KrisengewinnlerDas große Geschäft mit den Flüchtlingen
Nicht nur Schlepper verdienen an der Not, sondern auch staatliche und private Transportbetriebe auf dem Balkan. Einige sagen: „Hoffentlich kommen bald wieder mehr Flüchtlinge.“
04.01.2016, von CHRISTIAN GEINITZ, ADASEVCI
Sie saßen alle im selben Boot, Ahmad Elewa aus Damaskus, Nader Alsayed aus Tartus und Bassam Hammadi aus Homs. Vor ihrer Flucht aus dem Irak kannten sie sich nicht, doch seit der gemeinsamen Fahrt auf einem überladenen Kutter über die Ägäis sind sie enge Gefährten. Freunde in der Not.
Autor: Christian Geinitz, Wirtschaftskorrespondent für Ostmittel- und Südosteuropa mit Sitz in Wien.
In der Türkei vertrauten sie sich demselben Schlepper an. Zuerst versteckte er sie in den Wäldern bei Çanakkale, dort, wo die Dardanellen am engsten sind – und wo es in diesen Nächten kaum wärmer als zwei, drei Grad wird. Kurz vor dem Jahreswechsel fuhr die frierende Gruppe die Küste hinunter Richtung Süden. Dort setzte der Schleuser sie in einer stockdunklen Nacht zusammen mit anderen Flüchtlingen in einen ausgedienten Fischerkahn, 240 Männer, Frauen, Kinder.
Zwei Stunden später erreichten sie die griechische Insel Lesbos. „Endlich in Europa, endlich in Sicherheit“, sagt Hammadi. „Das Risiko und der Preis waren hoch, aber wir hoffen, dass sich das lohnt.“ Er hat dem Schlepper 900 Dollar gezahlt, vergleichsweise wenig. Der junge Ingenieur schaut seine Kameraden ein wenig schadenfroh an: „Man muss gut handeln. Nader hat ihm 1600 gegeben, Ahmad sogar 2500.“ Die anderen bestätigen das. Immerhin hätten sie nicht im Voraus bezahlt, auf die Gefahr hin, nie anzukommen oder sogar unterzugehen.
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„Es gibt jetzt so etwas wie Menschenschmuggel mit Versicherung“, sagt Alsayed, ein ehemaliger Sozialarbeiter, und ringt sich ein Lächeln ab. Sie hätten das Geld bei einem Treuhänder in Çanakkale deponiert, der es nur gegen Nennung eines Passworts auszahlt. Gesund auf Lesbos angelangt, verrieten sie den Code einem Kompagnon des Schleppers. Wohlhabende Verwandte, die einige Wochen vor Hammadi aufgebrochen waren, hatten nicht wie er den Landweg in die Türkei genommen, sondern das Flugzeug. „Es gibt jetzt viel mehr Flugverbindungen als früher“, weiß er.
„Flüchtlinge sind gute Kunden“
Die Flugkosten und das Schlepperhonorar sind die höchsten Einzelbeträge, die die Flüchtlinge auf ihrem langen Weg aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan aufbringen müssen, aber bei weitem nicht die einzigen. Bis sie in Österreich, Deutschland oder Schweden anlangen, verdienen Dutzende weitere Unternehmen an ihnen und ihrer Not gutes Geld.
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Die Fähre von Mytilini auf Lesbos bis zum Hafen Piräus nahe Athen kostet für Erwachsene knapp 50 Euro. Ebenso teuer ist die anschließende Busfahrt nach Evzoni in Nordgriechenland an der Grenze zu Mazedonien. Auf dem Schotterweg von dem improvisierten Übergang zum mazedonischen Durchgangslager Gevgelija liegen Hunderte gebrauchte Fahrkarten im Staub. Sie sind maschinell auf die Namen der Passagiere ausgestellt, mit Barcodes versehen, und sie weisen sogar Steuern aus, stattliche 28 Prozent.
Von Gevgelija geht es mit dem Zug weiter. Sehr zum Verdruss der örtlichen Bus- und Taxifahrer, die zu Dutzenden auf Fahrgäste warten. „Flüchtlinge sind gute Kunden, die haben reichlich Bargeld dabei und zahlen, ohne zu murren“, sagt der Taxifahrer Marko Mitreva. 100 Euro berechnet er für die zweistündige Fahrt nach Norden an die Grenze zu Serbien.
Proteste des UNHCR
„Bei vier Personen kostet das auch nicht mehr als der Zug, aber die Polizei lässt die Leute nicht zu uns.“ Die Lagerleitung mobilisiert nur dann Busse oder Taxis, wenn die Züge nicht ausgelastet oder wenn sie überladen sind. Ansonsten sind die Flüchtlinge verpflichtet, die Bahn zu nehmen. Etwa 2500 bis 3000 tun das jeden Tag, in vier bis fünf Zügen. Für die staatliche Eisenbahngesellschaft sei das ein gutes Geschäft, sagt Markus Topp, der leitende Schutzbeauftragte des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen UNHCR in Mazedonien.
Der Däne schätzt die auf dieser Strecke erzielten Gewinne des Bahnbetreibers auf 3 bis 4 Millionen Euro im Monat. Das ist das Drei- bis Vierfache der Gesamtkosten, die die Regierung nach eigenen Angaben für die Flüchtlinge aufbringt. Dass die Migranten für den Transport bezahlen, halten die Helfer für normal. Mazedonien dürfe sie jedoch gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention nicht diskriminieren, also stärker zur Kasse bitten als andere.
Dieser Verdacht aber drängt sich auf. Mit der Begründung, dass die Flüchtlinge kein mazedonisches Geld, sondern nur Euro und Dollar bei sich trügen und die Summe in diesen Währungen zu krumm sei, erhöhte die Eisenbahn für sie im August den Tarif um 75 Prozent von 5,70 auf 10 Euro. Seit September müssen sie sogar 25 Euro zahlen, und die Verdächtigungen reißen nicht ab, dass das Staatsunternehmen und korrupte Beamte kräftig an der Flüchtlingsnot mitverdienen. Das UNHCR hat mehrfach protestiert, bisher erfolglos.
Einige verzichten auf das Wechselgeld
Der Zug Richtung Serbien hält direkt am Lager. Kurz vor dem Bahndamm steht eine Wellblechbude. Mürrisch fertigt der Schalterbeamte die Wartenden ab, händigt Billetts gegen 25 Euro in bar aus. Von Kunden, die mit großen Scheinen bezahlen, verlangt er 5 Euro, um besser herausgeben zu können. Wer der Aufforderung nicht folgt, wird übergangen. Einige Flüchtlinge verzichten auf das Wechselgeld. Alle wollen so schnell wie möglich in den Zug, stürzen hastig weiter, manche haben ihr Geld zwischen die Zähne geklemmt, um die Hände für das Gepäck frei zu haben.
Auch die drei Iraker mussten hier am Vortag ihre Karten lösen, inzwischen haben sie es schon 700 Kilometer weiter nach Norden geschafft. An einer Autobahnraststätte eine Stunde nordwestlich der serbischen Hauptstadt Belgrad warten sie geduldig auf den Transport zum nächsten Etappenziel. Elewa lernt Englischvokabeln, Alsayed und Hammadi tippen auf ihren Telefonen herum.
Neben einer Tankstelle des Mineralölkonzerns Nis, der zur russischen Gasprom-Gruppe gehört, haben sechs Überlandbusse mit Flüchtlingen geparkt, einer hat die drei Iraker mitgenommen. Viele Reisende dösen in den Sitzen, andere vertreten sich die Beine, trinken Tee oder essen Obst, das Hilfsorganisationen kostenlos an Ständen anbieten. Wer Geld hat, kauft in der Tankstelle ein.
Nur als Kunden gern gesehen
Der Mann hinter dem Tresen reibt sich die Hände, weil das Geschäft so gut läuft. Die Fremden seien ganz wild auf Süßigkeiten, Fruchtsäfte und gefüllte Teigtaschen, sagt er, „mit Käse, nicht mit Fleisch“. Es kämen viel mehr Flüchtlinge als reguläre Kunden in das Café, „für uns ist das gut“. Die Ankömmlinge sind gern gesehen, allerdings nur als Kunden. Wer nur die Toilette benutzen oder sich das Gesicht waschen will, wird abgewiesen. Auch berichten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, dass die Angestellten mitunter Mondpreise verlangten, vor allem beim Umrechnen von Dinar in Euro.
Die Raststätte im serbischen Adaševci an der Autobahn E70 ist eine Art Wartesaal für den Bahnhof der benachbarten Ortschaft Šid. Die Kapazität im dortigen Lager reicht nicht für alle Flüchtlinge aus, die den Zug nach Kroatien besteigen wollen. Deshalb sammelt die Polizei so viele Personen wie möglich vor der Stadt, die dann ohne Umweg direkt zu den Bahnsteigen verfrachtet werden, sobald der Zug kommt. Die sechs Busse mit 450 Passagieren, die derzeit in Adaševci warten, sind noch nicht genug. Es müssen mindestens vier weitere Fahrzeuge kommen, bevor der Treck nach Šid vorgelassen wird.
Zwischen Busparkplatz und Tankstelle steht ein hässlicher Flachbau. Früher war er ein Motel, heute dient er dem Kommissariat für Flüchtlinge und Migration als Anlaufstelle. Im ehemaligen Frisiersalon behandelt ein Arzt kleinere Krankheiten, vor allem Erkältungen. Daneben beschäftigt Unicef Kinder mit Papier und Malstiften. Im Frühstückssaal spielt eine afghanische Familie Karten, andere kratzen mit Fladenbroten Thunfisch und Kichererbsenpüree aus Konservendosen.
„Ohne Flüchtlinge wäre das Geschäft tot“
Elewa, Alsayed und Hammadi sind froh, so schnell so weit gekommen zu sein. Jetzt müssen sie nur noch Kroatien und Slowenien durchqueren, dann sind sie in Österreich. Dort oder in Deutschland wollen sie Asyl beantragen. Ihre Ersparnisse reichen noch eine Weile. In allen Lagern sind sie kostenfrei verpflegt und untergebracht worden, auch die Kleidung konnten sie mehrfach wechseln. Was sie indes wundert, ist die unterschiedliche Berechnung des Transports: In Griechenland, Mazedonien, Serbien und in Österreich müssen sie dafür bezahlen, in Kroatien und Slowenien hingegen nicht.
Von Preševo in Südserbien bis hier hinauf nach Šid fahren sowohl Busse als auch Bahnen. Die Busse sind bequemer, kosten aber mehr, 35 Euro je Erwachsenen. Für Busunternehmer ist der Migrantenstrom ein gutes Geschäft. Miroslav Stancović, ein gedrungener Mann, den alle nur Miki mali (kleiner Miki) nennen, hat drei Fahrzeuge mit rund 200 Plätzen im Einsatz. Stolz posiert er an der Raststätte vor dem Bus. Jede Fahrt bringt ihm 600 bis 700 Euro Gewinn ein, rechnet er vor. Bei je drei Touren im Monat mit drei Bussen sind das rund 6000 Euro.
„Ohne die Flüchtlinge wäre das Geschäft im Winter tot, und ich brauchte auch meine vier Fahrer nicht“, sagt er; im Frühling und Sommer lebt der Betrieb von Ausflugs- und Urlaubsfahrten. Zufrieden ist Miki mali dennoch nicht. Es gebe zu viel Konkurrenz auf der Transitstrecke, 300 Kleinstunternehmen mit 500 Bussen. Außerdem gehe derzeit die Zahl der Migranten zurück. Er bekomme jetzt seltener Aufträge. Er hat einen Wunsch für das neue Jahr: „Hoffentlich kommen bald wieder mehr Flüchtlinge.“
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