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Sonntag, 4. September 2016

Stärker als die CDU „Die AfD ist auf dem Weg zur neuen Volkspartei“ Zum ersten Mal zieht die AfD in Deutschland in einem Länderparlament an der CDU vorbei. Schon träumen die Rechtspopulisten von ähnlichen Ergebnissen in weiteren Bundesländern – und in der Union ist die Schuldige für viele schon ausgemacht.

Stärker als die CDU„Die AfD ist auf dem Weg zur neuen Volkspartei“

Zum ersten Mal zieht die AfD in Deutschland in einem Länderparlament an der CDU vorbei. Schon träumen die Rechtspopulisten von ähnlichen Ergebnissen in weiteren Bundesländern – und in der Union ist die Schuldige für viele schon ausgemacht.
 von  UND 
© REUTERSAnreise mit dem Motorboot: AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm kommt beim Schweriner Schloss an.
Als um 18 Uhr der blaue Balken in der Prognose nach oben schnellt, bricht bei der AfD Jubel aus – und die Bestürzung bei allen anderen, vor allem aber bei der CDU, ist groß. Die schlimmsten Befürchtungen der Christdemokraten für die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern haben sich bestätigt: Mit 21,5 Prozent der Stimmen sind die Rechtspopulisten zweitstärkste Kraft nach der SPD geworden – noch vor der CDU.
Dass die AfD ausgerechnet im Wohnzimmer von Angela Merkel dieCDU besiegt – das ist ein Menetekel, darin sind sich die Beobachter an diesem Abend einig, das weitreichende Folgen für die Bundespolitik haben und womöglich sogar den Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkel einläuten kann.

Petry: Anderen Parteien haben Wähler zu lange nicht gehört

„Wir schreiben hier heute in Mecklenburg-Vorpommern Geschichte", sagte der AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm am Sonntagabend und sah in dem Wahlergebnis eine „Quittung“ für Kanzlerin Merkel. Und der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Jörg Nobis träumte von seiner Partei gar schon als „neuer Volkspartei“ und rechnet bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im kommenden Mai mit einem „deutlich zweistelligen Resultat“.

Auch der AfD-Bundesvorsitzenden Frauke Petry stand die Genugtuung ins Gesicht geschrieben, als sie kurz darauf im Fernsehen eine erste Reaktion abgab. Sie spricht von einer „Klatsche für Angela Merkel." Der Triumph ihrer Partei sei nicht nur ein Sieg über die CDU, sagte sie, sondern ein Signal gegen alle bisherigen Landtagsparteien, sagte sie. Die AfD habe aus allen Parteien Wähler für sich gewinnen können, so Petry. „Das liegt daran, dass sie die Wähler zu lange nicht gehört haben."
Was die AfD dem entgegensetzen will, dazu blieb Petry am Abend im ZDF schwammig: Sie sprach davon, auf „demokratischem Wege“, die Politik verändern und keine „Radikalopposition“ betreiben zu wollen. Trotzdem will die Partei auch in Schwerin keine Koalition eingehen. Was sich aber schon dadurch erübrigt, dass alle anderen Parteien ein Bündnis mit den Rechtspopulisten längst ausgeschlossen haben.
© REUTERS, REUTERSAfD landet bei Wahl in Mecklenburg-Vorpommern vor der CDU

Großes Entsetzen bei der CDU

Bei der CDU war das Entsetzen am Sonntagabend gewaltig. CDU-Generalsekretär Peter Tauber bezeichnete das Abschneiden seiner Partei als „bitteres Ergebnis“, das er auf weit verbreiteten „Unmut und Protest“ in der Bevölkerung zurückführte. Dies habe offensichtlich zu großen Teilen „mit der Diskussion über die Flüchtlinge“ zu tun, sagte er am Sonntagabend in Berlin.
Das Ergebnis sei ein Denkzettel für die große Koalition, sagte auch der CDU-Politiker Michael Grosse-Brömer. Offenbar müsse die Bundesregierung gerade die Flüchtlingspolitik besser erklären und den Menschen klarmachen, dass viele Sorgen vor Ort unnötig seien. Eine Politikänderung gegenüber der AfD halte er nicht für notwendig. 75 Prozent der AfD-Wähler wollten gar keine Lösungen. Das seien Proteststimmen.
42198651© AFPVergrößernEin Wahlabend, der ihre Stellung in der Union nicht eben leichter macht: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag bei der Abschlusskundgebung in Bad Doberan
Auch der Generalsekretär der sächsischen CDU, Michael Kretschmer, sieht seine Partei nach den Verlusten nun in der Pflicht, Politik verständlicher zu machen. „Die CDU muss daraus den Auftrag ableiten, konsequent Politik zu machen und viel mehr zu erklären“, sagte Kretschmer der Deutschen Presse-Agentur. In ihrer Flüchtlingspolitik sei die Union durch die Wahl bestätigt worden. „CDU/CSU liegen damit richtig, die Zuwanderung zu beschränken und konsequent für Integration und Durchsetzung unseres Rechts einzutreten.“ Die Verluste beiSPD und Grünen seien hingegen „die Abwahl linker Vorstellungen zur Lösung der Flüchtlingsfrage“.

„Frau Merkel macht die Radikalen immer stärker“

Eine Ahnung, welche Diskussionen der Union – und vor allem Angela Merkel – in den kommenden Wochen bevorstehen, gab am Sonntagabend niemand aus der CDU, sondern der baden-württembergische FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke, der explizit der Kanzlerin die Schuld am Erfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern gab. Das Wahlergebnis sei vollständig von ihrer Flüchtlingspolitik überlagert. „Frau Merkel schickt sich mit ihren Fehlern und ihrer Sturheit an, die Radikalen immer stärker zu machen“, sagte Rülke in Stuttgart.
Angela Merkel hat die Dringlichkeit der Situation offenbar erkannt – und die Symbolik des AfD-Erfolgs auf den Tag genau ein Jahr nach Merkels Entscheidung, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge nach Deutschland zu lassen. Am Abend hieß es, sie wolle sich am Montag vom G20-Gipfel in China zum Wahlausgang in Schwerin äußern. Und, ebenfalls ungewöhnlich: Nach ZDF-Informationen will die Kanzlerin eine Sitzung beim Gipfel schwänzen, um an der Telefonkonferenz des CDU-Vorstandes teilnehmen zu können. Merkel will die Deutungshoheit über das Wahlergebnis, das am Montag für heftige Debatten in der Union führen wird, offenkundig nicht aus den Händen geben.


Doch nicht nur der CDU, sondern auch allen anderen Parteien dürfte nach diesem Wahlabend die Katerstimmung befallen. Denn nach ersten Berechnungen hat die AfD bei der Landtagswahl aus allen Parteien Wähler abgeworben. 17 Prozent der AfD-Wähler vom Sonntag haben bei der Landtagswahl 2011 demnach noch die SPD gewählt, 15 Prozent die CDU, 12 Prozent die Linkspartei. Mit am meisten Wähler (16 Prozent) hat die AfD demnach von der NPD abgeworben, die mit rund 3 Prozent nicht mehr im Schweriner Landtag vertreten sein wird.

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