Sinkender ÖlpreisDer niedrige Ölpreis treibt erste Fracker in die Insolvenz
Der Ölpreis ist deutlich unter 30 Dollar gefallen. Die Fracking-Industrie leidet. Jetzt darf auch noch der Iran wieder frei Öl exportieren., Aber droht noch Schlimmeres? Sorgen um die Volkswirtschaft werden laut.
18.01.2016, von MARCUS THEURER, WINAND VON PETERSDORFF
Nachdem der Preis des Rohöls zum Wochenausklang auf knapp unter 30 Dollar gestürzt ist, wird es bitterernst für Amerikas Fracker. Insolvenzen drohen, nachdem deren Zahl zuletzt schon stark gestiegen ist. Geopolitik könnte den Ölpreis weiter nach unten bringen. Nachdem die Internationale Atomenergiebehörde Iran attestiert hat, seine Auflagen aus dem Nuklear-Abkommen erfüllt zu haben, darf das Land künftig wieder frei Rohöl exportieren. Die Tanker sind schon auf dem Weg, Iran vergrößert das globale Überangebot und verlängert das Leiden der Ölfirmen, die bei diesen Preisen Geld drauflegen, wenn sie Öl aus der Tiefe holen.
Autor: Marcus Theurer, Wirtschaftskorrespondent mit Sitz in London. Autor: Winand von Petersdorff-Campen, Wirtschaftskorrespondent in Washington.
„Es wird wirklich hässlich für die Branche“, sagt Ölanalyst Reagan Tuck Rutt vom Beratungshaus Wood Mackenzie in Houston in einem Gespräch mit dieser Zeitung. Er prophezeit eine brutale Branchenauslese: „Es gibt keine Zweifel, dass die Zahl der Insolvenzen dieses Jahr signifikant steigen wird“, sagt er. Merril Lynch meldet, dass im letzten Halbjahr mindestens 20 Öl- und Gasfirmen die Einleitung von Insolvenzverfahren beantragt haben, deutlich mehr als zum Höhepunkt der Finanzkrise. „Viele Leute in der Branche dachten, 2016 werde besser werden als 2015. Aber tatsächlich wird dieses Jahr noch schwieriger, und darauf sind viele nicht vorbereitet“, sagt Rutt.
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Subprime und Totalausfall
Wood Mackenzie schätzt, dass die Fracking-Unternehmen trotz deutlicher Produktivitätssteigerungen im Durchschnitt noch immer Ölpreise von 50 bis 60 Dollar je Fass brauchen, um wirtschaftlich tragfähig zu sein. „Ein Großteil der Branche arbeitet derzeit mit Verlusten, und das kann nicht lange so weitergehen“, sagt Rutt. Bislang haben einige Unternehmen den Ölpreisverfall mit Absicherungsgeschäften am Finanzmarkt (Hedging) abgepuffert. „Aber für 2016 ist offenkundig ein Großteil der nordamerikanischen Ölunternehmen nicht ausreichend abgesichert“, warnten vergangene Woche die Analysten der Bank of America in einer Studie.
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Die Sorge ist nun, dass die Krise auf den Finanzsektor überschwappt und womöglich sogar Schlimmeres auslöst. Am Freitag fiel der Aktienkurs der Großbank Citigroupin New York trotz guter Quartalszahlen zeitweise um mehr als 5 Prozent. Die Anleger fürchten hohe Abschreibungen auf Kredite an die Fracking-Unternehmen, ist die Erklärung. Neben Citigroup haben auch große Konkurrenten wie JP Morgan und Wells Fargo vergangene Woche ihre Rückstellungen für mögliche Kreditausfälle in der Ölbranche aufgestockt. Mike Loughlin, der oberste Risikomanager von Wells Fargo, spricht von einer „andauernden Verschlechterung im Energiesektor“.
Die Banken müssen sich um ihre eigenen Bilanzen sorgen, spätestens seit die amerikanische Notenbank Federal Reserve im November Alarm geschlagen hat. Sie hat nach Durchleuchtung der Kreditportfolios der führenden Finanzinstitute ein wachsendes Problem in Krediten an den Energiesektor ausgemacht. Von den gesamten Ausleihungen an Explorations-, Produktions und Serviceunternehmen der Branche in Höhe von 276 Milliarden Dollar sind 15 Prozent oder 34 Milliarden Dollar im Risiko zwischen Subprime und Totalausfall. Im Jahr davor waren es gerade 3,6 Prozent oder 7 Milliarden. Das ist eine Verfünffachung der schlechten Risiken.
Förderung schrumpft
In der hochregulierten Post-Krisen-Bankenwelt führen die Institute die Kreditvergabe zurück, sagt Hedgefonds-Manager Donald Luskin. Dies sei ein Rezept für eine Rezession. Es wäre die erste Krise Amerikas, die durch billiges Öl statt durch teures ausgelöst würde. Kolumnist Paul Krugman teilt die Sorge: Eine kleine Ölpreissenkung hätte die Wirtschaft beflügelt, doch ein Preisrutsch um 70 Prozent seit dem Höchststand habe für die Branche drastische Effekte. Sie setze einen Prozess des Entschuldens in Gang, der die Weltkonjunktur zu einem Zeitpunkt nach unten ziehen könnte, da diese noch verletzlich sei.
Vielleicht muss man es nicht so düster sehen. Die Ölpreise könnten bis zum Jahresende wieder anziehen. Fracker sind zäh. Im vergangenen Jahr widerstand die Branche dem unerwarteten Preissturz am Ölmarkt besser, als die meisten Beobachter erwartet hatten. Sie stoppte die Investitionen und die Exploration weitgehend. In der Folge schrumpft ihre Förderung kontinuierlich – und das werde sich fortsetzen, sagte Jeff Currie, der leitende Rohstoffanalyst der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs, am Freitag voraus. „Die amerikanische Schieferölbranche wird den Großteil der Anpassungen im Ölmarkt schultern müssen“, erwartet Currie. Die Schieferölförderung, die in den vergangenen Jahren stark gestiegen war, ist seit März 2015 bereits von rund 5,8 Millionen Fass am Tag auf knapp 4,9 Millionen Fass gesunken.
Rechnen mit höheren Ölpreisen
Auf etwas längere Sicht sind Fachleute deshalb durchaus optimistisch – zumindest für diejenigen, die lange genug durchhalten können, um die derzeitigen Preise zu überleben. Denn je billiger das Öl ist, desto stärker wird das Angebot am Ölmarkt schrumpfen, weil schwache Anbieter ihre Förderung drosseln müssen. Das aber lässt auf eine Erholung der Preise hoffen, zumindest dann, wenn die Ölnachfrage der Weltwirtschaft nicht unerwartet schwächeln sollte.
Die staatliche Energy Information Administration erwartet eine steigende Nachfrage. Die amerikanische Autoindustrie hat 2015 ihr bestes Jahr seit langem erlebt. 60 Prozent der gekauften Autos sind SUV oder Pick-up-Trucks, die mehr Brennstoff verbrauchen als die normalen Autos. Seit August 2014 geht der Verbrauch der neuen Fahrzeuge nach oben, und spritsparende Autos büßen Marktanteile ein.
Bereits in der zweiten Jahreshälfte werde sich die derzeitige Ölschwemme ins Gegenteil verkehren, erwartet Jeff Currie von Goldman Sachs. Dann werde die Nachfrage am Ölmarkt wieder größer sein als das Angebot, sagt er voraus. Auch die Analysten von Deutscher Bank und Morgan Stanley rechnen bislang für das zweite Halbjahr mit höheren Preisen: Im Schnitt werde Brent-Rohöl dieses Jahr rund 49 Dollar je Fass kosten – also rund 20 Dollar mehr als heute. Noch höher wettet Harold Hamm, der Chef und Gründer des großen amerikanischen Ölproduzenten Continental Resources, eines der größten Fracker. Er erwarte 60 Dollar bis zum Jahresende, verkündete er in einer Medienoffensive. Ein bisschen Zweckoptimismus mag dabei gewesen sein.
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