Kiew/SydneyNach der Freilassung der ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko aus zweieinhalbjähriger Haft haben die Regierungsgegner den Tag in Kiew ruhig begonnen. Mit Patrouillen bewachte die Opposition am Sonntag weiter die Barrikaden am zentralen Unabhängigkeitsplatz – dem Maidan.
Dort hatte am Vorabend Ex-Regierungschefin Timoschenko in einer emotionalen Rede an mehr als 100.000 Menschen appelliert, mit ihrem Kampf nicht nachzulassen. Erst Neuwahlen, die für den 25. Mai angesetzt sind, könnten den Machtwechsel abschließen. Wo sich Staatschef Viktor Janukowitsch aufhält, war weiter unklar.
Das Parlament will noch am Sonntag einen neuen Regierungschef wählen. Eine Kandidatin hierfür ist Timoschenko, die das Amt bereits zweimal innehatte. Auch ihr Parteigenosse Arseni Jazenjuk stehe zur Wahl, sagte Nikolai Tomenko von Timoschenkos Partei örtlichen Medien zufolge. Dritter prominenter Kandidat war der Unternehmer Pjotr Poroschenko.
Während sich die Lage in Kiew beruhigt, wird international an einer Lösung für die Finanzprobleme des Landes gearbeitet. Die USA und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben der Ukraine am Sonntag Hilfe zum Wiederaufbau der am Boden liegenden Wirtschaft in Aussicht gestellt. In Zusammenarbeit mit anderen Ländern stehe Washington bereit, „die Ukraine bei der Rückkehr zu Demokratie, Stabilität und Wachstum zu unterstützen“, sagte US-Finanzminister Jacob Lew am Sonntag beim G-20-Finanzministertreffen im australischen Sydney. IWF-Chefin Christine Lagarde äußerte sich ähnlich.
US-Finanzminister Lew hatte in Sydney mit seinem russischen Kollegen Anton Siluanow über die Folgen des Umbruchs in Kiew beraten. Dabei habe Lew gegenüber Siluanow „die Notwendigkeit zu Stabilität und wirtschaftlichen Reformen“ in der Ukraine hervorgehoben, sagte ein US-Regierungsbeamter. Beide Minister seien sich einig, dass bei der finanziellen Unterstützung für Kiew auch der IWF einbezogen werden könne. „Der IWF ist in der besten Position, Staaten wie der Ukraine bei den wirtschaftlichen Herausforderungen zu helfen“, sagte Lew.
IWF-Chefin Lagarde sagte in Sydney, wenn es eine Anfrage aus Kiew gebe, „stehen wir natürlich bereit“. Dabei könne es sowohl um politische Beratung, finanzielle Unterstützung als auch Diskussionen über die notwendigen Reformen gehen. „Wir werden bereit sein, uns zu engagieren.“
Nach den monatelangen Massenprotesten, die am Samstag in der Absetzung von Präsident Viktor Janukowitsch durch das Parlament gipfelten, ist die Ukraine in akuter Finanznot. Russland hatte Kiew zwar Notkredite von 15 Milliarden Dollar (knapp 11 Milliarden Euro) zugesagt. Doch nach einer ersten Auszahlung von drei Milliarden Dollar legte Moskau die weiteren Tranchen angesichts der dramatischen Entwicklungen in der Ukraine auf Eis.
Zunächst müsse es eine neue Regierung geben, sagte Finanzminister Siluanow. Eigentlich wollte Russland für zwei Milliarden Dollar ukrainische Anleihen kaufen. „Letze Woche haben wir darüber gesprochen. Aber seitdem hat sich die politische Lage dramatisch geändert. Jetzt müssen wir warten bis es eine neue Regierung gibt, bevor wir darüber eine Entscheidung fällen können“, sagte Siluanow.
Die Ratingagentur Standard & Poor's hatte am Freitag vorausgesagt, das Land werde in die Pleite stürzen, sollte Russland seine Hilfe stoppen. Kiew muss in diesem Jahr noch 13 Milliarden Dollar an seine Gläubiger zurückzahlen.
Deutschland sieht vor allem Brüssel in der Pflicht. Um der Ukraine bei der Abwendung der Pleite zu helfen, sei „die EU am Zug“, sagte der Osteuropabeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), der „Welt am Sonntag“. Brüssel müsse sich dabei mit Moskau abstimmen, und auch der IWF müsse eingeschaltet werden. Für das Land müsse rasch ein Paket geschnürt werden, sagte Erler.
Doch auch die Europäische Union will erst auf einen neue Regierung warten: Die EU stehe für eine substanzielle finanzielle Unterstützung bereit, sobald es eine politische Lösung des Konflikts und eine neue Regierung gebe, sagte Wirtschaftskommissar Olli Rehn in Sydney. Die neue Regierung müsse aber institutionelle und wirtschaftliche Reformen ernsthaft angehen. Zudem müsse die EU der Ukraine eine klare europäische Perspektive bieten. „Wir müssen den Herausforderungen dieses historischen Moments gerecht werden“, sagte Rehn.
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