Samstag, 09. Juni 2018
Volksentscheid über FinanzsystemStartet die Schweiz die Vollgeld-Revolution?
Am Sonntag haben die Schweizer die Wahl: Als erstes Land der Welt können sie ihren Banken die unbegrenzte Kreditvergabe verbieten. Das würde zwar Finanzkrisen unwahrscheinlicher machen. Es könnte das Geldsystem aber auch aus den Angeln heben.
Jeder der schon einmal einen Kredit beantragt hat, weiß, wieviel Macht Banken haben. Am Ende entscheidet eine einfache Frage über Erfolg oder Misserfolg: Hält die Bank ihren Kunden für kreditwürdig? Nicht umsonst leitet sich das Wort vom lateinischen credere ab - dem Glauben an die Zahlungsfähigkeit. Ist die Bank überzeugt, schreibt sie den gewünschten Betrag einfach dem Konto ihres Kunden gut. Damit hat sie neues Geld kreiert, allein weil sie es kann. Geldschöpfung nennen Experten diesen Vorgang. Und viele Kritiker sehen darin die Hauptursache für Krisen und Exzesse im heutigen Finanzsystem.
Denn die Macht der Banken, Geld per Mausklick aus dem Nichts zu schaffen, ist nahezu unbegrenzt. Ihre zügellose Kreditvergabe macht Spekulationsblasen und Finanzkrisen erst möglich, wenn sie auf der Jagd nach Profiten Unsummen in faule Anlagen pumpen, wie etwa Schrottkredite am US-Immobilienmarkt vor dem großen Crash von 2008. Durch ihre Geldschöpfung entsteht erst die systemische Unsicherheit im Finanzsystem: Sie drucken ja kein Bargeld, sondern schaffen bloß elektronische Guthaben - Zahlungsansprüche, die auf Verlangen gegen echtes Bargeld eingelöst werden, im Pleitefall aber auch nicht gedeckt sein können. Und sie befördern mit ihrer laxen Geldvergabe die Entstehung der gigantischen Schuldenberge, unter denen viele Staaten ächzen.
In der Schweiz ist der Protest in eine politische Initiative gemündet. Am Sonntag können die Eidgenossen daher nun als erstes Volk der Welt entscheiden, ob sie ein neues Geldsystem einführen und ihre Banken entmachten. Die seien "keine Vermittler von Geld, wie die meisten Menschen meinen, sondern Geldproduzenten", rufen die Befürworter. Sie wollen ihnen die unbegrenzte Geldschöpfung verbieten, sie von der Kreditvergabe trennen und so die "Herrschaft der Finanzmärkte" beenden. Vollgeld heißt ihre Idee, die einer Revolution gleichkäme. Sie soll das Finanzsystem krisenfester machen. Und könnte dabei ein neues Finanzbeben auslösen.
Ein Ende der "Bankenherrschaft"
Natürlich gibt es schon heute Sicherheitsregeln, die die Geldschöpfung der Banken begrenzen sollen. Die EZB beeinflusst die Kreditvergabe durch den Leitzins. Und für jeden Kredit, den die Banken vergeben, müssen sie einen Bruchteil ihrer Einlagen bei der EZB hinterlegen, als Sicherheitspfand falls Darlehen platzen. Dieser sogenannte Mindestreservesatz liegt bei lächerlich niedrigen 1 Prozent, in der Schweiz bei 2,5 Prozent. Die Banken können im Euroraum also 100 Mal soviel Geld erzeugen, wie sie selbst von Sparern und anderen Banken eingeworben haben, in der Schweiz immerhin noch 40 Mal soviel. Faktisch ist die Kreditvergabe aber nahezu unbegrenzt, weil die Zentralbanken die Mindesteinlagen auch noch verzinsen und nicht dauerhaft dem Geldkreislauf entziehen.
Die Vollgeld-Anhänger wollen diesen Geldmultiplikator komplett ausschalten, indem sie die Sicherheitsmarge auf 100 Prozent erhöhen. Banken müssten ihre Kredite dann vollständig mit Geld hinterlegen, das sie von Sparern und anderen Banken bekommen haben, statt wie bisher nur zu einem Bruchteil. Sie könnten nur noch soviel Geld weiterreichen, wie sie selbst eingeworben haben. Das elektronische Buchgeld, das sie bei der Kreditvergabe schaffen, würde automatisch zu gesetzlichem Zahlungsmittel, weil es vollständig mit "echten" Einlagen von Sparern besichert wäre - daher der Name Vollgeld. Kontoguthaben wären plötzlich "so sicher wie Bargeld", frohlocken die Vollgeld-Unterstützer.
Auch die Spekulation würde auf einen Schlag deutlich unattraktiver, weil Banken nur noch mit ihrem eigenen Geld und nicht mehr auf Kredit, also mit dem Geld anderer, zocken könnten. Das Risiko für Bankpleiten würde deshalb deutlich abnehmen. Für einen Sturm auf die Banken hätten die Sparer im Krisenfall keinen Grund mehr, weil sie sich ihre Guthaben ja jederzeit vollständig in Bargeld auszahlen lassen könnten.
Und weil im Vollgeldsystem Zahlungs- von Sparkonten strikt getrennt wären, könnten Banken im Pleitefall einfach abgewickelt werden, ohne die Guthaben von Millionen Bürgern zu vernichten und damit die Wirtschaft in den Abgrund zu reißen. Sie wären nicht länger zu groß zum Scheitern (too big to fail) und müssten nicht mehr mit Steuermilliarden aufgefangen werden, um ihre Sparer zu retten.
Hinzu käme ein politischer Effekt: Die Gewinne der Geldschöpfung, die sich Banken heute in Form von Zinsen in die eigene Tasche stecken, kämen der Allgemeinheit zugute. Denn die Geldmenge würde allein die Zentralbank und nicht die Geschäftsbanken steuern. Statt wie bisher erst Kredite nach eigenem Ermessen zu vergeben und sich dann das nötige Geld dafür bei der EZB oder anderen Banken zu beschaffen, bekämen die Banken erst Kredit von der Zentralbank, den sie dann in gleichem Umfang an Firmen und Bürger verteilen. "Geld im Dienste der Gesellschaft" nennen die Unterstützer der Vollgeld-Initiative das.
"Radikales Experiment, das Wohlstand gefährdet"
Die Kritiker sehen es umgekehrt: Aus ihrer Sicht wäre ein Vollgeldsystem weniger demokratisch. Denn statt vieler dezentraler Geschäftsbanken, die unabhängig voneinander Kredite vergeben, würden allein die Technokraten der Zentralbank entscheiden, wieviel Geld in Umlauf kommt. Die Banken wären nur noch die Schalter, an denen es ausgereicht wird. Eigentlich müsste die Schweizer Notenbank angesichts ihres potentiellen Machtzuwachses also für die Umstellung sein. Stattdessen warnt sie, die Umgestaltung würde "große Unsicherheit und Risiken mit sich bringen. Wachstum und Wohlstand würden für ein radikales Experiment aufs Spiel gesetzt."
Zum einen ist fraglich, ob die Kreditvergabe wirklich zurückgeht, wenn Banken das Geld der Zentralbank nur noch weitergeben, statt es nach Gutdünken zu vervielfachen. Denn eine zentralisierte Behörde, die die Geldmenge allein steuert, dürfte zwangsläufig größere politische Begehrlichkeiten wecken als eine Zentralbank, die lediglich die Banknoten druckt, die Geschäftsbanken dann aber unabhängig elektronisch vervielfältigen. "Der Ruf nach Finanzierung von Projekten und Staatsausgaben über die SNB würde unweigerlich stärker", schreibt die Nationalbank.
Das Vollgeldsystem könne auch "Kreditzyklen und Vermögensblasen nicht verhindern", dämpfen die Schweizer Währungshüter die Erwartungen. Weniger Geld im System bedeutet zudem weniger Wachstum. Zwar wird mit der Begrenzung der Kreditvergabe der Zwang gelockert, aus Geld ständig mehr Geld zu machen. Doch die Wirtschaft wird durch den Geldkreislauf angetrieben. Statt Kreditschwemmen könnte es also Kreditklemmen geben, fürchtet die Notenbank, mit den dazugehörigen Abschwüngen. Die gedrosselte Kreditvergabe würde die konjunkturellen Schwankungen lediglich glätten, halten die Vollgeld-Anhänger dagegen.
Und schließlich fragt sich, ob die Notenbanker wirklich besser zentral einschätzen können, wieviel Geld eine Wirtschaft braucht als Experten von vielen Geschäftsbanken, die die Kreditversorgung dezentral vor Ort über den Markt sicherstellen. Ab Sonntag könnten sie es möglicherweise herausfinden. Zwar wäre es eine Riesenüberraschung, wenn die Schweizer mit Ja stimmen würden. Nicht nur hat sich die Notenbank gegen die Vollgeld-Initiative ausgesprochen, auch keine einzige Partei steht hinter dem Projekt. Aber die Schweizer haben bei Volksabstimmungen bekanntlich ja schon öfter überrascht.
Quelle: n-tv.de
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen