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Mittwoch, 21. September 2016

Schadensersatz wegen Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors? Der EuGH hatte über Nichtigkeits- und Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit der Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors zu entscheiden.

Gericht/Institution:EuGH
Erscheinungsdatum:20.09.2016
Entscheidungsdatum:20.09.2016
Aktenzeichen:C-8/15 P, C-9/15 P, C-105/15 P, C-106/15 P, C-107/15 P, C-108/15 P, C-109/15 P
Quelle:juris Logo

Schadensersatz wegen Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors?

Der EuGH hatte über Nichtigkeits- und Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit der Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors zu entscheiden.
In den ersten Monaten des Jahres 2012 gerieten mehrere in Zypern ansässige Banken, darunter die Cyprus Popular Bank (Laïki) und die Trapeza Kyprou Dimosia Etaireia (Bank of Cyprus oder BoC), in finanzielle Schwierigkeiten. Die zyprische Regierung bat deshalb die aus den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets bestehende Euro-Gruppe um finanzielle Unterstützung. Die Euro-Gruppe antwortete darauf, dass die gewünschte finanzielle Unterstützung vom ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) im Rahmen eines makroökonomischen Anpassungsprogramms gewährt werde, das in einem Memorandum of Understanding zu konkretisieren sei. Die Verhandlungen über dieses Protokoll wurden von der Kommission zusammen mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) auf der einen und den zyprischen Behörden auf der anderen Seite geführt. In einer Erklärung vom 25.03.2013 gab die Euro-Gruppe bekannt, dass die Verhandlungen zu einem Entwurf eines Memorandum of Understanding über die Umstrukturierung der BoC und der Laïki geführt hätten. Das Memorandum of Understanding wurde daraufhin von der Kommission (im Namen des ESM) und Zypern unterzeichnet, und der ESM gewährte Zypern eine finanzielle Unterstützung.
Mehrere zyprische Einzelpersonen sowie eine Gesellschaft mit Sitz in Zypern waren Inhaber von Einlagen bei der BoC oder der Laïki. Die Durchführung der mit den zyprischen Behörden vereinbarten Maßnahmen führte zu einem erheblichen Wertverlust dieser Einlagen. Daraufhin erhoben die betroffenen Einzelpersonen und die genannte Gesellschaft beim EuG Klagen u.a. auf Ersatz des Wertverlustes, den ihre Einlagen durch den Abschluss des Memorandum of Understanding erlitten haben sollen, und auf Nichtigerklärung der einschlägigen Punkte dieses Memorandum of Understanding. Außerdem erhoben sieben zyprische Einzelpersonen Klagen beim EuG auf Nichtigerklärung der Erklärung der Euro-Gruppe vom 25.03.2013 zur Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors.
Mit fünf Beschlüssen vom 16.10.2014 (T-327/13, T-328/13, T-329/13, T-330/13, T-331/13) wies das EuG zum einen die gegen die Erklärung vom 25.03.2013 gerichteten Nichtigkeitsklagen als unzulässig ab. Es entschied, dass der ESM nicht zu den Unionsorganen gehöre und dass die Erklärung der Euro-Gruppe weder der Kommission und der EZB zugerechnet werden noch Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen könne. Mit drei Beschlüssen vom 10.11.2014 (T-289/13, T-291/13, T-293/13) wies das EuG zum anderen die Nichtigkeits- und Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit dem Abschluss des Memorandum of Understanding mit der Begründung ab, dass sie teilweise unzulässig und teilweise unbegründet seien. Das EuG stellte fest, dass die Kommission das Memorandum of Understanding nur im Namen des ESM unterzeichne und dass die von der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM ausgeübten Tätigkeiten nur diesen verpflichte. Auch hätten die Personen, die diese Klagen erhoben hätten, nicht mit Sicherheit nachgewiesen, dass der von ihnen geltend gemachte Schaden tatsächlich durch eine Untätigkeit der Kommission verursacht worden sei. Daraufhin haben die Einzelpersonen und die Gesellschaft beim EuGH die Aufhebung der Beschlüsse des EuG beantragt.
Der EuGH hat die Beschlüsse vom 16.10.2014 über die Nichtigkeitsklagen gegen die Erklärung der Euro-Gruppe vom 25.03.2013 bestätigt. Hingegen hat er die Beschlüsse vom 10.11.2014 über die Schadensersatzklagen aufgehoben, diesen Klagen jedoch in der Sache nicht stattgegeben, weil die Kommission nicht zu einer Verletzung des durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Eigentumsrechts der Personen, die diese Klagen erhoben haben, beigetragen hat.
1. In Bezug auf die Rechtsmittel, die die gegen die Erklärung der Euro-Gruppe vom 25.03.2013 gerichteten Nichtigkeitsklagen betreffen (verbundene Rechtssachen C-105/15 P bis C-109/15 P), ist der EuGH der Auffassung, dass das EuG zutreffend entschieden hat, dass die Erklärung der Euro-Gruppe nicht als ein gemeinsamer Beschluss der Kommission und der EZB angesehen werden kann. Die der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM-Vertrags übertragenen Funktionen umfassten nämlich keine Entscheidungsbefugnis im eigentlichen Sinne, zumal die Tätigkeiten dieser beiden Organe im Rahmen des ESM-Vertrags nur den ESM verpflichteten. Der Umstand, dass die Kommission und die EZB an den Sitzungen der Euro-Gruppe teilnehmen, ändere nichts an der Natur der Erklärungen der Euro-Gruppe, so dass ihre Erklärung vom März 2013 nicht als Ausdruck einer Entscheidungsbefugnis dieser beiden Unionsorgane angesehen werden könne. Schließlich könne nicht davon ausgegangen werden, dass den zyprischen Behörden der Erlass des für die Umstrukturierung der Kreditinstitute erforderlichen rechtlichen Rahmens durch einen vermeintlichen gemeinsamen Beschluss der Kommission und der EZB, der in der Erklärung der Euro-Gruppe vom März 2013 verkörpert sein soll, vorgeschrieben worden wäre. Der EuGH hat daher die Rechtsmittel zurückgewiesen und die Beschlüsse des EuG vom 16.10.2014 bestätigt.
2. In Bezug auf die Rechtsmittel, die die Schadensersatzklagen betreffen (verbundene Rechtssachen C-8/15 P bis C-10/15 P), ist der EuGH der Auffassung, dass der Umstand, dass die der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM-Vertrags übertragenen Funktionen keine Entscheidungsbefugnis im eigentlichen Sinne umfassen und nur den ESM verpflichten, es nicht ausschließt, von der Kommission und der EZB Schadensersatz wegen ihres vermeintlich rechtswidrigen Verhaltens beim Abschluss eines Memorandum of Understanding im Namen des ESM zu fordern. Die der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM übertragenen Aufgaben verfälschten nämlich nicht die Befugnisse, die ihnen der EU-Vertrag und der AEU-Vertrag übertragen. Somit behalte die Kommission im Rahmen des ESM-Vertrags ihre Rolle als Hüterin der Verträge, wie sie sich aus Art. 17 Abs. 1 EUV ergebe, so dass sie davon Abstand nehmen müsse, ein Memorandum of Understanding zu unterzeichnen, dessen Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht sie bezweifele. Der EuGH hat daraus geschlossen, dass das EuG rechtsfehlerhaft festgestellt hat, dass es nicht befugt sei, die auf die Rechtswidrigkeit einiger Bestimmungen des Memorandum of Understanding gestützten Schadensersatzklagen zu prüfen. Er hat daher die Beschlüsse vom 10.11.2014 aufgehoben.
3. Da die Rechtssachen entscheidungsreif sind, hat der EuGH beschlossen, selbst über die Schadensersatzklagen zu entscheiden. Insoweit hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die außervertragliche Haftung der Union vom Vorliegen einer Reihe von Voraussetzungen abhängt, und zwar erstens der Rechtswidrigkeit des dem Unionsorgan vorgeworfenen Verhaltens, zweitens dem tatsächlichen Bestehen des Schadens und drittens der Existenz eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem Verhalten und dem geltend gemachten Schaden. Was die erste Voraussetzung anbelange, müsse ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm nachgewiesen werden, die dem Einzelnen Rechte verleihen solle. Diese Rechtsnorm sei im vorliegenden Fall Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU, in dem es heißt, dass jede Person das Recht habe, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen. Zwar führten die Mitgliedstaaten im Rahmen des ESM-Vertrags nicht das Unionsrecht durch, so dass die Charta in diesem Rahmen nicht für sie gelte (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 27.11.2012 - C-370/12); für die Unionsorgane gelte die Charta jedoch auch dann, wenn sie außerhalb des EU-Rechtsrahmens handelten. Die Kommission müsse sich daher vergewissern, dass ein solches Memorandum of Understanding mit den in der Charta verbürgten Grundrechten vereinbar sei. Gleichwohl sei die erste Voraussetzung für die Begründung der außervertraglichen Haftung der Union im vorliegenden Fall nicht erfüllt: Die Annahme des fraglichen Memorandum of Understanding entspreche nämlich einem dem Gemeinwohl dienenden Ziel der Union, und zwar dem, die Stabilität des Bankensystems der Euro-Währungsgebiets insgesamt sicherzustellen. Unter Berücksichtigung dieses Ziels und der Art der geprüften Maßnahmen und in Anbetracht der den Einlegern bei den beiden betroffenen Banken im Fall von deren Zahlungsunfähigkeit unmittelbar drohenden Gefahr finanzieller Verluste stellten diese Maßnahmen keinen unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff dar, der das durch Art. 17 Abs. 1 der Charta gewährleistete Eigentumsrecht der Einleger in seinem Wesensgehalt antaste. Sie könnten daher nicht als ungerechtfertigte Beschränkungen dieses Rechts angesehen werden. Die Kommission habe demnach nicht zu einer Verletzung des Eigentumsrechts der Personen, die die Klagen erhoben hätten, beigetragen. Da die erste Voraussetzung für die Begründung der außervertraglichen Haftung der Union nicht erfüllt sei, hat der EuGH die Schadensersatzklagen abgewiesen.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 102/2016 v. 20.09.2016

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