Schweizer Wir-BankAbschied vom Bankgeheimnis
Eine Bank in der Schweiz bittet ihre Kunden, sie vom Bankkundengeheimnis zu entbinden. Was steckt dahinter?
05.11.2016, von CHRISTIAN SIEDENBIEDEL
Eine sonst eigentlich eher weniger bekannte Bank in der Schweiz sorgt dieser Tage für einiges Aufsehen: Die Wir-Bank, ein genossenschaftliches Institut mit Sitz in Basel, hat ihre Kunden angeschrieben und ihnen nichts Geringeres nahegelegt, als sie vom Bankgeheimnis zu entbinden. „Der Kunde verzichtet in vollem Umfang auf den Schutz des Bankkundengeheimnisses“, lautet der Satz in einem Schreiben, der nicht nur bei den Kunden des Instituts für einige Verwunderung gesorgt hat.
Die Bank ist nicht wirklich groß, hat aber immerhin rund 100.000 Privat- und Firmenkunden und eine Bilanzsumme von gut 5 Milliarden Franken - das ist ungefähr so viel wie eine große Volksbank in Deutschland. Für zusätzliche Verwirrung sorgte, dass die Bank andeutete, sie gehe davon aus, dass der automatische Informationsaustausch (AIA), der von 2017 an das Schweizer Bankkundengeheimnis gegenüber ausländischen Steuerbehörden de facto aufhebe, „bald auch auf inländische Kunden ausgeweitet“ werde.
Was ist da los? Übertreiben es die Schweizer nun endgültig mit der neuen Transparenz? Oder stecken vielmehr seltsame Sektierer, die nicht ernst zu nehmen sind, hinter dieser wenig bekannten Bank? Andere Bankhäuser in der Schweiz sahen sich immerhin schon veranlasst, mitzuteilen, dass sie diesem Beispiel nicht folgen werden. Die Bank selbst berichtet, sie habe bislang keine fluchtartige Abwanderungsbewegung von Kunden registriert - hingegen durchaus wüste Beschimpfungen in den Internetforen der Boulevardmedien. Dort wurde auch spekuliert, die superreichen Steuerhinterzieher aus dem Ausland würden ihr Geld nun selbstverständlich bei der Bank abziehen und es auf die Cayman Islands bringen.
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Eigene Währung
Tatsächlich handelt es sich bei der Wir-Bank um ein äußerst ungewöhnliches, 82 Jahre altes Kreditinstitut, das sich gerade einer Verjüngungskur unterzieht. Für die meint es, diese Entbindung vom Bankgeheimnis zu benötigen - und nimmt wohl auch eine gewisse Aufmerksamkeit dadurch mindestens billigend in Kauf.
Die Bank verfügt nämlich über etwas, das bei Banken dann doch nicht so alltäglich ist: eine eigene Währung. Das sogenannte Wir-Geld wird mit einem Wechselkurs von eins zu eins zum Schweizer Franken gehandelt. Es hat zumindest insoweit einen gewissen offiziellen Charakter, als es ein eigenes Währungskürzel, einen „Iso-Währungscode“ hat, nämlich CHW, im Gegensatz zu CHF für Schweizer Franken.
Es existiert nur als Buchgeld, es gibt keine Scheine und Münzen, und es entsteht durch Kreditgewährung der Bank. In der Geldschöpfung ist die Bank dabei nicht auf die Schweizerische Nationalbank angewiesen, wie sie hervorhebt: Das Wir-Geld wird nicht durch Franken gedeckt, es gibt nur übliche Sicherheiten wie Wertpapiere. Die Kostenvorteile, so behauptet die Bank, könne sie an ihre Kunden weitergeben.
„Wir“-Geld einst ein Mittel gegen die Geldhortung
Entstanden sind die Bank und ihr Geld in der Wirtschaftskrise 1934, als viele Schweizer ihr Geld lieber horteten, als es auszugeben. Mit der damals weltgrößten Komplementärwährung „Wir“ sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, wie kleine und mittlere Unternehmen untereinander Handel treiben und so etwas gegen die allgemeine Geldhortung tun können. Ähnlich wie beim Schrumpfgeld des unorthodoxen Ökonomen Sylvio Gesell (1862 bis 1930), das seinerzeit in dem österreichischen Örtchen Wörgl in der Nähe von Kitzbühel ausprobiert wurde, sollte auch beim Wir-Geld das Horten anfangs durch eine sogenannte Rückhaltegebühr bestraft werden: eine Art frühe negative Zinsen, lange bevor die großen Notenbanken der Welt dieses Instrument für sich entdecken sollten.
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Heute sieht sich die Wir-Bank zumindest auch als eine ganz normale Bank, die in den Schweizer Vergleichtabellen für Zinskonditionen im Internet immer gern unter den ersten drei bis fünf Instituten steht, ähnlich wie es sich die Direktbank ING Diba für Deutschland vorgenommen hatte. Sie führt längst Konten nicht nur in Wir-Geld, sondern auch in Franken. Und gerade hat sie einen wichtigen Digitalisierungs-Schub vorgenommen, wie Banksprecher Volker Strohm sagt.
Keine Strafaktion, sondern Teil der Digitalisierungsstrategie
Und dafür nun, so erklärt es zumindest der Banksprecher, braucht die Bank auch die Entbindung vom Bankgeheimnis. Die kleinen und mittleren Unternehmen nämlich, immer noch eine wichtige Kernzielgruppe der Bank, sollen auf einer Internetplattform untereinander Geschäfte machen und dabei zumindest zum Teil das Wir-Geld einsetzen. Es gehe um ein „Netzwerk“, heißt es. Jeder bestimme selbst, zu wie viel Prozent er die Komplementärwährung akzeptiere. Die mögliche Spanne wurde erweitert und reicht jetzt von 3 bis 100 Prozent.
Um das dafür notwendige Vertrauen aufbauen zu können, müssten alle aber zumindest wissen, mit wem sie es da zu tun hätten. Deshalb wolle die Bank von ihren Kunden das Recht bekommen, die Namen der Kontoinhaber im Internet öffentlich zu machen. Es sei weder beabsichtigt, die Kontostände preiszugeben, versichert Banksprecher Strohm, noch änderten sich die ohnehin vorhandenen Auskunftsrechte von Behörden. „Bei uns sind sowieso nur Inländer Kunden, und soweit wir wissen, versteuern sie ihre Einkünfte ehrlich“, sagt Strohm. Es gehe also nicht um eine Strafaktion gegen Steuerflüchtlinge - und man erwarte daher keine Einlagen-Flucht auf die Caymans oder nach Singapur. Strohm beteuert: „Wir erfinden uns einfach digital neu.“
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