NATO UND RUSSLANDLauwarmer Krieg
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Die Vernichtung nuklear bestückter Mittelstreckenraketen war ein Meilenstein im Tauwetter des Kalten Kriegs. Umso besorgter sehen nicht nur die Vereinigten Staaten neue Aufrüstungsgedanken in Russland.
Jahrelang war der INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty) ein wichtiger Bestandteil der internationalen Sicherheitsarchitektur, von dem besonders Europa profitierte. Unterzeichnet Anfang der achtziger Jahre, war der Vertrag ein großer Erfolg, da er den beiden damaligen Supermächten, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, gleich zwei Klassen von Raketen untersagte, die mit kürzerer (500-1000 Kilometer) und mit mittlerer Reichweite (1000 bis 5500 Kilometer).
Vorausgegangen war dem Vertrag ein jahrelanges Tauziehen zwischen den beiden Antagonisten im Kalten Krieg. Die Sowjetunion verfügte mit der SS-20 über eine Rakete, die ganz Westeuropa bedrohte. Die Vereinigten Staaten reagierten darauf mit der Entwicklung der Pershing-II-Raketen, die der SS-20 zwar in der Reichweite unterlegen, in der Präzision jedoch überlegen waren. Nachdem die Sowjetunion es abgelehnt hatte, die Stationierung der SS-20 rückgängig zu machen, wurde die Pershing-II auch in die Bundesrepublik gebracht. Nach schwierigen Verhandlungen unterzeichneten der amerikanische Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Staatschef Michael Gorbatschow im Dezember 1987 in Washington dann doch den INF-Vertrag. Er sah den Abbau und die Zerstörung der Raketen binnen drei Jahren unter gegenseitiger Kontrolle vor. Seit dem 1. Juni 1991, nachdem mehr als 2500 Raketen zerstört worden waren, besaßen die beiden Staaten keine Raketen dieses Typs mehr und mussten sich keine Gedanken mehr um eine solche Bedrohung machen.
Doch damit scheint es vorbei zu sein. Schon seit 2001 gibt es in Russland Stimmen, die fordern, das Land solle sich aus dem Vertrag zurückziehen. Die Entwicklung der amerikanischen nationalen Raketenabwehr und die mögliche Stationierung von Abfangraketen in Osteuropa scheint das Abkommen auch für den Kreml obsolet werden zu lassen. Die Vereinigten Staaten hätten damit den Vertrag gebrochen, heißt es in Moskau. Nach amerikanischen Angaben begann Russland in der Folge damit, wieder Mittelstreckenraketen zu entwickeln, zu testen und sogar in den aktiven Dienst zu übernehmen. So sollen die Russen auf Basis der ballistischen Kurzstreckenrakete Iskander eine Cruise Missile – also eine Lenkrakete – entwickelt haben, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden könnte.
Große Sorge in Washington
Die Vereinigten Staaten sind über diese Entwicklung besorgt, da solche Raketen ihre Raketenabwehrsysteme in Osteuropa bedrohen könnten. Zwar sind diese offiziell gegen eine mögliche Aggression aus Iran gerichtet, doch könnten sie auch anfliegende Raketen aus Russland ins Visier nehmen. Die amerikanische Regierung unter dem ehemaligen Präsidenten Barack Obama hat die russische Regierung mehrmals auf diesen möglichen Bruch des INF-Vertrages angesprochen. Der Kreml antwortete, er fühle sich vielmehr auch von amerikanischen Drohnen bedroht, die ja ähnliche Fähigkeiten besäßen wie eine Mittelstreckenrakete – und Russland passe der Vertrag sowieso nicht mehr. Ein Problem für den Kreml ist wohl auch, dass andere Staaten, besonders China, nicht an den Vertrag gebunden sind und Raketen dieses Typs entwickeln dürfen.
Im sich verschärfenden Streit zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, der ausbrach, nachdem Russland nach Überzeugung der amerikanischen Geheimdienste in die amerikanische Präsidentenwahl im vergangen Jahr eingegriffen hat und der bislang auf diplomatischem Terrain ausgetragen wurde, will der amerikanische Kongress nun auch auf diesem Gebiet handeln. Sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Senat sehen in ihren Budgetvorschlägen für das Verteidigungsministerium Geld für die Entwicklung von Mittelstreckenraketen vor. So will der Senat 65 Millionen Dollar dafür genehmigen. Um den INF-Vertrag nicht zu verletzen, soll es jedoch erst einmal nur um Erforschung und Entwicklung von Raketen unterhalb der Schwelle von Flugtests gehen.
Auch in der Nato redet man über atomare Bewaffnung
Die Vereinigten Staaten sind jedoch nicht die einzigen, die sich um die Entwicklung in Russland sorgen. Auch in der Nato gibt es aktuellen Meldungen zufolge Überlegungen, die eigene atomare Bewaffnung zu verstärken. Wie schon im Kalten Krieg wäre man aufgrund fehlender eigener Kapazitäten wohl aber auch wieder auf amerikanische Waffen angewiesen, wollte man keine „Euromissiles“ entwickeln, so Ulrich Kühn und Anna Peczeli, Politikwissenschaftler in Washington. Das Vorhaben des Kongresses heißen die beiden denn auch gut. Amerika müsse die Drohkulisse der Entwicklung eigener Mittelstreckenraketen aufrecht erhalten, um Druck auf Russland auszuüben. Die Europäer müssten sich ihrer Meinung nach aber viel stärker einbringen. Eine Sichtweise, die verständlich ist, wären die europäischen Staaten durch russische Raketen mit mittlerer Reichweite doch im Fall eines Konflikts direkt betroffen.
Noch ist es aber nicht so weit. Der Konflikt mit Russland wegen der Annexion der Krim und der aggressiven Politik des Kremls in der Ostukraine beschränkt sich derzeit auf Sanktionen und Gegensanktionen – und niemand hat ein Interesse an einer weiteren Eskalation. Der russische Präsident Putin lässt seit ein paar Jahren zwar verstärkt die militärischen Muskeln spielen, doch ist ein neuer Kalter Krieg noch nicht ausgebrochen. Vielmehr muss die russische Führung vorsichtig sein, sich nicht auf ein Wettrüsten mit dem Westen einzulassen. Wegen der Strafmaßnahmen gegen die russische Wirtschaft geht es dieser momentan nicht besonders gut. Noch eine zusätzliche Belastung wäre für sie schwierig zu stemmen.
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