Anleihen-RückkaufDer Trick der Griechen
08.12.2012 · Griechenland kauft seine Staatsanleihen zurück. Und senkt so den Schuldenstand. Das Geschäft klappt nur, weil kein Anleger mehr an das Land glaubt.
Von CHRISTIAN SIEDENBIEDEL
Es klingt verflucht nach wundersamer Geldvermehrung. Die Griechen haben es tatsächlich geschafft, sich zehn Milliarden Euro zu leihen und damit Schulden in Höhe von 30 Milliarden Euro zu begleichen. Man stelle sich vor: Wir als Hausbauer könnten das machen. Wir zahlen die Hypothek bei unserer Bank über 300000 Euro ab, indem wir uns einfach woanders 100000 Euro leihen. Das wäre doch zauberhaft!
Wie ist das möglich? Der Mechanismus funktioniert so: Länder verschulden sich, indem sie Staatsanleihen an Anleger ausgeben. Sie versprechen, dafür Zinsen zu entrichten und das Geld am Ende der Laufzeit zurückzuzahlen. Wenn ein Land nun aber besonders hoch verschuldet ist, werden diese Anleihen am Kapitalmarkt unter ihrem Ausgabepreis, mit einem sogenannten Abschlag, gehandelt. Der Grund dafür ist, dass die Anleger sich nicht sicher sind, ob sie ihr Geld am Ende wiedersehen.
Lieber billig Geld leihen
Das hat sich Griechenland nun zunutze gemacht. Ähnlich wie Bolivien auch schon im Jahr 1988. Wenn so ein übermäßig verschuldetes Land irgendwie an frisches Geld kommt, kann es seine eigenen alten Staatsanleihen zu dem niedrigen Preis ausgesprochen günstig zurückkaufen und so seine Staatsschulden verringern. Denn die Griechen müssen jetzt nur zehn Milliarden Euro zahlen statt 30 Milliarden am Ende der Laufzeit.
Das Vorgehen ist ungewöhnlich, aber es gibt Parallelen. Auch Unternehmen und Privatleute kaufen bisweilen eigene Schulden zurück. Allerdings gibt es dabei einen entscheidenden Unterschied: Wenn ein Unternehmen sich heute billiger verschulden kann als vor drei Jahren, weil die Zinsen gesunken sind, dann ist es sinnvoll, dass es sich heute billiger Geld leiht und damit die alten Schulden zurückzahlt. Zumindest dann, wenn diese vorzeitige Rückzahlung nicht mit hohen zusätzlichen Kosten verbunden ist.
Das Risiko steigt
Bei Griechenland ist das anders. Das Land kann sich ohne fremde Hilfe praktisch gar kein Geld mehr leihen. Schon gar nicht besonders günstig. Das Geschäft funktioniert nur, weil der europäische Rettungsfonds sich das Geld gleichsam im Namen der Griechen leiht. Für den Rettungsfonds aber haften alle Euroländer. Darum leihen die Anleger dem Fonds das Geld lieber und viel billiger als den Griechen. Die hohe Kreditwürdigkeit der anderen Euroländer wird also ausgenutzt, um den Schuldenstand der Griechen zu senken. Zugleich steigt das Risiko für die anderen Euroländer. Aber das würde es natürlich auch tun, wenn sie Griechenland einfach so mehr Geld leihen würden. Was bedeutet das nun für Griechenland, die Anleger und die Zukunft des Euro?
Schon die Tatsache, dass dieses Projekt geklappt hat, ist einer Paradoxie zu verdanken, die bedenklich stimmt. Der Schuldenrückkauf soll schließlich dazu führen, dass Griechenland wieder auf einen grünen Zweig kommt. Aber er hat nur deshalb funktioniert, weil die Anleger nicht glauben, dass Griechenland auf einen grünen Zweig kommt.
„Der Erfolg der Aktion zeigt, wie kritisch die Anleger Griechenland beurteilen“, sagt Kai Konrad, Geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in München. „Ein Anleger nimmt ein solches Angebot ja nur an, wenn er damit rechnet, dass er andernfalls noch weniger zurückbekommt.“
Schuldentragfähigkeit soll wieder hergestellt werden
Nur weil die Anleger davon ausgehen, dass früher oder später doch noch ein weiterer Schuldenschnitt für Griechenland kommt und sie dann noch viel stärker zur Kasse gebeten würden, waren sie bereit, ihre Anleihen für weniger Geld zurückzugeben, als sie bekommen hätten, wenn sie bis zum Laufzeitende gewartet hätten.
„Der Schuldenrückkauf soll die Schuldentragfähigkeit Griechenlands wiederherstellen. Aber damit er gelingt, müssen die meisten Anleger davon ausgehen, dass die Schuldentragfähigkeit nicht erreicht wird“, formuliert es Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank.
Wegen dieser paradoxen Situation mussten die Politiker auch immer abwechselnd öffentlich gegenteilige Nachrichten streuen: Sie mussten auf der einen Seite verkünden, Griechenland brauche den Schuldenrückkauf, um wieder Hoffnung schöpfen zu können. Schließlich mussten die Staaten Europas bereit sein, die zusätzlichen Kredite über immerhin zehn Milliarden Euro bereitzustellen. Wenn offen gesagt worden wäre, dass man lediglich Geld in ein Fass ohne Boden steckt, wären die Widerstände vielleicht stärker gewesen. Zugleich mussten alle Politiker - bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel - über einen später vielleicht doch noch notwendigen nächsten Schuldenschnitt für Griechenland spekulieren.
Damit die Anleger sich - bei aller Unsicherheit - bewusst sind, dass so etwas drohen kann. Und es ihnen daher attraktiv erscheint, ihre Anleihen unter Nennwert zurückzugeben. Ohne ein solches Erpressungspotential wäre die Aktion vermutlich nicht möglich gewesen. Banker nennen den Schuldenrückkauf deshalb „pseudofreiwillig“.
Das Kalkül der unterschiedlichen Gläubiger des griechischen Staates war dabei sehr verschieden. Anders als zu Beginn der Krise sind die meisten griechischen Anleihen längst nicht mehr in privater, sondern in öffentlicher Hand. Papiere im Wert von etwa 62 Milliarden Euro waren laut Commerzbank bei privaten Gläubigern verblieben, davon etwa 17 Milliarden bei griechischen Banken und Pensionskassen. Anleihen über 45 Milliarden Euro hielten Gläubiger außerhalb Griechenlands - Versicherungen, Banken, Privatleute und Hedgefonds.
Für die griechischen Banken ging das Kalkül so: Der Internationale Währungsfonds hatte weitere Unterstützung für Griechenland davon abhängig gemacht, dass bei dem Schuldenrückkauf genug herauskommt. „Wenn die griechischen Banken komplett nicht mitgemacht hätten, wäre ihre eigene Finanzierung gefährdet gewesen“, sagt Hans-Peter Burghof, Bankenprofessor in Stuttgart. „Das wäre kaum denkbar gewesen.“ Schon vor Ablauf der Frist gaben deshalb einige der größten griechischen Banken ihre Beteiligung bekannt. „Einzelne Banken konnten ausscheren und nicht mitmachen, zugleich aber davon profitieren, dass alle anderen dabei sind“, meint Bankenprofessor Burghof. Sie sind „free rider“ - Trittbrettfahrer. Auf jeden Fall reichte die Zahl der Mitmachenden offenkundig.
Viele Gläubiger gehen hohes Risiko ein
Bei den auswärtigen Gläubigern Griechenlands - Banken, Versicherungen, Hedgefonds, Privatanlegern - gab es offenbar vor allem zwei Gruppen, die sich in ihrem Kalkül grundsätzlich unterschieden. Die eine Gruppe hatte schon vor dem ersten Schuldenschnitt im Frühjahr die griechischen Staatsanleihen gekauft. Diese langfristigen Anleger hatten schon beim vergangenen Mal kräftig Geld verloren und hätten das jetzt noch mal getan. „Von ihnen sagen sich vielleicht einige, ich sitze das jetzt aus und warte bis zur Fälligkeit meiner Anleihen“, meint Bankenprofessor Burghof.
Wenn diese Gläubiger jetzt die Anleihen an den griechischen Staat verkauft hätten (oder an der Börse, weil sie unter der von Griechenland vorgegebenen Mindestgrenze von 1000 Euro lagen), hätten sie Verluste realisiert. „Das wollten viele nicht“, meint Burghof. Die andere Gruppe von Gläubigern sind die, die erst nach dem ersten Schuldenschnitt im Frühjahr die Anleihen gekauft haben. Sie haben viel weniger gezahlt. Das waren oft Hedgefonds, die sich mit den hochspekulativen Anleihen billig eingedeckt haben und darauf wetteten, dass die Staatengemeinschaft Griechenland schon nicht fallenlassen wird. „Dazu gehörte damals viel Mut“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. „Das hätte auch gründlich schiefgehen können.“ Die Kurse waren damals schließlich auch deshalb so niedrig, weil zumindest ein Teil der Anleger fest damit rechnete, dass Griechenland vor dem Euro-Rauswurf stehe - und sie ihr Geld dann nicht wiedersähen.
Das änderte sich zumindest ein wenig, als Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, im Juli ankündigte, die EZB werde „alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten“. Die Anleger interpretierten das so, dass die Notenbank notfalls Preise über dem Marktniveau für griechische Staatsanleihen zahlen würde. Das trieb die Kurse in die Höhe.
Finger weg von griechischen Staatsanleihen!“
Für die Hedgefonds war damit schon klar, dass sie ein gutes Geschäft gemacht hatten. „Wer in der Zeit gekauft hat, als der Grexit, der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, unmittelbar bevorzustehen schien, und jetzt verkauft hat, konnte sein Geld locker verdoppeln“, sagen Händler.
Viele der privaten Gläubiger, die in der vergangenen Woche beim Schuldenrückkauf mitgemacht haben, sind wohl solche gewesen, die billig gekauft und längst einen Gewinn gemacht hatten. „Den konnten sie jetzt komfortabel realisieren“, sagt Bankenprofessor Burghof. Einige Hedgefonds, vor allem solche aus dem amerikanischen Rechtsraum, spekulierten hingegen wohl noch darauf, vor Gericht gegen den ersten Schuldenschnitt der Griechen vorzugehen - und später am Schadensersatz zu verdienen.
Was aber bedeutet der Schuldenrückkauf für den Euro? „Kurzfristig ist die Euro-Krise durch die verschiedenen Maßnahmen ein wenig in den Hintergrund geraten“, sagt Andreas Höfert, der Chefökonom der Schweizer Großbank UBS. Davon werde auch der Euro profitieren. Mittelfristig sei die Krise aber noch längst nicht ausgestanden. Höfert rät deshalb: „Finger weg von griechischen Staatsanleihen!“ Die Politik werde auch weiter versuchen, die privaten Gläubiger „auszupressen, so weit es geht“.
Die nächste Schuldenschnitt kommt
Auf dem Papier sei die Schuldentragfähigkeit Griechenlands zwar wiederhergestellt, resümiert Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Nicht aber in Wirklichkeit. Krämer warnt, die Annahmen der Politik für die künftigen Haushaltssalden und das Wirtschaftswachstum in Griechenland seien zu optimistisch. „Es ist etwa unrealistisch, dass die griechische Wirtschaft von 2016 an in jedem Jahr real um 3,5 Prozent wächst.“
Viele Ökonomen erwarten stattdessen, dass am Ende auch die öffentlichen Gläubiger auf einen Teil ihrer Ansprüche werden verzichten müssen. „Die griechische Schuldendynamik ist weiter auf einem explosiven Pfad“, formuliert es UBS-Chefökonom Höfert. „Ohne einen signifikanten Schuldenschnitt des öffentlichen Sektors dürfte dies auch weiterhin so sein.“
Vieles spricht also dafür, dass dieser nächste Schuldenschnitt kommt - wenn auch vielleicht nicht gleich. Nach zwei kräftigen Einschnitten in diesem Jahr könnten die Politiker eine Pause verordnen, schließlich stehen in Deutschland Bundestagswahlen an. Aber wenn alle anderen Instrumente ausgeschöpft sind, so sagen die Ökonomen, dann sei der „Haircut“, der Schuldenschnitt für die öffentlichen Gläubiger, einfach der nächste logische Schritt.
Wirtschaftsprofessor Kai Konrad ist sich aber sicher, dass es dabei nicht bleiben wird. „Die Politik hat einen Weg eingeschlagen, bei dem Griechenland zu dem werden wird, was für Deutschland das Bundesland Bremen ist: ein dauerhafter Sanierungsfall.“
Ich darf nicht verkaufen
F.A.S.-Redakteur Patrick Bernau hat seit April 2010 eine Griechenanleihe. Der Schuldenrückkauf bringt ihm nichts.
Nie hätte ich gedacht, dass ich noch mal über dieses traurige Kapitel meiner Geldgeschichte schreiben würde: die Griechenland-Anleihen, die ich einst gekauft hatte. Griechenland wollte ich helfen und selbst dabei verdienen: sechs Prozent an Zinsen. Ich hatte Herrn Schäuble geglaubt, der eine Pleite Griechenlands ausgeschlossen hatte – und musste am Ende doch auf mein Geld verzichten. Ich dachte, ich wäre raus. Meine Anleihe hat Griechenland zurückgeholt, stattdessen bekam ich 20 neue. Gesamtwert: nicht mal die Hälfte, und selbst das stand nur als Nominalwert auf dem Papier. 20 neue Anleihen, das komplette Anleihenangebot Griechenlands, lagen also in meinem Depot, die Rückzahlungsdaten säuberlich gestaffelt bis 2042. Da liegen sie, dachte ich, und erinnern mich an meine Fehlinvestition – bis kurz vor der Rente.
Doch jetzt sollte sich das ändern. Rund ein Drittel vom Nominalwert sollte ich bekommen, beim Schuldenrückkauf der Griechen – so hieß es. Die Griechen zahlen mir ein Drittel vom Nominalwert. Ich erhalte also mehr, als die Anleihe an der Börse wert ist – dafür müssen die Griechen den Nominalwert der Zinspapiere nicht mehr als Schulden verbuchen. Das wäre doch mal ein Geschäft für alle! (Sogar für Herrn Schäuble, denn wenn ich noch mal verzichte, dann muss er nicht auf sein Geld verzichten, sagt der IWF.)
Aber ich musste schnell feststellen: Zum Zahlen war ich Kleinanleger gut genug, für den Schuldenrückkauf aber nicht. 1000 Euro muss man mindestens in einer Anleihe haben, damit man sie zurücktauschen darf. So viel Geld hatte ich den Griechen nun auch wieder nicht geliehen, dass nach der Teilung 1000 Euro pro Anleihe übrig blieben. Zum Glück!
Macht nix, denkt sich da der Investor, zum Glück ist ja der Kurs gestiegen, dann kann ich meine Anleihen ja auch an der Börse verkaufen. Aber selbst da hatte ich Pech. Erst war die Aktie vom Handel ausgesetzt, dann war der Kurs wieder unten. Und ein Blick ins Depot zeigt für alle 20 Anleihen ungefähr dasselbe. Kurswert der Anleihe: 7,70 Euro. Gebühren für den Verkauf: 9,90 Euro.
Wir lesen dann wieder voneinander im Jahr 2042.
Macht nix, denkt sich da der Investor, zum Glück ist ja der Kurs gestiegen, dann kann ich meine Anleihen ja auch an der Börse verkaufen. Aber selbst da hatte ich Pech. Erst war die Aktie vom Handel ausgesetzt, dann war der Kurs wieder unten. Und ein Blick ins Depot zeigt für alle 20 Anleihen ungefähr dasselbe. Kurswert der Anleihe: 7,70 Euro. Gebühren für den Verkauf: 9,90 Euro.
Wir lesen dann wieder voneinander im Jahr 2042.
Der Trick der Griechen hat also nun funktioniert.
AntwortenLöschenDas wird aber wohl noch nicht der letzte Trick gewesen sein.
Betrachtet man sich nun die Anleihen-Charts mit den unterschiedlichen Laufzeiten und stellt diesen Kurven die festgeschriebenen Zinskonditionen gegenüber wird deutlich, was als nächstes passieren wird:
Griechenland wird versuchen, die noch im Umlauf befindlichen Anleihen am Sekundärmarkt sukzessive zurückzukaufen - mit verstärktem Fokus auf die Langläufer.
Warum?
Weil ab 2022 4,3% Zinsen auf den Nominalbetrag fällig werden und die Hebelwirkung durch die niedrigeren Kurse bei den Langläufern deutlich größer ist.
Bspw. sind für die 2042er Anleihe ab 2022 pro Jahr knapp 69 Mio EUR Zinsen fällig (bei noch ausstehenden 1,6Mrd Nominal). Würde man jetzt diese Anleihe sukzessive zu 30% zurückkaufen können wären dafür 480Mio fällig. Dafür spart sich Griechenland 21x 69 Mio Zinsen und rund 1,1 Mrd Rückzahlung plus die bis 2022 anfallenden Zinsen!
Selbst wenn man nur einen Teil davon zurückkauft und auch zu 40 oder 50% rechnet sich das allemal!
(Aldy)