen wollen. Deshalb zweifeln Italiens Geldgeber zunehmend, ob das Land seine Schulden zahlen wird - und die Zinsaufschläge für Roms Staatsanleihen steigen.
Italien steckt genau wie Griechenland vor wenigen Jahren in der Strukturkrise. Die Arbeitslosigkeit ist hoch (11 Prozent), die Wirtschaft wächst schleppend (1,4 Prozent) und die Schuldenquote explodiert. Laut Eurostat steht das Land inzwischen mit über 130 Prozent seiner Wirtschaftsleistung bei Investoren in der Kreide. In keinem anderen EU-Land liegt die Quote höher, außer in Griechenland (180 Prozent).
Schmerzhafte Reformen sind nötig - oder Schuldenerleichterungen. Doch während im Sonderfall Griechenland Einiges sogar für einen Erlass gesprochen hat, weil die Schulden des Landes vernachlässigbar waren, wäre er bei einem der größten Euroländer wie Italien fatal. Denn dann könnte wirklich jede Regierung im Euroraum ihn auch fordern - und die Gemeinschaftswährung wäre am Ende.
Auch die EZB will nicht den Retter spielen
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Je heftiger die Krise wird, desto stärker werden sich also wieder alle Blicke auf die Europäische Zentralbank (EZB) richten. Doch dass der italienische EZB-Chef Mario Draghi ausgerechnet den Retter für sein Heimatland spielt, ist ebenfalls unwahrscheinlich. Zu verheerend wäre die Optik. Und eigentlich bereitet die EZB gerade den Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes vor. "Juni könnte der Monat werden, in dem wir ein für alle Mal beschließen, Ende dieses Jahres die Nettoanleihekäufe zu beenden", sagt EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger.
Theoretisch könnte die EZB ihr Kaufprogramm natürlich jederzeit wieder hochfahren, falls Italien den Euro gefährdet wie einst Griechenland. Schließlich hat EZB-Chef Mario Draghi versprochen, "alles zu tun, was nötig ist", um den Euro zu retten. Aber selbst dann ist es kaum vorstellbar, dass die Währungshüter Roms gesamten Schuldenberg aufkaufen - er ist einfach zu groß.
Seit Beginn ihres Kaufprogramms 2015 hat die EZB in drei Jahren Staatsanleihen aller Euroländer für rund zwei Billionen Euro erworben. Sie wird also nicht plötzlich Schuldscheine für 2,3 Billionen Euro nur aus Italien kaufen - zumal sie schon jetzt 15 Prozent aller italienischen Staatsanleihen hält. Zudem darf sie die Papiere eines Euro-Landes nicht einfach willkürlich, sondern nur gemäß dessen Kapitalanteil an der EZB auf die Bücher nehmen. Zumindest hat sie das bisher so beschlossen.
Abgesehen von der schieren Größenordnung wäre Roms Finanzierung durch die Notenpresse politisch auch nicht durchsetzbar. Denn Italiens Pleiterisiko würde damit vollständig auf die anderen Euroländer abgewälzt. Deutschland und die anderen Zahlmeister der Eurozone haben aber bestimmt kein Interesse, einer populistischen Chaostruppe in Rom aus Gefälligkeit ihre Schulden abzunehmen - auf Kosten ihrer eigenen Steuerzahler.
Für eine harte Haltung hätten sie auch bessere Argumente als in der Griechenlandkrise: Anders als Athen hat Rom als eine der größten Wirtschaftsnationen der Welt Exporte und Industrien, mit denen es aus der Schuldenfalle herauswachsen kann. "Es ist Zeit für die Politik, zu handeln und die Reformwiderstände zu überwinden und zu tun, was getan werden muss", sagt deshalb EZB-Direktorin Lautenschläger.
Falls die Italienkrise weiter eskaliert, ist es daher am wahrscheinlichsten, dass die EZB ihr Kaufprogramm verlängert. Dann genügt höchstwahrscheinlich weiter Draghis bloßes Versprechen, den Euro notfalls um jeden Preis zu verteidigen, um die Märkte zu beruhigen. Denn dass der Showdown mit den Geldgebern so endet wie in Griechenland ist nicht absehbar: Obwohl eine Mehrheit die Rebellion der Tsipras-Regierung gegen Brüssel unterstützte, musste sie am Ende klein beigeben und die Sparauflagen akzeptieren. Italien hat aufgrund seiner Gewichtsklasse ungleich größeres Erpressungspotential.
Quelle: n-tv.de