Die Teile der UkraineDas Grenzland
04.02.2014 · Kosaken und Partisanen: Auf den ersten Blick mögen die Teile der Ukraine klar voneinander getrennt erscheinen. Doch schaut man genauer hin, dann findet man wenigstens fünf Gebiete mit historisch und kulturell unterschiedlichen Prägungen.
Von REINHARD VESER
© AKG-IMAGESGegen fremde Vorherrschaft: Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan und lehnen es ab, seine Untertanen zu werden. Ausschnitt aus einem Gemälde von Ilja Repin, 1891
Die Straße in Kiew, in der sich im Januar Demonstranten und Sicherheitskräfte heftige Auseinandersetzungen lieferten, ist nach dem Historiker Mychajlo Hruschewskyj benannt. Seine Anfang des 20. Jahrhunderts in mehreren Bänden erschienene monumentale „Geschichte der Ukraine“ war das erste große wissenschaftliche Werk, in dem das Land nicht als Teil Russlands oder Polens, sondern als eigenständiges Subjekt dargestellt wurde. Hruschewskyj beließ es nicht bei der Theorie. Als die Ukrainer 1917 erstmals versuchten, einen eigenen Staat zu gründen, wurde er der Vorsitzende des revolutionären Parlaments, der „Zentralen Rada“. Hruschewskyj starb 1934 in der Verbannung im Nordkaukasus. Die Ursache seines Todes ist nie aufgeklärt worden – doch spricht vieles dafür, dass er ein Opfer Stalins wurde.
Als Historiker kämpfte Hruschewskyj gegen die bis heute in der russischen Geschichtsschreibung kaum hinterfragte Auffassung, die im 10. Jahrhundert begründete Kiewer Rus sei der Anfang des russischen Imperiums gewesen. Seiner Ansicht nach war der legitime Nachfolger dieses ersten Staates der Ostslawen nicht das Moskauer Reich, sondern das weiter im Westen gelegene Fürstentum Galizien-Wolhynien. Dessen Herrscher pflegten enge Beziehungen nach Polen und Ungarn, Städte wie Lemberg waren mitteleuropäisch geprägt.
Doch Hruschewskyjs Ukraine wäre nicht vorstellbar ohne den Osten, ohne die Kosaken, die seit dem 15. Jahrhundert am Unterlauf des Dnjepr an der Grenze zur Steppe, dem sagenumwobenen „wilden Feld“, siedelten. Diese später romantisch verklärten Bauernkrieger schufen ein Gemeinwesen mit demokratischen Elementen und wahrten bis zum 18. Jahrhundert ein gewisses Maß an Selbständigkeit gegenüber Russland. Vom Siedlungsraum der Kosaken hat das Land seinen Namen: „Ukraina“ bedeutet Grenzland.
Macht wird in Frage gestellt
Im einstigen Kosaken-Land im Südosten, in Dnipropetrowsk und Saporischje, hat heute Präsident Janukowitschs Partei der Regionen das Sagen, aber auch dort wird ihre Macht in Frage gestellt. In beiden Städten versuchten Demonstranten Anfang vergangener Woche, die Gebietsadministrationen zu besetzen, wurden aber von den Sicherheitskräften gemeinsam mit Schlägerbanden in Zivilkleidung brutal zurückgeschlagen. Die örtlichen Machthaber griffen anschließend zu starken Worten: Sie bezeichneten die Demonstranten als Fremde, die versucht hätten, die Städte im Handstreich zu nehmen und deren Bewohnern die Freiheit zu rauben – so wie die Faschisten im Zweiten Weltkrieg, der im Osten der Ukraine wie in Russland noch den sowjetischen Namen „Großer Vaterländischer Krieg“ trägt.
Die Anspielung auf den Zweiten Weltkrieg rührt an eine tiefe Wunde in der ukrainischen Gesellschaft. Die Sicht auf jene Jahre ist im Osten der Ukraine diametral der im Westen des Landes entgegengesetzt, wo laut Umfragen 90 Prozent der Bevölkerung die Proteste gegen das Regime unterstützen – und der Streit über diesen Teil der Geschichte wird oft mit einer Erbitterung ausgetragen, in der die Greuel jener Jahre nachhallen. In der Westukraine, die in der Zwischenkriegszeit zu Polen gehörte und im September 1939 infolge des Hitler-Stalin-Pakts von sowjetischen Truppen besetzt wurde, bestimmen die Verbrechen das Bild, die bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 und ab 1944 wieder von Stalins Schergen verübt wurden; in der Ostukraine dagegen wird die Erinnerung von den Leiden geprägt, das Hitlers Vernichtungskrieg über die Menschen brachte.
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