VenezuelaKehrtwende Marke Kuba
Venezuela stimmt einer Annäherung an die Vereinigten Staaten zu. Das Dialogangebot aus Washington gewährt dem schwer angeschlagenen Präsidenten Nicolás Maduro Luft und Zeit.
15.06.2016, von MATTHIAS RÜB, SÃO PAULO
Es ist das Modell Kuba, das die Vereinigten Staaten nun auch auf Venezuela anwenden wollen: Annäherung und Dialog statt Isolation und Drängen auf Regimewechsel. Die venezolanische Regierung hat den Annäherungsversuch begrüßt. Für Washington wie für Caracas ist das eine Kehrtwende. Noch im März vergangenen Jahres hatte Präsident Barack Obama das sozialistische Regime in Caracas unter Präsident Nicolás Maduro als „außerordentliche Bedrohung für die nationale Sicherheit“ der Vereinigten Staaten bezeichnet und Sanktionen gegen ranghohe Vertreter des Regimes verhängt. In diesem Jahr wurden die Sanktionen verlängert. Die Strafmaßnahmen waren eine Reaktion auf das blutige Niederschlagen der Proteste der Opposition 2014 durch das Regime in Caracas sowie auf die abermals verschärfte Repression gegen die Opposition in Venezuela. Der Oppositionsführer Leopoldo López war in einem skandalösen Verfahren als angeblicher Aufwiegler zu fast 14 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Präsident Maduro seinerseits wirft den Vereinigten Staaten vor, mit einem „Wirtschaftskrieg“ maßgeblich für die schwere Krise in dem Land verantwortlich zu sein und sogar eine Invasion in Venezuela zu planen. Mit dieser Begründung ließ Maduro Mitte Mai die Streitkräfte, die Nationalgarde und regierungstreue Milizen beim größten Manöver in der Geschichte die Verteidigung des Vaterlandes gegen einen „amerikanischen Überfall“ üben.
Nun senden beide Hauptstädte ganz andere Signale aus. Außenminister John Kerry war am Dienstag am Rande der 46. Vollversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Santo Domingo in der Dominikanischen Republik mit seiner venezolanischen Amtskollegin Delcy Rodriguez zusammengekommen. Dabei wurden weitere Gespräche zwischen ranghohen Vertretern beider Staaten vereinbart. Bei dem OAS-Treffen äußerte Kerry zudem, dass Washington gegen einen vorübergehenden Ausschluss Venezuelas aus der ältesten Staatengemeinschaft der westlichen Hemisphäre sei. Damit nahm Washington explizit Stellung gegen OAS-Generalsekretär Luis Almagro, der vor zwei Wochen den Prozess in Gang gesetzt hatte, die Inter-Amerikanische Demokratische Charta gegen Venezuela zur Anwendung zu bringen. Wenn 24 der 34 Mitgliedstaaten in einer Abstimmung im Plenum der OAS die Ansicht vertreten, dass ein OAS-Mitglied gegen die „Magna Charta“ demokratischer Grundrechte verstoßen hat, dann erfolgt die Suspendierung der Mitgliedschaft des betreffenden Mitglieds.
Mehr zum Thema
Die OAS-Mitgliedschaft Kubas war 1962 auf Drängen der Vereinigten Staaten – als Reaktion auf die kubanische Revolution 1959 – suspendiert worden. Nach der jüngsten Annäherung Washingtons an Havanna hatten Präsident Barack Obama und Außenminister Kerry zu verstehen gegeben, dass Washington einen Antrag Havannas auf Wiederherstellung der vollen Mitgliedschaft Kubas unterstützen würde. Worauf Kubas Staats- und Parteichef Raúl Castro wissen ließ, Kuba werde sich niemals mehr um die OAS bemühen, denn die Organisation sei historisch obsolet.
Die venezolanische Opposition hatte die Initiative Almagros zu Sanktionen gegen das Regime Maduro begrüßt. Denn ungeachtet des Sieges des Oppositionsbündnisses MUD bei den Parlamentswahlen vom Dezember und gegen den Willen der Zweidrittelmehrheit der MUD in der neuen Nationalversammlung regiert Maduro per Notstandsverfügung und Dekret wie ein Alleinherrscher. Das legislative Verfassungsorgan ist entmachtet. Die politischen Gefangenen sind trotz eines vom Parlament verabschiedeten Amnestiegesetzes weiter in Haft, Proteste gegen die katastrophale Versorgungslage werden brutal niedergeschlagen, und das vom MUD angestoßene Referendum zur Amtsenthebung Maduros wird von der gleichgeschalteten Wahlbehörde systematisch verschleppt. Derweil bemüht sich der Oppositionsführer Henrique Capriles bei Reisen nach Paraguay, Argentinien und Brasilien um politische Unterstützung – mit mäßigem Erfolg.
Das Dialogangebot Washingtons dürfte dem wegen der Versorgungslage schwer angeschlagenen Maduro ein wenig Luft und Zeit in der Bedrängnis gewähren. Jedenfalls zeigte sich Maduro sofort einverstanden, eine „neue Etappe des Dialogs“ mit Washington zu eröffnen. Caracas sei bereit, bald wieder Botschafter mit Washington auszutauschen; seit 2010 werden die diplomatischen Vertretungen der beiden Staaten jeweils nur von Geschäftsträgern geführt. Kerrys erfahrener Lateinamerika-Sonderbeauftragter Tom Shannon soll schon in den kommenden Tagen nach Caracas zu Gesprächen mit der venezolanischen Regierung reisen. Kerry sagte zwar, Washington unterstütze den „verfassungsgemäßen Prozess“ zur Abhaltung des Referendums. Zum entscheidenden Streit, ob die Volksabstimmung wie von der Opposition gefordert noch in diesem Jahr stattfinden soll, um bald neue Präsidentenwahlen zu erreichen, oder ob das Referendum erst 2017 stattfinden soll, wie es das Regime will, hat Washington bislang nicht Stellung genommen.
Noch eine weitere Parallele zum Modell Kuba gibt es bei der jüngsten Annäherung Washingtons an Caracas: Während die Opposition sich mehr Druck auf das undemokratische Regime aus dem Westen erhofft hätte, befürwortet die amerikanische Regierung ausdrücklich eine Vermittlerrolle des Vatikans. Anders als in Kuba ist es dazu in Venezuela aber noch nicht gekommen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen