Finanzkrise in Venezuela
Das Regime in Caracas streckt die Fühler Richtung Moskau und Peking aus
Venezuela sucht neue Kreditgeber. Das Regime verliert Einnahme- und Finanzierungsquellen in den USA. China und Russland dürften jedoch als neue Kapitalgeber einspringen.
Bis letzte Woche war Simón Zerpa eine Schlüsselfigur in Venezuelas Finanzsystem. Er ist Vize-Finanzchef beim staatlichen Erdölkonzern PDVSA, der wichtigsten Devisenquelle des Karibikstaates. Bei Zerpa bündeln sich alle Finanzkanäle, über die sich Venezuela trotz der schweren wirtschaftlichen und politischen Krise am Leben hält: Er verwaltet die Rückzahlung und Umschuldung der Kredite in Höhe von 62 Mrd. $, die das Land von China für künftige Öllieferungen erhalten hat. Er ist derjenige, der angeblich Teile von PDVSA in den USA an den russischen Konzern Rosneft verkauft hat. Er steckte hinter einem umstrittenen Deal mit Goldman Sachs; die US-Investmentbank erwarb Ende Mai venezolanische Bonds im Nominalwert von 3 Mrd. $ zu einem Spottpreis, worauf man ihr vorwarf, sich an «Hungerbonds» zu bereichern.
Doch das ist vorbei: Seit letzter Woche ist Zerpa für die internationalen Investoren, Banker und Unternehmen ein Paria. Der enge Vertraute des Präsidenten Nicolás Maduro steht auf der Liste der dreizehn Venezolaner, die weder in die USA einreisen noch Verträge aushandeln dürfen und deren Vermögen blockiert wurden. Bloomberg berichtet, dass zwei Investmentbanken ihren Angestellten bereits jeden Kontakt mit Zerpa verboten hätten.
Reaktion auf Machtergreifung
Mit dem Bann gegen Zerpa und zwölf andere hohe Regierungsangestellte haben die USA auf den zunehmend autoritären Kurs der venezolanischen Regierung reagiert. Wie berichtet, hat diese am Sonntag eine verfassunggebende Versammlung einberufen, bei der die Kandidaten handverlesen waren. Auch die Angaben zur Wahlbeteiligung wurden möglicherweise gefälscht, wie inzwischen vermutet wird. Die alleinige Absicht des gesetzeswidrig abgehaltenen Referendums scheint zu sein, den von der Opposition dominierten Kongress und die Oberstaatsanwaltschaft zu entmachten. Kaum waren die Wahlen vorbei, liess Maduro zwei wichtige Oppositionsführer vom Geheimdienst verhaften.
Mit den Sanktionen gegen Zerpa sind die USA geschickt einem anderen Ziel näher gekommen: Venezuela soll für die autoritäre Machtergreifung büssen, ohne dass jedoch aussenpolitisch zu viel Staub aufgewirbelt wird.
Schrumpfende Erdölausfuhr
Das scheint gelungen. Venezuela habe nun einen erschwerten Zugang zu Krediten, meint Francisco Rodríguez von Torino Capital. Für die Investoren beginnt damit erneut die Zitterpartie, ob das Erdölland seine Schulden wird zurückzahlen können. Erst im April war es der Regierung gelungen, den drohenden Zahlungsausfall zu vermeiden und Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 4 Mrd. $ zu tilgen. Doch seitdem haben die politischen Auseinandersetzungen zugenommen: 120 Menschen sind bei Protesten gegen die Regierung gestorben. Erstmals protestieren die USA, die EU und die wichtigsten Staaten Lateinamerikas gegen das Linksregime in Caracas. Venezuelas Anleihen haben seit April heftig an Wert verloren.
Doch im Oktober und im November stehen erneut Schuldenrückzahlungen in Höhe von 3,6 Mrd. $ an. Venezuelas Devisenreserven sind auf unter 10 Mrd. $ geschrumpft. Gleichzeitig kann Venezuela immer weniger Erdöl exportieren.
So hat PDVSA im Juni überraschend nur noch knapp 500'000 Fass pro Tag in die USA exportiert, dem wichtigsten Abnehmer, statt der zuvor noch 770'000.
Die Erdöleinnahmen, die im letzten Jahr noch 12 Mrd. $ betrugen, werden deutlich sinken. Bisher hat die Regierung die Importe beschnitten (um 75% in vier Jahren), um weiterhin die Schulden begleichen zu können, und lässt dafür die Bevölkerung hungern. Die Notlage der Menschen sei ähnlich wie jene der Rumänen unter Ceausescu in den 1980er Jahren, meinte unlängst der ehemalige Planungsminister Venezuelas und Harvard-Professor Ricardo Hausmann.
Nicht nur für Investoren mit Venezuela-Anleihen steht viel auf dem Spiel. In Venezuela droht der grösste Zahlungsausfall, den das Land je erlebt hat. Der Staat sowie PDVSA haben Anleihen im Wert von 110 Mrd. $ aufgelegt. Zusammen mit den Zinszahlungen summieren sich die Gesamtforderungen auf bis zu 170 Mrd. $. Venezuela sei das höchstverschuldete Land der Welt, setze man die Gesamtverbindlichkeiten ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft und zu den Exporten, sagt Hausmann.
Freie Hand für Maduro
Dennoch blieben die Investoren bisher ruhig. Denn die Finanzierungschancen der Regierung Maduro haben sich nach der Verfassungsversammlung sogar verbessert, so paradox es klingt. Mit der entmachteten Legislative kann die Regierung wieder Verträge mit ausländischen Investoren abschliessen, gegen die der Kongress sonst sein Veto eingelegt hätte. Maduro dürfte versuchen, von Russland und China neue Finanzmittel zu bekommen, gegen Lizenzen im Bergbau und Ölvorkommen. Und es dürfte ihm nicht schwerfallen, Financiers zu finden. Mit Goldman Sachs und westlichen Hedge-Funds, die sich gerne mit hochverzinslichen Venezuela-Anleihen eindeckten, kann Maduro jedoch vorerst nicht mehr rechnen.
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