Veröffentlicht: 19.02.2017, 18:59 Uhr
Athen braucht neue KreditrateNeuer Nervenkrieg um Griechenlands Zukunft
Die Regierung Tsipras braucht von den Gläubigern dringend die nächste Kreditrate. Doch Zugeständnisse will sie dafür nicht machen.
19.02.2017, von TOBIAS PILLER, ROM
Griechenland steht schon wieder im Mittelpunkt eines Nervenkrieges. Der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras war von vielen Seiten, auch im eigenen Land, ein schneller Abschluss der Verhandlungen empfohlen worden, um damit die Auszahlung der nächsten Kredittranche sicherzustellen. Das Treffen der Finanzminister des Euroraums an diesem Montag wäre eine günstige Gelegenheit gewesen, die Frage der nächsten Auszahlung an Griechenland vom Tisch zu bekommen, bevor die Stimmung in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland vom Wahlkampf geprägt wird.
Griechenland muss im Juli Kreditraten von insgesamt 6,2 Milliarden Euro bezahlen und braucht spätestens zu diesem Zeitpunkt frische Mittel von den europäischen Geldgebern, um nicht zahlungsunfähig zu werden. Die zuletzt wieder verringerten Kundeneinlagen bei den griechischen Banken sind ein Indiz für neue Nervosität bei den Griechen, die eine endgültige Rettung und Stabilisierung ihres Landes noch lange nicht gesichert sehen.
Eine endgültige Einigung über die Auszahlung der nächsten Kreditrate an Griechenland während des Treffens der Eurogruppe der Finanzminister an diesem Montag scheint ausgeschlossen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte am Sonntagabend in der ARD, er erwarte doch noch eine Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Wenn Griechenland seine Reformauflagen erfülle, dann habe sich der IWF schon 2015 verpflichtet, sich mit einem eigenen Programm zu beteiligen: „Und davon gehe ich aus, dass das jetzt auch in den nächsten Wochen erreicht werden kann.“
Ganz ausgemacht ist das allerdings nicht. Neues Gezerre zwischen drei verschiedenen Parteien droht. Der IWF hat seine Konditionen schon vor einigen Tagen klargemacht: Bedingung für eine Beteiligung des IWF an weiteren Krediten ist ein Schuldenschnitt für Griechenland, für den die europäischen Gläubiger aufkommen müssten. „Griechenland kann nicht aus seinem Schuldenproblem herauswachsen“, schrieb der IWF in seinem Länderbericht. Nach 2030 werde der Brutto-Finanzierungsbedarf Griechenlands 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen und bis auf 60 Prozent des BIP weiterwachsen.
Tsipras lehnt weitere Einschnitte rundweg ab
Die Annahmen für diese Rechenmodelle sind entsprechend negativ: Griechenland werde nur ein reales Durchschnittswachstum von 1 Prozent erreichen, die Produktivität werde niedrig bleiben. Das von den Geldgebern (auch dem IWF) in den Vereinbarungen für das Rettungsprogramm festgeschriebene Haushaltsziel mit einem Primärüberschuss (ohne Berücksichtigung der Zinsausgaben) von 3,5 Prozent des BIP im Jahr 2018 sei zu ambitioniert und nicht durchzuhalten.
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Wenn die Europäer Griechenland auf ihre Weise stabilisieren wollten, mit einem Primärüberschuss von 3,5 Prozent des BIP ab dem Jahr 2018, heißt es in einem zweiten Argumentationsschritt, dann seien noch mehr Einschnitte im Haushalt nötig. Für nordeuropäische Geldgeber wie Deutschland ist dieser Teil der IWF-Analyse eine Steilvorlage, um zu belegen, wie sehr die griechische Regierung bisher hinter ihren Versprechen zurückgeblieben ist. Zusammen mit dem IWF verlangen die kritischen Europäer Garantien und automatische Mechanismen, damit Griechenland über das Jahr 2018 und damit das Ende des laufenden Rettungsprogramms hinaus seine Staatsfinanzen stabilisiert. Zudem werden neue Einschnitte gefordert, damit Griechenland überhaupt die Zielgröße für 2018 erreicht. Dazu gehören Einschnitte bei den Renten und bei den Freibeträgen der Einkommensteuer.
Ministerpräsident Tsipras lehnt dagegen weitere Einschnitte rundweg ab und sieht viele Griechen hinter sich, die schon über hohe Steuern und rund zehn Runden von Rentenkürzungen stöhnen. Tsipras gefällt sich in der Rolle des Verteidigers der Interessen der kleinen Leute, der Widerstand gegenüber den Geldgebern leistet. Lauthals fordert er auch noch einen Schuldenschnitt. Zugleich setzt er damit aber die Zukunftsperspektiven aufs Spiel, die eine wirtschaftliche Erholung erleichtern könnten: Mit einer Einigung besteht die Aussicht auf Abschaffung von Kapitalverkehrskontrollen, und die Aufnahme griechischer Staatstitel in die Kaufprogramme der Europäischen Zentralbank. Beides würde die Zinsen kräftig senken und der griechischen Wirtschaft helfen.
Griechenland muss schneller wachsen können, als der IWF vorsagt
In der Mitte des streitenden Dreiecks suchen Vertreter europäischer Institutionen Kompromisse und wollen besänftigen. Der Chef des europäischen Staatenrettungsfonds ESM, Klaus Regling, sagte am Wochenende, dass Griechenland bisher vom dritten Rettungsprogramm erst 32 Milliarden Euro ausbezahlt bekommen hat und wohl nicht das gesamte Volumen von 86 Milliarden Euro in Anspruch nehmen müsse. Der ESM, eine der europäischen Gläubigerinstitutionen, hat schon im Januar Maßnahmen beschlossen, die Griechenlands Schuldenberg langfristig um bis zu 20 Prozent schrumpfen lassen könnten.
Da geht es etwa um niedrige Zinssätze, die festgeschrieben werden, während Griechenland bisher für seine 225 Milliarden Euro an europäischen Darlehen mit einem variablen Zinssatz kalkulieren muss - der beträgt allerdings gegenwärtig nur 1 Prozent. Diese Kalküle betreffen aber weniger die Zahlungstermine der Schulden aus Athen, als vielmehr die Kalkulationsmodelle über die Stabilität der griechischen Schulden. Die lagen Ende 2016 insgesamt bei 326 Milliarden Euro, bei einem BIP 2017 von rund 177 Milliarden Euro, woraus sich für den IWF eine Schuldenquote von 184 Prozent ergibt.
Alles hängt davon ab, ob Griechenland künftig schneller wachsen kann als die 1 Prozent, die der IWF vorhersagt. Die EU-Kommission kalkuliert für 2017 mit einem realen Wachstum von 2,7 Prozent und im kommenden Jahr mit 3,1 Prozent. Würde von 2018 bis 2020 der konservative Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis sein Versprechen von mehr als 4 Prozent Wachstum realisieren, könnte Griechenland schon bei mäßiger Inflation von 2 Prozent Ende 2020 bei einem Schuldenstand von etwa 153 Prozent des BIP ankommen. Mitsotakis wünscht sich, dazu Wachstumskräfte zu entfesseln. Der amtierende Ministerpräsident Tsipras stemmt sich dagegen immer gegen die nötigen Strukturreformen, um seine Wählerklientel zu schützen.
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