Wirtschaftsminister Abromavicius
Ein Litauer krempelt die Ukraine um
Aivaras Abromavicius ist ein doppelter Aussenseiter: Er kam in die ukrainische Regierung als Ausländer und Manager aus der Privatwirtschaft. Jetzt will er die Reformen im Land radikal vorantreiben.
Es war eine ziemliche Überraschung, als Ende 2014 die neue Regierungsmannschaft der Ukraine bekannt gegeben wurde: Drei Ausländer sollten wichtige Ministerposten bekleiden. Einer von ihnen war Aivaras Abromavicius. Auf Bestreben des Präsidenten und Anführers der grössten Parlamentspartei, Petro Poroschenko, erhielt er die ukrainische Staatsbürgerschaft und wurde zum Wirtschaftsminister ernannt. Damit war Abromavicius ein doppelter Aussenseiter. Geboren und aufgewachsen in Litauen, kam er als Ausländer ins Kabinett – ähnlich wie die amerikanisch geprägte Finanzministerin Jaresko und der vormalige georgische Gesundheitsminister Kwitaschwili. Abromavicius stammt aber auch aus der Privatwirtschaft. Er arbeitete zuvor für die auf Investments in Osteuropa spezialisierte Gesellschaft East Capital.
Kampf gegen das alte System
Neun Monate später fühlt sich Abromavicius in seinem Amt offenbar ganz wohl. Es sei nicht der grosse Kulturschock gewesen, in die als «sowjetisch» geltende Staatsbürokratie einzutreten, erklärt der 39-Jährige. Nach der Maidan-Revolution hätten sich viele Leute wie er in der Regierung oder im Parlament wiedergefunden, um das Land aus seinen grossen Problemen herauszuführen. Er habe in seiner fünfzehnjährigen Zeit als Investment-Spezialist auch viele Erfahrungen mit staatlichen Stellen in Ex-Sowjetrepubliken gesammelt. Und er fühle sich nicht als Ausländer. Seit sieben Jahren lebt Abromavicius in Kiew, seine drei Kinder sind hier geboren, seine Frau ist eine Ukrainerin aus Donezk. Daher wirken die Folgen des Kriegs in der Ostukraine bis in die eigene Familie hinein. Die Maidan-Proteste erlebte er aus seiner Kiewer Wohnung aus nächster Nähe mit.
Abromavicius lässt keinen Zweifel an seiner Mission: «Es braucht manchmal Aussenseiter, um das alte System zu brechen.» Er ist angetreten, um die Ukraine umzukrempeln, und er tut dies mit Vergnügen. Abromavicius hält dabei wenig von einem schrittweisen Vorgehen. Er wolle so radikal reformieren wie möglich, sagt er, für etwas anderes habe das Land gar keine Zeit. Aber der Wirtschaftsminister räumt auch ein, dass man zu wenig schnell vorankomme . Die Widerstände seien gross, das Land habe 25 verlorene Jahre hinter sich und zuvor 70 Jahre Kommunismus – «fast 100 Jahre Missmanagement».
Ist Abromavicius der radikale Reformer, wie ihn das Land dringend braucht? Ehemalige Mitarbeiter kritisieren, er gehe zu wenig forsch voran und sei zu nachgiebig gegenüber dem als wenig reformorientiert geltenden Ministerpräsidenten Jazenjuk . Es mag stimmen, dass Abromavicius nicht zu jenen zählt, welche die politischen Realitäten völlig ausblenden. Aber in seinem eigenen Ministerium hat er einiges bewegt: 80% der Spitzenbeamten wurden ausgewechselt, bis Ende Jahr will er die Behörde um die Hälfte verkleinern. Das ist mehr als in anderen Ministerien. Und es entspricht einerklassischen Forderung radikaler Reformer : Wenn man mit dem überdimensionierten und korrupten alten Staatsapparat brechen will, muss man das Personal möglichst vollständig auswechseln und zurückstutzen.
Abromavicius' Ministerium spielt im Reformprozess der Ukraine eine wichtige Rolle. Die Deregulierung der völlig überreglementierten Wirtschaft fällt in seine Verantwortung, ebenso die Privatisierung der zahlreichen Staatsunternehmen oder Neuerungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe. In allen Bereichen drücken Abromavicius und sein Team aufs Tempo. Wenn alles umgesetzt werden kann wie geplant, wird die Ukraine ein gutes Stück auf dem Weg zu einer offeneren, kompetitiveren und weniger von Korruption belasteten Wirtschaft vorankommen.
Kaum Zeit für die Familie
Abromavicius weiss, dass die Zeit drängt. Die durchschnittliche Amtsdauer eines ukrainischen Wirtschaftsministers betrage knapp zwölf Monate, erklärt er unumwunden. Am liebsten würde er mindestens zwei Jahre bleiben, um alle Reformvorhaben umzusetzen. Aber die Politik in der Ukraine ist zu volatil, als dass man sich darauf verlassen könnte. Man muss die Chancen nutzen. Von daher kann es der Minister verschmerzen, dass er seine Familie derzeit wenig sieht und kaum Freizeit hat. Zu seinem Hobby, dem Tennisspielen, kommt er noch alle paar Wochen.
Auf den Fluren des Wirtschaftsministeriums wimmelt es von «Aussenseitern»: jungen Ukrainern, die im Westen ausgebildet wurden und perfektes Englisch sprechen; Balten, die beim Reformieren der Ukraine mithelfen; Spezialisten aus der Privatwirtschaft. Dass Abromavicius solche Leute anziehen konnte, ist nicht selbstverständlich. Als Beamter verdient man umgerechnet nur wenige hundert Dollar pro Monat. Wie kann das aufgehen? Nicht nur braucht es die Motivation, aus freien Stücken für eine bessere Zukunft der Ukraine zu arbeiten. Ebenso bedingt es finanzielle Unabhängigkeit. Augenzwinkernd erklärt Abromavicius, seine gut verdienende Frau müsse jetzt die Familie durchbringen. Etwas ernster fügt er an, als ehemaliger Manager in der Finanzbranche verfüge er über ein beträchtliches Vermögen. Dorthin will er auch zurück, wenn die Arbeit als Wirtschaftsminister dereinst getan ist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen