Anleihegläubiger ausgebootetWie Anleger in die Insolvenzfalle tappen
19. März 2013
Das mit der Energiewende hatte sich Betriebswirt Alfons Busch ganz anders vorgestellt, als er im Sommer 2011 sein Geld in Windenergie investierte. Die Bundesregierung hatte nach der japanischen Reaktorkatastrophe Deutschlands grüne Zukunft ausgerufen und Atomkraftwerke stillgelegt. Busch kaufte die Anleihe der Siag Schaaf Industrie AG. Der Windanlagenbauer aus der rheinischen Provinz war ein globales Unternehmen, Standorte in den USA, Singapur, Asien – was kostet die Welt? Doch im März 2012, acht Monate, nachdem Busch gezeichnet hatte, war Siag zahlungsunfähig. Für Busch wird die Energiewende nun teurer als für jeden Stromkunden. Nach der gerade abgeschlossenen Siag-Sanierung dürfte der 62-Jährige pro 1000 investierten Euro noch drei Euro und 40 Cent zurückerhalten.
Anderen bekam Siag besser: Berater und Anwälte haben gut verdient – die einen bei Auflegung der Anleihe, die anderen bei der Enteignung der Anleger. Auch die Deutsche Kreditbank (DKB), eine Tochter der Bayerischen Landesbank, seit Beginn am Anleihen-Trauerspiel beteiligt, zog sich prächtig aus der Affäre. Während Anleihegläubiger wie Busch mager abgefunden werden, gehen alle Siag-Anteile nun zunächst auf eine Beteiligungstochter der DKB über. Siag wurde einen Berg Schulden los, ist profitabel und muss jetzt nur noch die verbliebenen DKB-Kredite bedienen.
Siag Schaaf
Branche
Anleihevolumen
Mindestquote nach Insolvenzplan
Status
ESUG
Solche Verfahren können Unternehmen heute binnen weniger Monate durchziehen. Möglich macht dies ein seit dem 1. März 2012 geltendes neues Gesetz zum Insolvenzrecht, das „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG). Sein Kern: Unternehmen in Schieflage können sich drei Monate unter einen Schutzschirm flüchten.
In dieser Zeit sollen sie einen Sanierungsplan erarbeiten und sind vor Gläubigern geschützt. Im Unternehmen übernimmt nicht ein vom Gericht eingesetzter unabhängiger Insolvenzverwalter die Regie, sondern der Vorstand darf weitermachen. Ihm wird ein „Sachwalter“ zur Seite gestellt, den er in der Regel selbst bestimmt. Binnen drei Monaten muss ein Rettungsplan entwickelt werden. Danach wird das Insolvenzverfahren eröffnet, innerhalb dessen das Unternehmen saniert werden soll. Gewählt haben diesen Weg neben Siag Schaaf etwa Solarzulieferer SiC Processing, das Solarunternehmen Solarwatt und Immobilienentwickler WGF.
Weitgehend vom Unternehmen gesteuerte Sanierung
Die weitgehend vom Unternehmen gesteuerte Sanierung geht, das kristallisiert sich bei den bisher nach dem neuen Verfahren abgewickelten Insolvenzen von börsennotierten Unternehmen heraus, vor allem zulasten der Anleger. Die haben über drei Milliarden Euro in rund 70 börsennotierte Mittelstandsanleihen gepumpt. Damit die Anleger anbissen, haben Unternehmen ihnen Zinskupons bis 11,5 Prozent versprochen – selbstmörderische Zinssätze, die immer mehr nicht erwirtschaften können; Belastungen, die viele gerne wieder loswürden. Anwaltskanzleien und Berater, kritisieren Investoren, ziehen derzeit durch die Lande und preisen das neue Gesetz als Königsweg zur Entschuldung an.
Die bayrische Dependance der renommierten Kölner Wirtschaftskanzlei Görg etwa präsentierte jüngst bei einem Mandantenfrühstück ihren Klienten „Neue Chancen der Sanierung“. Über den Dächern von München, mit Panoramablick auf die Frauenkirche und die Kuppel der Theatinerkirche, wussten die insolvenzerfahrenen Anwälte Erfreuliches zu berichten.
Vorteil der Restrukturierung in der Insolvenz sei, dass eine „Entschuldung der Gesellschaft auch gegen den Willen von Gläubigern und Aktionären möglich“ sei. Eine „Enteignung“ der Altaktionäre, beispielsweise durch die Umwandlung von Schulden in Aktien (Debt to Equity-Swap), sei „denkbar“. Weiterer Vorteil: „In der Regel“ sei ein „höherer Haircut“ möglich. Dürfte heißen: Anleiheanleger müssen auf mehr Geld verzichten als außerhalb der Insolvenz. Gelobt wurde die Schnelligkeit des Verfahrens. Das Risiko, dass Gläubiger sich gerichtlich gegen den Insolvenzplan wehrten, sei „seit ESUG erheblich reduziert“.
Die Idee hinter der Gesetzesreform ist durchaus honorig: Die Bundesregierung wollte es Unternehmern ermöglichen, ihren Betrieb selbst zu sanieren – schon bevor das Unternehmen endgültig zahlungsunfähig ist. Nach altem Recht hielt die Angst, die Kontrolle über die Firma völlig zu verlieren, viele Chefs davon ab, zum Insolvenzgericht zu gehen. Erst wenn die Pleite unabwendbar war, beantragten sie Konkurs – zu spät: Betriebe kollabierten, Jobs gingen verloren. „Wenn wir als Insolvenzverwalter in die Unternehmen kamen, war für die Gläubiger oft nicht mehr viel zu holen“, sagt der erfahrene Berliner Verwalter Rüdiger Wienberg.
Die Reform sollte das ändern: Der Chef kann selbst einen Insolvenzplan zu Papier bringen, in dem steht, wie saniert werden soll. Sein Sachwalter wird zwar vom Gericht benannt, aber er darf ihn vorschlagen. Der Sachwalter hat eine schwächere Position als ein vorläufiger Insolvenzverwalter in herkömmlichen Verfahren: Der Insolvenzverwalter muss Geschäftsentscheidungen zustimmen, der Sachwalter überwacht die Geschäftsführung nur.
Kritik von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger
Dass er denen gegenüber, die ihm diesen Job verschafft haben, nicht allzu streng auftritt, liegt nahe. Wenn in einem Unternehmen die kreditgebenden Banken oder Großaktionäre Schlüsselstellungen besetzt haben, besteht die Gefahr, dass Sachwalter und Management vor allem in deren Sinne handeln.
Banken, Hedgefonds und andere Finanzunternehmen hätten „Insolvenzverfahren als unregulierten Nebenmarkt entdeckt“, warnt der Verband der Insolvenzverwalter VID. „Damit sind neue Player ins Spiel gekommen, die nicht primär an Sanierung interessiert sind, sondern ausschließlich an kurzfristigem Gewinn – zum Schaden der Gläubiger.“ Und Daniel Bauer, Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), kritisiert: „Das neue Insolvenzrecht ist nichts anderes als ein gesetzlicher Anreiz, eine Rückzahlung nicht vorzunehmen. Es ist für Unternehmen nun höchst attraktiv, aktiv ein Insolvenzverfahren einzuleiten.“
In einigen Fällen, etwa beim Holzverarbeiter Pfleiderer, wurden auch Aktionäre enteignet. Der Hedgefonds Atlantik hatte Pfleiderer-Schulden aufgekauft und einen Kapitalschnitt durchgesetzt. Das Aktienkapital wird dabei auf null heruntergesetzt, die alten Aktien sind wertlos. Dann folgt eine Kapitalerhöhung, die nur ausgewählte Investoren zeichnen dürfen. Ihnen gehört dann das Unternehmen.
Am Ende müssen zwar auch nach neuem Recht Anleger und Aktionäre über den Insolvenzplan abstimmen. Dabei aber werden sie in Gruppen eingeteilt: Aktionäre, Agentur für Arbeit, Lieferanten, Finanzierer, Anleihegläubiger. Geht der Plan bei der Mehrheit der Gruppen durch, gilt er als angenommen. Insolvenzrechtler Guido-Friedrich Weiler von der Kanzlei Brennecke & Partner nennt die Tricks: „Die Kunst bei einem Insolvenzplan liegt darin, die Gruppen so zu gestalten, dass ich am Ende die gewünschten Mehrheiten bekomme. Ich schreibe meine Insolvenzpläne bewusst so, dass Gläubiger, von denen ich Gegenstimmen erwarte, möglichst Gruppen zugeordnet werden, in denen sie überstimmt werden können.“
Nachdem Anwälte und Unternehmer die ersten Verfahren nach neuem Recht durchgepeitscht haben, wird nun langsam deutlich: Die Einzigen, die gestärkt aus den Verfahren hinausgingen, waren Banken und kapitalstarke Investoren. Die Verlierer des neuen Gesetzes sind Anleihekäufer, Aktionäre und Steuerzahler.
Vertraute Manager in Schlüsselpositionen
Der Fall Siag, in dem ein Unternehmen nur acht Monate nach der Anleiheemission pleiteging, macht das allzu deutlich. Die DKB hat hier offenbar ihr vertraute Manager in Schlüsselpositionen installiert und so das Beste für sich herausgeholt. Die Bank bestreitet das, sie sieht sich als Retterin, die „das Fortbestehen der Siag“ besonders durch einen Kredit zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes ermöglicht habe. Fest steht aber: Die DKB hat das Trauerspiel um den Siag-Bond von der Wiege bis zur Bahre begleitet.
Bei Licht betrachtet hätte es die Anleihe nie geben dürfen: 2011, Siag hatte das letzte Geschäftsjahr mit einem operativen Verlust von 17 Millionen Euro abgeschlossen, brauchte das Unternehmen dringend Geld. Das sollten Anleger leihen – und tappten in die Falle. Werte lagen nicht bei der Holding, der die Anleihezeichner ihr Geld gaben, sondern bei Töchtern.
Die Anleihe kam im Juli 2011. Siag bot neun Prozent Zins, wollte 50 Millionen einsammeln, bekam aber nur 13 Millionen.
Der Aufsichtsrat musste die Emission absegnen. Zwei der sechs Aufsichtsräte waren Banker: DKB-Vorstand Rolf Mähliß und DKB-Direktor Mario Hotz, zuletzt bei Siag sogar Aufsichtsratschef. Die DKB sagt, es unterliege der „Geheimhaltungspflicht“, ob die DKB-Leute im Aufsichtsrat für die Anleihe gestimmt hätten. Dass sie sich gegen das für Anleger selbstmörderische Papier gewehrt haben, ist unwahrscheinlich – standen doch bei Siag Kredite der DKB im Feuer, zuletzt 27,6 Millionen Euro. Die Einnahmen aus der Anleihe seien dann auch auf ein Konto bei der DKB geflossen, beteuert Ex-Siag-Chef Rüdiger Schaaf.
Die DKB stellte bei Siag nicht nur zwei Aufsichtsräte und war Gläubigerin des Millionenkredits, sie hielt über ihre Beteiligungstochter MVC auch gut 23 Prozent der Anteile. Trotzdem erkannte die Bank nicht, dass die Schulden für Siag zu hoch waren – oder die DKB nahm das eben in Kauf. Acht Monate nach der Emission, im März 2012, reichte Siag den Insolvenzantrag ein.
Zunächst nach altem Recht – das neue ESUG war gerade erst ein paar Tage alt. Als vorläufigen Insolvenzverwalter setzte das Amtsgericht Montabaur Jan Markus Plathner von der Kanzlei Brinkmann & Partner ein. Mitte April aber beschloss der Siag-Aufsichtsrat offenbar, das Verfahren selbst in die Hand zu nehmen. Siag stieg von einem herkömmlichen Insolvenzverfahren in eines in Eigenverwaltung um. Plathner wurde zum Sachwalter degradiert. Auf die Schlüsselposition des Sanierungsvorstands – der alte Vorstand war mittlerweile abberufen – setzte der Aufsichtsrat den Dresdner Rechtsanwalt Andrew Seidl.
Ob die DKB Seidl ins Verfahren geholt habe, wollte die Bank nicht sagen. Das seien „Angelegenheiten des Aufsichtsrates“, die der „Geheimhaltungspflicht“ unterlägen. Fest steht: Die DKB und Seidl sind alte Bekannte. 2009 begleitete Seidl die Insolvenz der ae group, eines Metallverarbeiters aus dem Portfolio der DKB-Tochter MVC.
2012 arbeiteten Seidl und die DKB im Verfahren um die Frühstücksflockenfirma Dailycer Hand in Hand.
Dort gab es einen Heidenkrach, weil die DKB einen überlebenswichtigen Kredit an die Person Seidl geknüpft hatte. In einem Brief der DKB heißt es, dass das „gewährte Massedarlehen“ unter der Bedingung stünde, dass Seidl Sachwalter bleibe. Ein Massekredit dient dazu, den Geschäftsbetrieb trotz Insolvenz aufrechtzuerhalten. Im Gegenzug wird das Geld später vor anderen Forderungen bedient.
Da Seidl nun per Richterbeschluss raus war, schrieb die DKB, dass sie gezwungen gewesen sei, „den Massekredit für die Dailycer Deutschland Produktions GmbH fällig zu stellen“. Die Bank sieht darin kein Problem. Sie habe bei Abschluss des Kreditvertrages eine gängige Klausel vereinbart und später ausgeübt.
Mittlerweile wurde vom Gericht ein Sonderinsolvenzverwalter eingesetzt, der das Geflecht durchleuchtet und dem Vernehmen nach nun einen Millionenbetrag von der DKB fordern will. Die DKB sieht allerdings nach „erster vorläufiger juristischer Einschätzung gegenwärtig keine ausreichende Anspruchsgrundlage“. Ein Gutachten des ehemaligen Vorsitzenden des Bundesgerichtshofes, Gerhard Ganter, auf das sich der Sonderinsolvenzverwalter stützt, kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis.
Die Bank gewinnt
Fest steht: Über den Aufsichtsrat kam bei Siag der DKB-nahe Anwalt Seidl als Sanierungsvorstand in die Schlüsselposition. Er durfte den Insolvenzplan schreiben, in dem festgelegt wird, wie das Unternehmen saniert werden soll. Laut Plan verzichtet die Bank zwar auf zwei Drittel ihrer Forderungen. 8,6 Millionen Euro aber soll die neue Siag Industrie GmbH der Bank noch zurückzahlen – und das, obwohl knapp sieben Millionen davon bei der Siag Schaaf AG genauso wenig besichert waren wie die Anleihen.
Die DKB wehrt sich gegen den Vorwurf, die Bank sei bessergestellt worden als Anleihegläubiger. Sie verfüge „über Sicherheiten bei den Tochtergesellschaften“. Und Seidl rechtfertigt, die DKB sei wirtschaftlich ins Risiko gegangen und habe den laufenden Betrieb trotz Insolvenz finanziert. „Besserstellung der sanierungsbereiten Gläubiger gibt es in fast sämtlichen Insolvenzplanverfahren“, sagt Seidl.
Er dürfte für die Bank trotzdem einen guten Deal herausgeschlagen haben. Sie bekommt über ihre Tochter MVC ein um 100 Millionen Euro entschuldetes Unternehmen, das operativ profitabel arbeitet. Und ihre verbliebenen Kredite sind nach Abschütteln der anderen Gläubiger nun sicherer geworden.
Verlierer könnten, neben den Anlegern, auch die Steuerzahler sein: Die Nord/LB in Hannover hat die Siag-Tochter Nordseewerke in Emden mit rund 70 Millionen Euro finanziert. Für 50 Millionen davon bürgt das Land Niedersachsen, zudem hat die Bank 95 Prozent der Anteile an den Nordseewerken als Sicherheit bekommen. Die Werke sollen nun für rund 20 Millionen Euro an die Schweizer DSD Steel verkauft worden sein. Für die noch offenen 50 Millionen Schulden aber könnte Niedersachsen in die Bresche springen müssen. Das Finanzministerium in Hannover will das nicht kommentieren.
Ebenfalls unter den Schutzschirm des neuen Gesetzes geschlüpft, aber ein deutlich größerer Brocken als Siag, ist SiC Processing. Das Unternehmen, das Flüssigkeit (Sägesuspension) aus der Fotovoltaik- und Halbleiterindustrie aufbereitet, hat gut 82 Millionen Euro bei Anleihegläubigern ausstehen. Vor Weihnachten beantragte SiC ein Insolvenzverfahren nach neuem Recht – und verkündete, danach stehe man „unter Gläubigerschutz und müsste die Anleihezinsen zum 1. März nicht bedienen“. Der Scheck fiel aus, Anleger warten auf rund 5,7 Millionen Euro Zinsen. „Die Gesellschaft will das Verfahren nutzen, um sich von den Anleihegläubigern zu verabschieden“, sagt Frank Günther von der Münchner Beratung Günther & Partner.
SiC Processing
Branche
Anleihevolumen
Geschätzte Einbuße für Anleger
Status
Hohe Forderungen im Millionenbereich
Günther & Partner haben nach eigenen Angaben Forderungen „im hohen zweistelligen Millionenbereich“ angemeldet. Vergangene Woche hat Günther eine vorgezogene Gläubigerversammlung beim Insolvenzgericht beantragt. „Auf der wollen wir darüber entscheiden, ob die Insolvenz in Eigenverwaltung aufrechterhalten bleiben soll“, sagt er. Alternative wäre eine herkömmliche Insolvenz mit einem unabhängigen Insolvenzverwalter. Ob die Anleihegläubiger die durchbekommen, ist nicht klar. Günther sieht für die von ihm vertretenen Gläubiger, darunter mehrere hundert Privatanleger, aber eine „solide Mehrheit“ auf der Gläubigerversammlung.
SiC wird von dem skandinavischen Finanzinvestor Nordic Capital kontrolliert, der Vorsitzende des Beirats von SiC sowie der „Chief Restructuring Officer“ und Allein-Geschäftsführer sind Skandinavier. Letzterer trat im November an die Stelle der zwei alten Vorstände, denen er den Abschied aus der ersten Führungsebene versüßte. Ihre Verträge wurden bis Ende 2015 verlängert, als „Gesamtprokuristen“ dürfen sie im Unternehmen bleiben.
Anleger argwöhnen, Nordic Capital könnte SiC absichtlich unter den Schutzschirm geführt haben. „Unternehmen können über Abschreibungen quasi selbst die Insolvenz herbeiführen“, sagt Michael Kollenda von der Münchner Vermögensverwaltung Salutaris, der SiC-Anleihen hält. „Und SiC hat Auslandsbeteiligungen massiv abgeschrieben.“ Tatsächlich meldete SiC Mitte Januar Abschreibungen auf Tochtergesellschaften von fast 100 Millionen Euro – „wobei diese Zahl noch geprüft werden muss“, so SiC wörtlich. Diese führten zum Verlust von mehr als der Hälfte des Eigenkapitals. Das heißt üblicherweise bilanzielle Überschuldung, vulgo: Pleite.
Wären die lästigen Anleihegläubiger nicht, hätte SiC Processing durchaus gute Überlebenschancen – und Nordic Capital demnächst ein weitgehend entschuldetes und vor allem in China erfolgreiches Unternehmen in der Hand. Berater Günther schrieb Anlegern jüngst, dass der chinesische SolarkonzernYingli als wohl größter Kunde von SiC für 2013 ein Volumenwachstum von 40 Prozent erwarte. SiC besitze eine große Fabrik in Baoding, wo Yingli etwa 70 Prozent seiner Produktionskapazität habe: „Die Nachfrage nach SiC-Recycling-Dienstleistungen sollte daher in einem ähnlichen Maße steigen“, so Günther.
Folgt man den vom Unternehmen veröffentlichten Informationen, erwartet die Anleihesparer laut Günther eine Insolvenzquote von zwei bis drei Prozent. Wegen des China-Geschäfts pocht Günther aber auf eine deutlich höhere Quote.
Düstere Sonnenanleihe
Ganz so viel wie beim Solarmodul- und Systemanbieter Solarwatt wird es aber kaum werden: Hier bekamen Anleger 16 Prozent. 160 Euro von einst eingezahlten 1000 sind immer noch schäbig, für ein Insolvenzverfahren aber schon relativ viel.
Solarwatt stellte diese Quote denn auch gebührend heraus: Mitte Oktober meldete das Unternehmen, es sei „vollständig saniert“. Anleger bekämen bei Insolvenzverfahren im Durchschnitt nur 3,6 Prozent ihrer Forderungen. 16 Prozent, wurde suggeriert, seien da doch ganz wunderbar. Doch die 3,6 Prozent führten in die Irre. Im Insolvenzplan stand, dass Solarwatt-Anleger bei einer klassischen Insolvenz 12,6 Prozent bekommen hätten. Das aber erwähnte Solarwatt geflissentlich nicht.
Solarwatt
Branche
Anleihevolumen
Verlust der Anleihegläubiger
Status
Anleiheemission, Insolvenzverfahren, Sanierung: Solarwatt hat alles im Schnelldurchgang gemacht. Nicht mal eineinhalb Jahre nach dem Anleihe-Börsengang eröffnete das Amtsgericht Dresden am 1. August die Insolvenz, seit November wird das von Solarwatt herzig „Sonnenanleihe“ getaufte Papier nicht mehr gehandelt.
Solarwatt-Großaktionär (vor der Pleite mit 36,3 Prozent) ist der BMW-Erbe Stefan Quandt. Weil er sich mit den übrigen Aktionären nicht auf eine Kapitalerhöhung für das von der Solarkrise getroffene Unternehmen einigen konnte, nutzte Solarwatt als eines der ersten Unternehmen das neue Gesetz. Angesichts der Tatsache, dass zu den Gesellschaftern so finanzstarke Investoren wie Quandt und eine Tochter der Bank Sarasin gehörten, fragten Anlegerschützer der SdK im „Schwarzbuch Börse“, „warum hier überhaupt die Anleiheinhaber zur Sanierung des Unternehmens herangezogen werden müssen“.
Am Ende nahm Quandt fünf Millionen Euro in die Hand, gab weitere fünf Millionen Kredit bis Ende 2018 und bekam dafür das ganze Unternehmen. Ob das ein gutes Geschäft für ihn war, wird sich zeigen.
Praktiker
Branche
Anleihevolumen
Aktueller Kursverlust
Status
Fest steht aber schon jetzt, dass die Banken – Postbank, IKB und wieder DKB – gut davonkommen. Sie verzichteten nicht, sondern setzten nur die Tilgung der Kredite aus. Dass sie bei einer regulären Insolvenz ebenso glimpflich davongekommen wären, ist längst nicht ausgemacht. Für Banken war die Sanierung „ein Geschenk des Himmels“, so die SdK. Die Anleihesparer seien sie los, die Chance auf Rückzahlung ihrer Kredite steige deutlich.
Kanzlei Görg
Doppelt gut im Geschäft war bei Solarwatt die Kanzlei Görg. Sie hatte im November 2010 die Bondemission mit sieben Anwälten „vollumfänglich begleitet“, dazu gehörte auch das Schreiben des 235 Seiten starken Emissionsprospekts. Nach der schnellen Pleite waren die Anwälte noch drin im Thema – und bekamen ein Mandat im Schutzschirmverfahren. Wieder fanden sieben Görg-Anwälte Beschäftigung.
Den Insolvenz- und Anleihespezialisten wird die Arbeit nicht ausgehen, die nächsten Problemfälle für Anleihesparer deuten sich bereits an. Die Gläubiger des Baumarktkonzerns Praktiker etwa haben bereits vorsorglich einen gemeinsamen Vertreter gewählt. 2012 war das Unternehmen knapp an der Pleite vorbeigeschrammt. Praktiker plante schon mal, weniger Zins auszuzahlen.
Solarworld
Branche
Ahnleihevolumen
Aktueller Kursverlust
Status
Inzwischen hat sich die finanzielle Lage zwar etwas entspannt. Der neue Vorstandschef Armin Burger treibt die Umstellung zahlreicher Praktiker-Märkte auf die Schwester-Marke Max Bahr voran. Ob das Experiment gelingt, ist aber offen. Wenn Praktiker am 28. März die Bilanz für 2012 präsentiert, erwarten Analysten einen Nettoverlust in dreistelliger Millionenhöhe. Geht es in diesem Tempo weiter, könnte es für das Unternehmen bald erneut eng werden.
Leidtragende wären neben den Aktionären auch die Anleiheinvestoren. Erst vor zwei Jahren hatte Praktiker einen Bond im Volumen von 250 Millionen Euro emittiert. Praktiker galt damals als breit aufgestellter Heimwerkerkonzern, der zwar Verluste schrieb, aber über die profitable Tochter Max Bahr verfügte. Anleger investierten unter diesen Vorzeichen – doch der vermeintliche Rettungsanker Max Bahr hielt nicht. Der Praktiker-Ableger wurde im vergangenen Jahr als Sicherheit für eine neue Kreditlinie verpfändet. Sollte der Konzern dereinst tatsächlich in die Pleite trudeln, bliebe den Gläubigern wohl kaum mehr als die Verwertung einer Holdinghülle.
Noch schlimmer aber sieht es bei den erneuerbaren Energien aus. Bei Windreich durchsuchte die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Bilanzmanipulation, Chef Willi Balz zahlte schon mal Gehälter aus eigener Tasche. Solaranbieter Solen will Anleger bei seiner 50-Millionen-Anleihe am 3. April um Nachlass bitten und nur 25 Prozent der Zinsen überweisen.
Der nächste große Fall bei den erneuerbaren Energien aber dürfte Solen, SiC Processing oder Siag Schaaf weit in den Schatten stellen: Im Januar, kurz bevor die Meldung aufpoppte, er habe Entertainer Thomas Gottschalk ein Schloss für über fünf Millionen Euro abgekauft, hatte Solarworld-Chef Frank Asbeck „gravierende Einschnitte“ bei Anleihen angedeutet. Am vergangenen Dienstag verschob er die Veröffentlichung seiner 2012er-Bilanz.
Es geht insgesamt um über eine Milliarde Euro Schulden, davon 543 Millionen in Anleihen und über 350 Millionen in Schuldscheindarlehen. Hedgefonds haben die Schuldscheine, die wie die Anleihen nur noch zu Preisen um die 20 Prozent gehandelt werden, längst aufgekauft.
Ähnlich wie bei SiC Processing formieren sich die Bond-Gläubiger bereits. Und Solarworld hat Anwalt Hans-Gerd Jauch von Görg engagiert, der auch Insolvenzverwalter von Arcandor ist. Es ist alles bereitet für den Sonnenuntergang.
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