Donnerstag, 30. April 2015
Wie Bayern einst Schulden eintriebBismarck brachte Griechen zum Zahlen
Die Episode liegt fast 200 Jahre zurück. Die Griechen sind pleite - fast genauso wie heute. Nur ist der größte Gläubiger nicht Europa, sondern das kleine Königreich Bayern. Fast hätte es sein Geld nicht wiedergesehen.
Griechenland war in Schuldenangelegenheiten schon immer eine unsichere Bank. Das lehrt die Geschichte. Einschlägige Erfahrungen machte das Königreich Bayern vor annähernd 200 Jahren. Ludwig I. und seine Untertanen bezahlten für eine romantische Schwärmerei für den Peloponnes einen hohen Preis. Am Ende ging der Streit zwischen Bayern und Griechenland zwar glimpflich aus, aber es dauerte immerhin fast ein halbes Jahrhundert, bis dieser beigelegt war.
Die klammen Finanzen wurden dem griechischen Staat gewissermaßen mit in die Wiege gelegt. Im Januar 1822 hatte Griechenland seine Unabhängigkeit von der türkischen Vorherrschaft erkämpft. Und es war pleite. Der bayerische König, der ein glühender Verehrer des antiken Griechenlands war, hielt es für seine Pflicht, dem Land in seiner Staatskrise beizustehen. Offenbar wollte er das bayerische Königshaus mit griechischen Heldensagen und Göttergeschichten schmücken. Er lieh Athen innerhalb weniger Jahre viel Geld und wurde so zum größten Gläubiger. Allerdings machte er nicht die Bekanntschaft mit griechischer Geschichte, sondern mit der mangelnden griechischen Zahlungsmoral.
Die Hilfsaktion war nicht ganz ohne eigennützigen Hintergedanken - somit hat er die Geschichte auch mitverschuldet: Ludwig I. witterte die Chance, seinen politischen Einfluss zu vergrößern. Auf gut Deutsch: Er war gierig nach Macht. Die damalige "Troika" aus den Ländern Frankreich, Russland und England, die Griechenland im Unabhängigkeitskrieg unterstützt hatten, verordneten dem Land eine Erbmonarchie. Ihnen fehlte aber ein geeigneter Herrscher. Da schlug Ludwig I. seinen eigenen Sohn Otto von Bayern vor.
Die europäischen Großmächte waren einverstanden und am 2. Mai 1832 wählte die griechische Nationalversammlung den 16-jährigen Prinzen zum Staatsoberhaupt Griechenlands. Da er noch minderjährig war, zog sein Vater von München aus die Strippen in Athen. Die Aufgabe, die sich ihm stellte, war immens: Die Verwaltung, das Schulwesen - durch den blutigen Unabhängigkeitskrieg war in Griechenland alles zusammengebrochen. Ludwig I. schickte Finanzexperten, Architekten und Juristen nach Athen. Aber Ottos Reich fehlte darüber hinaus vor allem eins - Geld. Die damaligen "Troikaner" zahlten zwar 60 Millionen Franken als Soforthilfe für den bankrotten Staat. Nur reichte das bei weitem nicht aus.
Ein Fass ohne Boden
Der junge Otto von Bayern musste seinen Vater in den darauffolgenden Jahren bis 1837 insgesamt drei Mal anpumpen. Zweimal bekam er jeweils eine Million Franken. Beim dritten Mal war es eine Million Gulden. Allein die dritte Tranche entspräche heute einer dreistelligen Millionensumme in Euro. Ludwig I. hat das Geld Zeit seines Lebens nicht wiedergesehen.
Und es kam noch schlimmer: Dass er auf Kosten Bayerns so spendabel war, bescherte Ludwig I. Ärger, denn er war kein absoluter Herrscher. Die vereinbarten vier Prozent Zinsen bezahlten die Griechen zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr. Getilgt wurden die Kredite aus Bayern auch nicht mehr. Die Folge: Ludwig I wirft 1848 hin und verzichtet auf den Thron. Für die griechischen Kredite musste er selbst geradestehen. Von seinem Sohn konnte er das Geld nicht mehr eintreiben, weil dieser in Ungnade fiel und 1862 aus Griechenland vertrieben wurde. Die griechischen Schulden erbten die Nachfahren.
Aufgeschrieben hat die Episode aus den bayerisch-griechischen Beziehungen der Historiker und Archivar Hans Philippi. Nach seinen akribischen Nachforschungen schuldete Griechenland im Jahr 1880 Bayern - inklusive offener Zinsrechnungen - 5.243.428 Mark und 57 Pfennige. Bayern hatte sich demnach gewaltig verspekuliert. Doch am Ende hatte es Glück. Das griechische Abenteuer wurde zwar nicht die erhoffte Bereicherung, die sich die Bayern erhofft hatten. Aber am Ende schafften sie es aber doch, die schlimmsten Folgen des finanziellen Abenteuers wegzustecken – und zwar deutlich besser, als es die europäische Währungsunion heute voraussichtlich tun wird.
"Ehrenschulden müssen beglichen werden"
Wie haben sie das geschafft? Der Dank der Bayern gebührt dem preußischen Reichskanzler Otto von Bismarck, der 1871 den ersten deutschen Nationalstaat - das Heilige Römische Reich Deutscher Nation - gründete. Preußen ist damals eine einflussreiche Großmacht in Europa - die selbst Griechenland anerkennt.
Am 10. Juni 1880 erzählt der bayerische Minister des Äußeren, Freiherr von Crailsheim, Bismarck von den offenen Forderungen an Athen. Es ist die Gunst der Stunde: Denn Griechenland will seine Grenzen nach Norden erweitern und Bismarck soll diesem Vorhaben zustimmen. Der Reichskanzler hat ein offenes Ohr und stellt Griechenland eine wichtige Bedingung. Er will, dass Athen vorher "seine Pflicht erfüllt". Ein Staat, "der seine Ehrenschuld nicht zahle", verdiene nicht vergrößert zu werden, ist es in einem zeitgenössischen Protokoll nachzulesen.
Die Griechen lenken ein. Sie haben ein Ziel - die Gebietserweiterung - vor Augen, das ihnen den Preis wert erscheinen lässt. Aber sie verhandeln hart. Zinsen zahlen wollen sie nicht. Diese Forderung setzen sie durch. Bayern gibt sich am Ende mit 1,6 Millionen Franken zufrieden. Die Nachfahren von Ludwig I. sind aus dem Schaden klug geworden und nehmen, was sie kriegen können.
Was lässt sich aus dieser Geschichte lernen? Wer sich mit Griechenland um Geld streitet, braucht einen langen Atem. Athen verhandelt nur mit denen, vor denen es Respekt hat. Und Einlenken tut Griechenland nur dann, wenn es einem Ziel dient - und zwar einem anderen, als der bloßen Schuldentilgung. Und wenn es zahlt, dann nicht die volle Summe.
Ludwig I. und sein Sohn Otto waren nicht schwergewichtig genug, um es mit den Griechen aufzunehmen. Für die musste Bismarck kommen. Ein Schelm, der dabei an Brüssel und die Troikaner denkt. Die Frage ist wohl, wer könnte der neue Bismarck sein?
Quelle: n-tv.de