Großmanöver von Moskau und MinskNervenkrieg an der Nato-Grenze
Russische und weißrussische Truppen starten ein Großmanöver nahe der Nato-Grenze. Die Übung sei rein defensiv, behaupten Minsk und Moskau. Polen, das Baltikum und die Nato zweifeln daran.
AP/ Vayar Military Agency
Das Szenario geht so: Extremisten dringen in die russische Exklave Kaliningrad und Weißrussland ein. Sie wollen die Regierung in Minsk stürzen, die Lage mit Terroranschlägen destabilisieren. Hilfe bekommen sie dabei von den Nachbarstaaten mit den erfundenen Namen Wesbaria und Lubenia. Die liefern Technik und Waffen zu Boden, über die Ostsee und aus der Luft. Russland und das verbündete Weißrussland schlagen zurück, um den Angriff zu stoppen.
Das ist die Dramaturgie für das Manöver "Sapad", zu Deutsch "Westen", die sich
russische und weißrussische Generäle ausgedacht haben.
Am Donnerstag startet die Großübung an der Grenze zum Baltikum, eine Woche soll es dauern. Seit Monaten sorgt das Manöver an der Nato-Grenze für Unruhe in der Region, gerade auf die baltischen Staaten mit ihren russischen Minderheiten wirkt die Übung bedrohlich.
Auch wenn Moskauer Militärs betonen, dass es sich bei Wesbaria und Lubenia um reine Fantasienamen handele, die mit keiner konkreten Region verbunden seien - Russlandkritiker haben daran ihre Zweifel. Sie glauben, dass hinter den Bezeichnungen die EU- und Nato-Mitglieder Litauen und Lettland stecken könnten. Und es sich eben nicht um eine Verteidigungsübung mit einem "rein defensiven Charakter" handelt, wie die Generäle in Moskau und Minsk behaupten, sondern dass ein Überfall auf Nato-Länder, nämlich das Baltikum und Polen, simuliert werden soll.
Sorge im Baltikum
Hardliner der Nato sprechen in Brüssel von einer bewussten Provokation Russlands. Als "aggressives Manöver gegen den Westen" bezeichnete Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite die Übung.
Russische und weißrussische Generäle halten dem entgegen, dass ihre Armeen das vierte Mal seit dem Zerfall der Sowjetunion zusammen trainieren. Sie tun dies in der Tat alle vier Jahre im Herbst.
Nur hat sich die sicherheitspolitische Lage in der Region seit dem "Sapad"-Manöver 2013 radikal verschlechtert. Seit Russland im Februar 2014 eine Militärübung an seiner Westgrenze nutzte, um die Krim zu annektieren und den Krieg im Osten der Ukraine vorzubereiten, sind die Nachbarn alarmiert. Vieles scheint nunmehr möglich. Das geht sogar so weit, dass die Regierung in Kiew laut befürchtet, die Übung könne dazu genutzt werden, um einen neuen Angriff auf die Ukraine zu planen.
Dafür gibt es allerdings laut westlichen Militärs und Experten derzeit keine Hinweise. Präsident Wladimir Putin hatte zuletzt einen Einsatz von Uno-Blauhelmsoldaten im gesamten Kriegsgebiet im Osten der Ukraine in Aussicht gestellt. Hinzu kommt, dass sich der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko von Putins Ukraine-Politik distanzierte - viele seiner Landsleute haben Angst, dass auch Weißrussland Ziel einer russischen Invasion werden könnte.
Anders als Moskau informierte Minsk - das sich seit Jahren mal Russland, mal dem Westen zuwendet, um für sich wirtschaftlich die beste Unterstützung herauszuholen - frühzeitig über das Manöver. Weißrussland hat eine größere Gruppe von westlichen Militärbeobachtern und Journalisten eingeladen, macht eigene Briefings - um nicht nur als Anhängsel Russlands zu gelten, wie der weißrussische Sicherheitsexperte Andrei Paratnikau dem SPIEGEL sagt (Lesen Sie hier ein Interview).
Furcht vorm "Trojanischen Pferd"
Belege, dass sich Russland mit der Übung in Weißrussland, quasi direkt an der Grenze zum westlichen Militärbündnis, mit Soldaten und Waffen einnisten könne, sieht Paratnikau bisher nicht. Anders als der Kommandeur der US-Truppen in Europa, Ben Hodges. Der hatte vor einem "trojanischen Pferd" gewarnt, andere westliche Militärs dagegen können keine massive Verlegung von schwerem Material und großen Nachschüben beobachten. Ohne diese würde Russland aber nicht lange seine Präsenz in Weißrussland aufrechterhalten können. Bis 30. September, so heißt es in Minsk, würden die russischen Soldaten abziehen.
Hardliner dürfte das kaum überzeugen. Zumal Russland keine Details zum Manöver mitteilte. Immer wieder war Moskau im Nato-Russland-Rat dazu gedrängt worden.
Was bleibt, ist Unsicherheit. Und damit spielt Russland.
Rechnet Russland die Zahl der Soldaten klein?
Wie viele Soldaten wirklich am "Sapad"-Manöver teilnehmen, ist nach wie vor unklar. Offiziell sind es laut Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin 12.700, davon 5500 russische Soldaten. Die Zahl der gemeldeten Soldaten liegt damit knapp unter der Grenze von 13.000, ab dieser wäre Moskau nach dem Wiener Dokument der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verpflichtet gewesen, ausländische Beobachter einzuladen. Russland lässt jedoch nur Vertreter aus dem Baltikum, Schweden, Polen und der Ukraine zu.
Aber was gehört eigentlich zu "Sapad"? Seit Wochen beobachten Nato-Militärs, wie die russische Armee an der gesamten Grenze zum Nato-Gebiet, von der Halbinsel Kola im Norden bis Hunderte Kilometer weiter im Süden, Truppen mobilisiert. Möglich wären auch "Snap Exercises", kleine, schnelle Manöver. Über 100.000 Mann könnten so zusammenkommen, meint auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.
Moskau weist die Zahl zurück, nach russischer Lesart gehören all diese Übungen nicht zu "Sapad", sind Einzeltrainings. Zudem würden auch Soldaten im Westen üben, wie gerade jetzt in der Ukraine beim internationalen Militärmanöver "Rapid Trident" - eine von vielen Provokationen des Westens aus russischer Sicht.
Zurückhaltung bei der Nato
Eine "russische Bedrohung" sei ein Mythos, der von internationalen Medien verbreitet werde, erklärte Vizeverteidigungsminister Fomin bei einer Pressekonferenz in Moskau. Fragen waren nicht zugelassen.
Für die russische Armee, die sich ein jahrelanges Modernisierungsprogramm verordnet hat, geht es vor allem darum, Stärke zu demonstrieren.
Und so liegt die eigentliche Gefahr des Großmanövers laut Diplomaten und unabhängigen russischen und weißrussischen Experten im Unvorhergesehenen. Was ist, wenn es Provokationen oder Grenzverletzungen gibt? Eskaliert die Lage dann?
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat aufgerufen, die Situation zu beobachten, aber sich still zu verhalten. Im Brüsseler Hauptquartier lehnte er zusätzliche Nato-Übungen als Gegengewicht zum russischen Spektakel strikt ab. Stoltenbergs Kalkül laut Nato-Diplomaten: Man wolle Moskau nicht durch spontane Aktivitäten, die als Aggression gedeutet werden könnten, einen Vorwand bieten.
Mitarbeit: Wladimir Schirokow
Am Donnerstag startet die Großübung an der Grenze zum Baltikum, eine Woche soll es dauern. Seit Monaten sorgt das Manöver an der Nato-Grenze für Unruhe in der Region, gerade auf die baltischen Staaten mit ihren russischen Minderheiten wirkt die Übung bedrohlich.
Auch wenn Moskauer Militärs betonen, dass es sich bei Wesbaria und Lubenia um reine Fantasienamen handele, die mit keiner konkreten Region verbunden seien - Russlandkritiker haben daran ihre Zweifel. Sie glauben, dass hinter den Bezeichnungen die EU- und Nato-Mitglieder Litauen und Lettland stecken könnten. Und es sich eben nicht um eine Verteidigungsübung mit einem "rein defensiven Charakter" handelt, wie die Generäle in Moskau und Minsk behaupten, sondern dass ein Überfall auf Nato-Länder, nämlich das Baltikum und Polen, simuliert werden soll.
Sorge im Baltikum
Russische und weißrussische Generäle halten dem entgegen, dass ihre Armeen das vierte Mal seit dem Zerfall der Sowjetunion zusammen trainieren. Sie tun dies in der Tat alle vier Jahre im Herbst.
Nur hat sich die sicherheitspolitische Lage in der Region seit dem "Sapad"-Manöver 2013 radikal verschlechtert. Seit Russland im Februar 2014 eine Militärübung an seiner Westgrenze nutzte, um die Krim zu annektieren und den Krieg im Osten der Ukraine vorzubereiten, sind die Nachbarn alarmiert. Vieles scheint nunmehr möglich. Das geht sogar so weit, dass die Regierung in Kiew laut befürchtet, die Übung könne dazu genutzt werden, um einen neuen Angriff auf die Ukraine zu planen.
Anders als Moskau informierte Minsk - das sich seit Jahren mal Russland, mal dem Westen zuwendet, um für sich wirtschaftlich die beste Unterstützung herauszuholen - frühzeitig über das Manöver. Weißrussland hat eine größere Gruppe von westlichen Militärbeobachtern und Journalisten eingeladen, macht eigene Briefings - um nicht nur als Anhängsel Russlands zu gelten, wie der weißrussische Sicherheitsexperte Andrei Paratnikau dem SPIEGEL sagt (Lesen Sie hier ein Interview).
Furcht vorm "Trojanischen Pferd"
Belege, dass sich Russland mit der Übung in Weißrussland, quasi direkt an der Grenze zum westlichen Militärbündnis, mit Soldaten und Waffen einnisten könne, sieht Paratnikau bisher nicht. Anders als der Kommandeur der US-Truppen in Europa, Ben Hodges. Der hatte vor einem "trojanischen Pferd" gewarnt, andere westliche Militärs dagegen können keine massive Verlegung von schwerem Material und großen Nachschüben beobachten. Ohne diese würde Russland aber nicht lange seine Präsenz in Weißrussland aufrechterhalten können. Bis 30. September, so heißt es in Minsk, würden die russischen Soldaten abziehen.
Hardliner dürfte das kaum überzeugen. Zumal Russland keine Details zum Manöver mitteilte. Immer wieder war Moskau im Nato-Russland-Rat dazu gedrängt worden.
Was bleibt, ist Unsicherheit. Und damit spielt Russland.
Rechnet Russland die Zahl der Soldaten klein?
Wie viele Soldaten wirklich am "Sapad"-Manöver teilnehmen, ist nach wie vor unklar. Offiziell sind es laut Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin 12.700, davon 5500 russische Soldaten. Die Zahl der gemeldeten Soldaten liegt damit knapp unter der Grenze von 13.000, ab dieser wäre Moskau nach dem Wiener Dokument der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verpflichtet gewesen, ausländische Beobachter einzuladen. Russland lässt jedoch nur Vertreter aus dem Baltikum, Schweden, Polen und der Ukraine zu.
Aber was gehört eigentlich zu "Sapad"? Seit Wochen beobachten Nato-Militärs, wie die russische Armee an der gesamten Grenze zum Nato-Gebiet, von der Halbinsel Kola im Norden bis Hunderte Kilometer weiter im Süden, Truppen mobilisiert. Möglich wären auch "Snap Exercises", kleine, schnelle Manöver. Über 100.000 Mann könnten so zusammenkommen, meint auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.
Moskau weist die Zahl zurück, nach russischer Lesart gehören all diese Übungen nicht zu "Sapad", sind Einzeltrainings. Zudem würden auch Soldaten im Westen üben, wie gerade jetzt in der Ukraine beim internationalen Militärmanöver "Rapid Trident" - eine von vielen Provokationen des Westens aus russischer Sicht.
Zurückhaltung bei der Nato
Eine "russische Bedrohung" sei ein Mythos, der von internationalen Medien verbreitet werde, erklärte Vizeverteidigungsminister Fomin bei einer Pressekonferenz in Moskau. Fragen waren nicht zugelassen.
Für die russische Armee, die sich ein jahrelanges Modernisierungsprogramm verordnet hat, geht es vor allem darum, Stärke zu demonstrieren.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat aufgerufen, die Situation zu beobachten, aber sich still zu verhalten. Im Brüsseler Hauptquartier lehnte er zusätzliche Nato-Übungen als Gegengewicht zum russischen Spektakel strikt ab. Stoltenbergs Kalkül laut Nato-Diplomaten: Man wolle Moskau nicht durch spontane Aktivitäten, die als Aggression gedeutet werden könnten, einen Vorwand bieten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen