Mögliche ZinswendeSchwellenländer schauen gebannt auf die Fed
Am Donnerstag könnte die Fed den Leitzins erhöhen. Für die Schwellenländer steht dabei viel auf dem Spiel - ebenso wie für westliche Anleger.
15.09.2015, von GERALD BRAUNBERGER, CARL MOSES UND HENDRIK ANKENBRAND
Jahrelang wurden Anlegern in Deutschland und anderen westlichen Industrienationen Kapitalanlagen in Schwellenländern empfohlen. Dies seien Länder mit großer Zukunft, deren Volkswirtschaften schneller wachsen würden als die sklerotischen Staaten in der industrialisierten Welt, hieß es. Höhere Zinsen gab es in den Schwellenländern noch dazu. Die Begeisterung war groß.
Autor: Gerald Braunberger, Redakteur in der Wirtschaft, verantwortlich für den Finanzmarkt. Autor: Hendrik Ankenbrand, Wirtschaftskorrespondent für China mit Sitz in Schanghai.
Doch schon vor Monaten hat das Zittern begonnen. Aktien- und Anleihekurse sind in vielen Schwellenländern deutlich gefallen; viele Währungen haben erheblich an Wert verloren. Dies gilt für asiatische wie lateinamerikanische Schwellenländer, aber auch für Russland und die Türkei. Neben der Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung in China wird eine denkbare Leitzinserhöhung in den Vereinigten Staaten als Grund für die Malaise genannt.
Ob die amerikanische Notenbank Fed ihren Leitzins vielleicht schon am kommenden Donnerstag oder auf einer Sitzung im Dezember erhöhen wird, ist noch nicht absehbar. Aber an Kapitalmärkten werfen mögliche Ereignisse Schatten voraus. Nach einer Analyse der angelsächsischen Fondsgesellschaft Fulcrum dürfte die Erwartung auf eine Leitzinserhöhung in den Vereinigten Staaten wesentlich zu den Kursturbulenzen im August beigetragen haben. Die scheinbar ewigen Debatten an den Finanzmärkten über die Fed hat mehrere Geldpolitiker aus Schwellenländern, darunter den indischen Zentralbankgouverneur Raghuram Rajan, zu einem Plädoyer für eine Zinserhöhung veranlasst. Danach könnte die Preisbildung an den Finanzmärkten wieder etwas gelassener vonstatten gehen.
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Die Bedeutung des Dollars für die Schwellenländer ist sehr groß. Zum einen achten viele Schwellenländer auf den Wechselkurs ihrer Währung gegenüber dem Dollar. Aber die amerikanische Währung kursiert auch in diesen Ländern: Nach Berechnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) haben Unternehmen und Privatpersonen außerhalb der Vereinigten Staaten 9,6 Billionen Verbindlichkeiten in Dollar – viele dieser Schuldner befinden sich in Schwellenländern.
Zinswende würde Rohstoffpreise drücken
Untersuchungen zeigen, dass die amerikanischen Zinsen stark auf die Zinsen in den Schwellenländern ausstrahlen. Dies führte zu vielen Kapitalanlagen in Schwellenländern, solange die Zinsen in den Vereinigten Staaten sehr niedrig blieben. Mit der Aussicht auf steigende Zinsen in Amerika fließt wieder Geld aus den Schwellenländern in die Vereinigten Staaten zurück.
Bis vor einigen Wochen galt eine Leitzinserhöhung in den Vereinigten Staaten für die meisten Volkswirtschaften Lateinamerikas als größte Gefahr. Inzwischen sorgen das nachlassende Wachstum und die Finanzturbulenzen in China indes für deutlich größere Unruhe. Für viele Länder Südamerikas ist China zum wichtigsten Exportkunden geworden. Die gebremste Nachfrage aus China hat die Preise für Kupfer, Eisenerz und Soja aus Südamerika einbrechen lassen und die Währungen der Latinos unter Abwertungsdruck gebracht.
Der uruguayische Ökonom Jorge Caumont hält die seit langem angekündigte Zinswende in den Vereinigten Staaten freilich für die Hauptursache fallender Rohstoffpreise und abwertender Währungen in Südamerika. So wie die Nullzinspolitik Amerikas über lange Zeit die globale Güternachfrage angekurbelt und den Dollar geschwächt habe, wirke die Erwartung der Zinserhöhungen nun in die umgekehrte Richtung. Eine Zinswende der Fed würde den Dollar stärken und die Rohstoffpreise drücken.
Ungünstiger Zeitpunkt für Lateinamerika
Die mögliche Zinserhöhung der Fed träfe Lateinamerika in einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. In fast allen Ländern der Region hat sich die Konjunktur deutlich abgekühlt. Brasilien und Venezuela stecken gar tief in der Rezession. Gleichzeitig treibt die Abwertung der Latino-Währungen die Inflationsraten. Seit Jahresbeginn hat sich der Dollar gegenüber den Währungen Südamerikas bereits um 10 bis 45 Prozent verteuert. Höhere Zinsen in Amerika würden diese Tendenz verstärken. Peru hat Ende voriger Woche bereits überraschend seinen Leitzins angehoben, um eine weitere Abwertung seiner Währung zu verhindern. Auch in Chile und Mexiko wird trotz lahmender Konjunktur mit baldigen Zinserhöhungen gerechnet.
Besonders verwundbar erscheint Brasilien, die größte Volkswirtschaft der Region. Zur Bekämpfung der Inflation hat Brasilien seinen Leitzins massiv auf zuletzt 14,25 Prozent erhöht. Angesichts der schweren Rezession besteht kaum mehr Spielraum für weitere Zinserhöhungen. Sollte der brasilianische Real durch die Fed-Entscheidung unter noch stärkeren Abwertungsdruck geraten, dürfte die brasilianische Zentralbank eher mit Interventionen auf dem Devisenmarkt reagieren. Doch auch dies hätte Grenzen.
Latente Gefahr einer Bankenkrise
Zwar sind Brasiliens Devisenreserven immer noch leicht höher als die Brutto-Auslandsverschuldung von 340 Milliarden Dollar. Doch dabei sind die von Konzernen intern vergebenen Auslandskredite nicht berücksichtigt. Der Umfang dieser Kredite hat sich seit 2011 auf rund 210 Milliarden Dollar nahezu verdoppelt. Die Verschuldung von Haushalten und Unternehmen ist in Brasilien rasant gewachsen. Seit 2007 stieg sie von 107 auf 139 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die BIZ warnt vor der latenten Gefahr einer Bankenkrise in Brasilien und anderen Schwellenländern.
Nach Meinung der chinesischen Regierung hat die im Juli angekündigte Leitzinserhöhung der amerikanischen Notenbank schon Schaden angerichtet: Obwohl Chinas Börsenblase bereits im Juni geplatzt war, heißt es aus Pekings Zentralbank, die Fed sei der Auslöser für den Kursverlust von 40 Prozent an den Festlandbörsen gewesen. Chinas Währung Renminbi (Yuan) ist lose an den Dollar gekoppelt, dessen Stärke zuvor schon Chinas Exporte verteuert habe. Die nahende Leitzinserhöhung, in deren Folge der Wert des Dollars weiter steigen könnte, habe noch mehr Öl ins Feuer gegossen.
China ist mit seiner Kritik nicht allein. „Panik und Turbulenzen“ könne die Fed in der von Unsicherheiten gezeichneten chinesischen Wirtschaft auslösen, heißt es aus der Weltbank. Auch der Internationale Währungsfonds warnt. Beim alljährlichen Treffen der asiatischen Finanzwelt am Montag in Hongkong klang die Begrüßung vom Veranstalter, dem Brokerhaus CLSA, die Fed werde den Zins so bald nicht erhöhen, wie Zweckoptimismus.
Ein Viertel der Unternehmensschulden in Fremdwährung
Dabei ist nicht ausgemacht, dass ein solcher Schritt China ins Unglück stürzen würde. Zwar könnte sich der Kapitalabfluss fortsetzen, der in den zwölf Monaten bis Ende Juni laut Citigroup den Wert von einer halben Billion Dollar überschritten hat. Chinas Währungsreserven könnten laut Schätzung bis Ende des Jahres nur noch 3,3 Billionen Dollar betragen. Die von China gehaltenen amerikanischen Staatsanleihen in Höhe von über 1 Billion Dollar gewännen hingegen durch einen steigenden Dollar an Wert. Ein Viertel der Schulden chinesischer Unternehmen ist in Fremdwährung notiert.
Da der Anteil an den Einnahmen der Unternehmen, der in Dollar notiert ist, nur 10 Prozent beträgt, könnte eine Tilgung nach einem Zinsanstieg schwerer werden. Nach einer Analyse der amerikanischen Investmentbank liegt die Hälfte der Schulden bei nur 5 Prozent der Unternehmen. Eine leichte Zinserhöhung sollte von Immobilienentwicklern wie Dalian Wanda oder Evergrande, um die es dabei geht, aber zu verkraften sein, glauben Beobachter. Und wenn nicht, rette sie der Staat. Peking verfüge über alle Instrumente, um einem Zinsschock der Fed zu begegnen: So bestand in Hongkong die Erwartung, dass China in diesem Jahr die immer noch relativ hohen Zinsen weiter senkt und den Yuan um bis zu 5 Prozent weiter abwertet.
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