ReferendumItaliener lehnen Verfassungsreform ab
Die Mehrheit der Italiener hat Prognosen zufolge gegen die Verfassungsreform und damit gegen die Regierung von Ministerpräsident Matteo Renzi gestimmt. Luxemburgs Außenminister sieht im Nein keine Niederlage für Europa.
04.12.2016
© APItaliens Ministerpräsident Matteo Renzi und seine Frau Agnese bei der Stimmabgabe am Sonntagmorgen nahe Florenz
Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi ist Prognosen zufolge mit seiner Verfassungsreform gescheitert. Der Regierungschef will sich gegen Mitternacht äußern. Das teilte der stellvertretende Parteisekretär von Renzis Partito Democratico (PD), Lorenzo Guerilli, am Sonntagabend mit.
Ersten Prognosen zufolge stimmte die Mehrheit der Italiener in einem Referendum am Sonntag klar gegen das Vorhaben, das das Regieren leichter machen und Blockaden auflösen sollte. 56 bis 60 Prozent votierten gegen die Verfassungsänderung, 40 bis 44 Prozent stimmten dafür, wie aus der Prognose des öffentlichen Senders Rai hervorging. Die Prognosen von Mediaset und des Senders La7 lagen bei 55 bis 59 Prozent für Nein und 41 bis 45 Prozent für Ja. Die Wahlbeteiligung war sehr hoch und lag dem Innenministerium zufolge bei fast 70 Prozent.
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Die Rechtspopulisten der Lega Nord sehen sich als Sieger der Volksabstimmung. Wenn sich die Prognosen bewahrheiten sollten, sei es ein „Sieg des Volkes gegen die starken Mächte“, sagte Parteichef Matteo Salvini am Sonntag. Er rief Renzi zum Rücktritt auf, wenn die Italiener die Verfassungsreform wirklich abgelehnt hätten.
Unruhige Zeiten in Europa
Renzi hatte vor der Abstimmung in Aussicht gestellt, bei einem „Nein“ zurückzutreten. Für den Fall eines Scheiterns waren zudem neue Turbulenzen an den Finanzmärkten und in der Eurozone erwartet worden. Renzi selbst hatte sich von einem Ja Rückenwind für Veränderungen in Europa erhofft. Erst Ende Juni hatten die Briten mit ihrem Votum für einen Austritt aus der EU geschockt.
Nächstes Jahr dürfte Europa auch kaum zur Ruhe kommen, stehen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland doch wichtige Wahlen an. Alles Länder, in denen populistische Parteien von der Angst der Bürger vor Wohlstandsverlust, Problemen aus der Flüchtlingskrise und Machtverlust an die EU profitieren. Am Sonntag mussten die Populisten in Österreich bei den Präsidentschaftswahlen jedoch eine Niederlage einstecken: Der Kandidat der FPÖ, Norbert Hofer, verlor klar gegen den Gegenkandidaten und ehemaligen Grünen-Chef Alexander Van der Bellen.
Luxemburgs Asselborn: „Innenpolitische Auseinandersetzung“
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn versuchte sich Sonntagnacht in Schadensabgrenzung. Er erwarte nach dem absehbaren Nein der Italiener zur Verfassungsreform zunächst keine drastischen Folgen für die Europäische Union. „Ich sehe keine Niederlage für Europa“, sagte er. „Italien hat über eine Reform abgestimmt. Es wäre falsch, das jetzt auf die europäische Ebene zu ziehen. Das war eine innenpolitische Auseinandersetzung.“
Allerdings befürchtet er Turbulenzen für den Euro, sollte es in Italien eine längere Phase der Unsicherheit geben. „Für den Euro wäre es schlecht, wenn sich die Regierungskrise lange hinzöge“, sagte er. Er rechne mit einer raschen Lösung.
Bereits kurz nach Bekanntwerden der ersten Hochrechnungen zum Referendum verlor der Euro an Wert. Im Vergleich zum Dollar rutschte die Gemeinschaftswährung bis kurz vor Mitternacht um 1,1 Prozent ab. Der Schweizer Franken legte hingegen zu. Er gilt an den Finanzmärkten als sicherer Hafen.
Staatspräsident Mattarella muss entscheiden
Alle Augen werden sich nach dem „Nein“ der Italiener nun vor allem auf Staatspräsident Sergio Mattarella richten, der jetzt entscheiden muss, wie es weiter geht. Bei einem Rücktritt Renzis ist es möglich, dass eine Übergangsregierung aus Technokraten eingesetzt wird, bis es neue Parlamentswahlen 2018 gibt. Möglich sind aber auch Neuwahlen im kommenden Jahr. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Renzi nicht zurücktritt oder dass Mattarella ein Rücktrittsgesuch Renzis ablehnt.
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Für den Sozialdemokraten und seine Partei Partito Democratico (PD) ist das Ergebnis die schwerste Schlappe der fast dreijährigen Amtszeit. Gegner der Reform waren unter anderem die euro-kritische Fünf-Sterne-Protestbewegung, die rechtspopulistische Lega Nord und die Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi.
Gefahr für die angeschlagenen Banken
Im Vorfeld hatten Experten vor Marktturbulenzen im hochverschuldeten Italien nach einem „Nein“ gewarnt. Denn politische Instabilität könnte die lahme italienische Wirtschaft weiter belasten und Krisenbanken wie Monte dei Paschi di Siena weiter nach unten reißen.
Die „Boschi-Reform“, benannt nach der Reformministerin Maria Elena Boschi im Renzi-Kabinett, sollte das Zwei-Kammer-System vereinfachen. So sollte der Senat von 315 Mitgliedern auf 100 gestutzt und nicht mehr vom Volk gewählt werden. Auch hätte er nicht mehr das Recht gehabt, über alle Gesetze abzustimmen. Renzi hatte argumentiert, dass damit die dauernden Regierungsblockaden in Italien aufgelöst würden.
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