Bankenkrise und Staatsverschuldung
Italien: Der gefährliche Teufelskreis
von Lothar Gries
Stand: 06.09.2016, 16:57 Uhr
Italien bleibt für Millionen Touristen aus aller Welt ein Sehnsuchtsort. Doch das Bel paese steht vor Problemen epischen Ausmaßes. Neben den altbekannten Leiden Korruption und Betrug sind es jetzt die Banken, die Sorgen machen. Was kommt da auf uns zu?
Bis zum Jahresende sollen Italiens schlimmste Krisenbanken rekapitalisiert werden. So wünscht es sich zumindest Regierungschef Matteo Renzi. Tatsächlich braucht die seit Jahren kriselnde Monte dei Paschi di Siena (MPS) dringend mindestens fünf Milliarden Euro frisches Geld. Bei der UniCredit geht es um ein Volumen zwischen sieben und acht Milliarden Euro.
Ob sich daran auch der Staat beteiligen wird, ist offen. Das Finanzministerium will sich erst dazu äußern, wenn die Details feststehen. Der Staat ist inzwischen größter Anteilseigner der MPS. Das 1472 gegründete Geldhaus schnitt beim jüngsten Stresstest der EU-Bankenaufseher so schlecht ab wie kein anderes Institut in Europa. Insidern zufolge will es nun versuchen, durch die Umwandlung von Anleihen in Aktien das Volumen der geplanten Kapitalerhöhung zu drücken. Auch sollen notleidende Kredite im Umfang von 27,7 Milliarden Euro zu einem Drittel ihres Buchwerts verbrieft und dann verkauft werden.
360 Milliarden faule Kredite
Monte dei Paschi leidet wie die meisten italienischen Banken unter einem unvorstellbarem Berg fauler Kredite. Deren Volumen summiert sich inzwischen auf geschätzte 360 Milliarden Euro - ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung (BIP) des Landes.
Börsen-Experten wie Robert Halver sprechen inzwischen von einer Krise epischen Ausmaßes. Sie befürchten, dass die italienische Bankenkrise eine neue Euro-Finanzkrise lostreten könnte. Denn im Fall einer Pleite würde etwa eine MPS auch Institute in anderen Ländern empfindlich treffen, weil die Banken europaweit eng miteinander verflochten seien. Diese Erklärung wurde bereits in der Finanzkrise 2009 vorgebracht, um zumindest in Europa keine Bank Pleite gehen zu lassen, weil dann ein Zusammenbruch des gesamten Finanzsystems befürchtet wurde.
Bruttoinlandsprodukt Italiens und Deutschlands in Mrd. Euro. | Bildquelle: EU-Kommission, Grafik: boerse.ARD.de
Bankenpleite hätte verheerende Folgen
Im Fall einer Pleite italienischer Banken müssten vor allem französische Geldhäuser zittern: Mit 250 Milliarden Euro stünden sie an der Spitze der Gläubiger, hat die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) ausgerechnet. Auch für die deutschen Institute hätten Insolvenzen in Italiens Bankenbranche weitreichende Folgen, sie haben über 80 Milliarden Euro im Feuer - fast so viel wie spanische und US-amerikanische Kreditinstitute zusammen.
Die kriselnde Finanzbranche lähmt auch die Konjunktur Italiens. Von April bis Juni stagnierte das Bruttoinlandsprodukt der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone. Damit hinkt das Land dem Währungsraum hinterher, wo die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal im Schnitt um 0,3 Prozent zulegte. Und weil die Banken mittlerweile so geschwächt sind, kommt die Konjunktur nur schleppend in Gang.
ITALIENS PROBLEMLISTE
Renzi will neue Kredite aufnehmen
Ein Teufelskreis für das Land und ein bedrohlicher Rückschlag für einen Regierungschef, der einst angetreten war, um das alte System aus Korruption, Steuerbetrug und Unterschlagung zu "verschrotten" und Italien nach drei Jahren Rezession wieder auf Kurs zu bringen. Doch viel hat Renzi bisher nicht erreicht. Für dieses Jahr peilt die Regierung gerade mal ein Wachstum von 1,2 Prozent an, nach plus 0,8 Prozent im vorigen Jahr.
Ein ehrgeiziges Ziel, das aus eigener Kraft kaum zu schaffen ist. Renzi will deshalb im Herbst mit einem milliardenschweren Konjunkturprogramm noch einmal Stimmung machen. Dazu müsste er allerdings neue üppige Kredite aufnehmen. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel, ebenso wie die EU-Führung in Brüssel, ein Horrorszenario, hat Italien bei der Staatsverschuldung doch bereits die Rekordmarke von 2,25 Billionen Euro erreicht - ungefähr 135 Prozent der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung. Nur in Griechenland ist die Lage noch schlimmer. Die Maastricht-Regeln sehen eine Maximalverschuldung von 60 Prozent des BIP vor.
Matteo Renzi. | Quelle: picture-alliance/dpa
Referendum am 6. November
Allerdings wissen auch die Verantwortlichen in Berlin und Brüssel, dass Renzis politisches Schicksal in diesem Herbst auf dem Spiel steht. Am 6. November sollen die Bürger über die einzige, bislang von dem Regierungschef auf den Weg gebrachte größere Reform abstimmen: Den Umbau des parlamentarischen Zwei-Kammer-Systems. Renzi befürchtet nun, dass viele Bürger wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise das Referendum zur Protestwahl nutzen könnten.
Vor diesem Termin soll deshalb kein Inhaber von Bankanleihen durch Verluste wegen Pleiten gegen die Regierung aufgebracht werden. Deshalb wird derzeit auch mit Hochdruck an der Rekapitalisierung der Krisenbanken gearbeitet. Und auch Merkel & Co wissen, dass ein krisengeschütteltes Italien ganz Europa infizieren könnte. Schließlich stehen in Frankreich und Deutschland im nächsten Jahr Wahlen an.
Ende der Bankenkrise nicht in Sicht
Wird Italien also weitere Schulden machen dürfen, während in Deutschland mangels Investitionen die Infrastruktur verrottet? Verständnis für die italienischen Schuldenmacher kommt in diesem Sommer ausgerechnet von den Zentralorganen der Kapitalisten, der "Financial Times" und dem "Wall Street Journal". Beide Zeitungen warben kürzlich dafür, Renzi die Maßnahmen ergreifen zu lassen, die er für richtig hält (also noch mehr Schulden zu machen), weil ein Nein beim Referendum im November Italien und damit Europa in eine schwere Krise stürzen würde.
Prof. Dr. Thomas Mayer. | Bildquelle: Flossbach von Storch
Für den angesehenen Ökonomen Thomas Mayer vom Flossbach von Storch Research Institute wird eine Rettung der Monte dei Paschi die italienische Bankenkrise ohnehin nicht lösen können. Im Gegenteil. Der angepeilte Verkauf der notleidenden Kredite von MPS lasse befürchten, dass eine marktnähere Bewertung notleidender Kredite anderer Banken dort ebenfalls zu Aufstockungen des Eigenkapitals führen könnte.
Hinzu komme, dass der italienische Bankensektor langfristig nicht gesunden könne, solange die Wirtschaft am Boden liege. Italien bleibe folglich in einem Teufelskreis gefangen, in dem eine schwache Wirtschaft die Banken schwäche, die wiederum die Schwäche der Wirtschaft verstärkten.
Anleger sollten also auf jeden Fall den Termin und auch das Ergebnis des Referendums vom 6. November im Auge behalten.
Italiens Banken und Luxusmarken
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