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Donnerstag, 14. September 2017

NZZ: GASTKOMMENTAR Keine Datenlieferungen an problematische Länder Die Schweiz sollte mit problematischen Ländern keinen AIA einführen, sondern sich mit der beherrschbaren Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen begnügen.

GASTKOMMENTAR

Keine Datenlieferungen an problematische Länder

Die Schweiz sollte mit problematischen Ländern keinen AIA einführen, sondern sich mit der beherrschbaren Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen begnügen.
Rainer J. Schweizer
Nach Jahren vielfältiger Auseinandersetzungen um Steueroasen und Steuerhinterziehung beschloss die OECD 2014, dass sich die Staaten verpflichten, Angaben von Finanzinstituten über Konten von im Ausland steuerpflichtigen Personen automatisch auszutauschen. Damit wurde die bisherige Amts- und Rechtshilfe auf Anfrage aufgegeben. Die OECD arbeitete ein Abkommen für den automatischen Informationsaustausch (AIA) aus, das die Schweiz 2017 übernommen hat. Grundsätzlich müssen die Finanzinstitute die Angaben von allen Finanzkonten von im Ausland steuerpflichtigen Schweizern oder Ausländern ab 250 000 Franken der Eidgenössischen Steuerverwaltung jährlich melden. Diese leitet die Angaben automatisch ins jeweilige Partnerland weiter.
(Bild: Ennio Leanza / Keystone)

(Bild: Ennio Leanza / Keystone)

Seit 2015 wird nun in Etappen mit Gruppen von Ländern dieser AIA eingeführt; zurzeit werden die Vertragsabschlüsse von 41 Staaten vorbereitet, zu denen Russland, China, die Vereinigten Emirate und Saudiarabien gehören. Auch wenn das Konzept der Schweizer «Weissgeldstrategie» entspricht, so zeigt sich, dass seine Umsetzung rechtlich höchst fragwürdig ist. Die Probleme beginnen schon damit, dass die umfangreichen Kontoinformationen oft heikel sind und auch Angaben über Drittpersonen enthalten. An sich dürften diese Daten nur für die Besteuerung der Kontoinhaberin verwendet werden. Die nationalen Steuersysteme sind aber sehr unterschiedlich, und die Daten werden in manchen Staaten zu vielfältigen, auch nichtfiskalischen Zwecken verwendet. Vor allem werden weder die Rechte der betroffenen Personen noch die Zugriffsrechte für die Daten in den anderen Staaten, noch die Dauer der Datenaufbewahrung durch das Grundabkommen begrenzt. Hingegen entstehen grosse internationale Datenbanken. Eine unabhängige internationale Kontrolle über die AIA-Datenbanken, wie sie etwa über das Schengener Informationssystem besteht, fehlt völlig.
Der Europäische Bankenverband hat schon 2014 moniert, dass die Datenverarbeitung im AIA eigentlich eine ungehinderte Vorratsdatenspeicherung darstelle, welche der Rechtsprechung des EuGH widerspreche. Via AIA werden Personendaten ohne Verdacht und Anhörung der Betroffenen ins Ausland geliefert, selbst wenn diese dort in Strafverfahren genutzt werden. Kritik am unverhältnismässigen AIA übte auch der Europarat. Die Gruppe der Datenschutzchefs der EU, G 29 genannt, forderte deshalb dieses Jahr, dass jeweils pro Partnerstaat ein besonderes Datenschutz-Assessment durchgeführt werde. Nächstes Jahr tritt die Datenschutz-Grundverordnung der EU in Kraft, die u. a. im Schengenraum gelten wird. Diese verlangt, dass die EU-Kommission entscheidet, ob ein Drittstaat über ein angemessenes Schutzniveau verfügt (Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, wirksame Rechtsbehelfe). Bis anhin billigt die EU neben den Mitgliedstaaten und den EWR-Staaten nur Andorra, Argentinien, Kanada, den Färöern, Israel, der Isle of Man, Jersey, Neuseeland, der Schweiz und Uruguay zu, dass sie ein angemessenes Schutzniveau garantieren.
Bei Waffenexporten ist unbestritten, dass keine Lieferung in Länder erfolgen darf, in denen bewaffnete Konflikte ablaufen; das sollte auch für Finanzinformationen gelten.
Jetzt stellt sich diese Grundsatzfrage für unser Land bei der neuen Gruppe von möglichen AIA-Partnerstaaten. Wir wissen, dass z. B. Russland mehrere Kriege führt, von der Spitze bis in die untersten Chargen hoch korrupt ist, dass der Generalstaatsanwalt die Befehle der Staatsführung ausführt und dass die Gerichte nicht unabhängig sind. Gegen mächtige private Unternehmer, grosse Künstler und politische Opponenten werden Vorwürfe wegen angeblicher Steuerdelikte oder Betrug eingesetzt, um diese zu verfolgen und zu enteignen. Im AIA können aber schutzbedürftige Personen die Übermittlung von Finanzinformationen z. B. nach Russland oder in die Türkei kaum untersagen.
Das Finanzdepartement schlägt vor, dass jetzt nur der Grundsatzentscheid getroffen werde; bevor Daten geliefert werden, sollte dem Parlament ein Bericht über die Rechtszustände eines Staates vorgelegt werden. Bei Waffenexporten ist unbestritten, dass keine Lieferung in Länder erfolgen darf, in denen bewaffnete Konflikte ablaufen; das sollte auch für Finanzinformationen gelten. Der EuGH sieht internationale Datenaustausche (z. B. Fluggastdaten) noch viel grundsätzlicher, indem er bei gefährdetem Daten- und Menschenrechtsschutz Datenlieferungen nur unter Bedingungen und sehr eingeschränkt akzeptiert. Das Bundesgericht hat vor kurzem entschieden, dass selbst in den USA der Datenschutz nicht ausreichend gewährleistet sei, weshalb Mitarbeiter und Kunden von Banken die Lieferung von Daten untersagen können. Das Bundesstrafgericht hat schon 2010 die Rechtshilfe gegenüber Iran, das auch keine menschenrechtskonformen Verfahren garantiert, verweigert. Vor allem aber hat der Luxemburger Gerichtshof festgehalten, dass dort, wo wirksame, sichere Rechtswege zum Schutz betroffener Personen nicht gewährleistet sind, der Kerngehalt der Garantie des Rechtsschutzes verletzt ist. Wir sollten also in diesen Fällen schon im Prinzip keinen AIA einführen, sondern uns mit der beherrschbaren Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen begnügen. Wenn überhaupt, kann nur so im Einzelfall von Staaten ein minimaler Schutz der Betroffenen verlangt werden.

Rainer J. Schweizer ist em. Prof. für öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität St. Gallen.

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