Die teuren Gefahren der geheimen EZB-Dokumente
Transparenz gehört nicht gerade zu den Kernkompetenzen einer Notenbank. Das gilt insbesondere für die Europäische Zentralbank (EZB), bei der 19 nationale Notenbanken mit zum Teil völlig unterschiedlichen Interessen mitmischen. Entsprechend lange haben die Euro-Hüter gezögert, ihr sogenanntes Geheimabkommen ANFA offenzulegen. Dieses verschafft den nationalen Zentralbanken gewisse Spielräume, um über die Beschlüsse der EZB hinaus Wertpapiere auf eigene Faust und mit eigens geschaffenem Geld zu erwerben.
Auf Druck der Öffentlichkeit gab die EZB Anfang Februar ihr milliardenschweres Abkommen dann doch preis. Doch was dazu gedacht war, die Debatte über die vermeintliche verbotene Staatsfinanzierung zum Verstummen zu bringen, hat eher noch mehr Diskussionsbedarf ausgelöst.
Insbesondere die Frage, was das Geheimabkommen für die Bankenrettung im Euro-Raum bedeutet, ist durchaus brisant. Offensichtlich bietet das "Agreement on Net Financial Assets", wie ANFA im Original sperrig heißt, auch die Möglichkeit, marode Kreditinstitute mit dem Geld von Zentralbanken zu retten.
Zwar legt das Abkommen bestimmte – und bisher nicht veröffentlichte – Obergrenzen fest, die die Nationalbanken bei ihren Sondergeschäften einhalten müssen. Gleichzeitig sieht ANFA aber auch ausdrücklich Ausnahmen von dieser Regel vor, sogenannte exceptional cases, bei denen die Notenbanken eben doch über die festgelegten Grenzen hinaus Geld schöpfen und dafür Papiere in ihre Bücher nehmen können.
Fall Irland macht stutzig
"Die veröffentlichten ANFA-Dokumente zeigen, dass man diesen Weg der Bankenabwicklung als Ultima Ratio offensichtlich einkalkuliert hat", sagt der Berliner Finanzwissenschaftler Daniel Hoffmann. "Die Politik mag den Eindruck vermitteln, dass mit der Schaffung der europäischen Bankenunion die Steuerzahler nicht mehr für die Rettung oder Abwicklung von Kreditinstituten zur Kasse gebeten werden. Doch sobald ein systemrelevantes Institut in Schieflage gerät, wird man vermutlich eben doch die EZB-Option nutzen." Es wäre nach der Rettung von bankrotten Staaten und dem milliardenschweren Ankauf von Staatsanleihen der nächste Tabubruch im Euro-System.
Hoffmann ist tief in die Materie eingetaucht. Der Berliner Wissenschaftler, der bereits die ANFA-Affäre im vergangenen Jahr ins Rollen gebracht hatte, beobachtet regelmäßig die Bewegungen in der EZB-Bilanz. Anhand der einzelnen Posten kann Hoffmann relativ gut nachvollziehen, welche Geschäfte die nationalen Notenbanken tätigen.
Sie verstecken sich hinter nebulösen Bezeichnungen wie "Sonstige Wertpapiere" oder "Sonstige Aktiva". Insgesamt 346 Milliarden Euro werden aktuell im Namen des Geheimabkommens im Eurosystem bewegt. Ende 2015 lag dieser Wert noch bei 490 Milliarden Euro.
Stutzig gemacht hat den Wissenschaftler vor allem der Fall Irland. Das Euro-Mitgliedsland hatte auf dem Höhepunkt der Euro-Krise im Jahr 2011 milliardenschwere Garantien für die neu gegründete heimische Bad Bank zugesagt. Diese wären im Jahr 2013 fällig geworden und hätten Irland wohl in den Staatsbankrott getrieben.
Doch die Regierung in Dublin wandelte die öffentlichen Zahlungsversprechen in langlaufende Staatsanleihen um, die die irische Zentralbank mit selbst geschöpftem Geld aufkaufte – und so letztlich die Bankenabwicklung finanzierte. "Die irische Zentralbank hat diese 43 Milliarden Euro schwere Finanzierung ausgerechnet mit der ANFA-Ausnahmeregelung begründet", kritisiert Hoffmann. "Damit ist klar, dass es hier einen Ausweg gibt, den die EZB ganz offensichtlich billigt."
Muss der Steuerzahler einspringen?
Tatsächlich hatte der Finanzwissenschaftler Martin Hellwig vom Max-Planck-Institut in Bonn bereits in einem Gutachten für den Bundestag im Oktober 2014 davor gewarnt, dass die anvisierte Haftungskaskade zur Bankenrettung – das Herzstück der Bankenunion – bei systemrelevanten Großbanken unrealistisch sei. Im Zweifel werde eben doch auf den staatlichen Rettungsfonds ESM oder die Notenbank zurückgegriffen.
An den Finanzmärkten sieht man das ähnlich. Die Pleitewahrscheinlichkeit der Deutschen Bank läuft seit Mitte 2015 fast parallel zum Ausfallrisiko Deutschlands. Mit anderen Worten: Die Investoren kalkulieren fest ein, dass im Falle einer Schieflage des systemrelevanten deutschen Branchenprimus der Steuerzahler einspringen wird. Selbst wenn eine solche Rettung mithilfe von Notenbankgeld finanziert wird, müssen am Ende die Steuerbürger dafür geradestehen.
Entsprechend kritisch sehen es viele Experten, wenn die EZB ihre Bilanz immer weiter aufbläht. Mittlerweile entspricht die Bilanzsumme rund 28 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung, Tendenz steigend. Jede zusätzliche Form der Geldschöpfung zur Bankenrettung – zum Beispiel über die sogenannten ELA-Kredite – lässt diese Summe weiter steigen.
"Mehr Transparenz wäre da hilfreich"
"Das ANFA-Abkommen, aber insbesondere auch die ELA-Kredite könnten den nationalen Zentralbanken durchaus Schlupflöcher zur Bankenrettung bieten, zum Beispiel wenn eigentlich insolvente Banken mithilfe von schlecht besicherten Notfallkrediten zu lange über Wasser gehalten werden", konstatiert Philipp König, Experte für Geldpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Diese Kredite sind eigentlich nur als kurzfristigere Hilfen für illiquide Banken gedacht. Allerdings hat man sowohl in Griechenland als auch in Irland gesehen, dass die Notenbanken da zum Teil eben doch erhebliche Spielräume haben."
Zwar räumt er ein, dass Notenbanken die Möglichkeit haben müssen, stabilisierend einzugreifen, wenn eine Bank in Schieflage gerät. Das sei in Deutschland zum Beispiel im Fall der Hypo Real Estate auch passiert – damals schritt die Bundesbank ein. "Wie weit die nationalen Notenbanken dabei jeweils im Einzelnen gehen, ist allerdings nicht sonderlich transparent." Die Strategien und Motive der Notenbanken in Bezug auf ihre ANFA-Käufe seien kaum nachvollziehbar, man bewege sich schnell in einem Graubereich. "Mehr Transparenz wäre da hilfreich."
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