Ökonomischer Notstand in Venezuela
Maduro will Lizenz zum Enteignen
Mit einer Reihe von Vollmachten will die Regierung Maduro Venezuela aus der Krise führen. Die Rezepte sind jedoch die alten.
Venezuelas Wirtschaft liegt am Boden . Das hat längst auch Präsident Nicolás Maduro eingesehen. Nun hat die Krise Maduro dazu veranlasst, den ökonomischen Notstand auszurufen. Das am Freitag veröffentlichte Dekret gilt vorerst für 60 Tage und soll die Grundrechte der Bevölkerung im Bereich der Bildung und der Gesundheitsversorgung schützen, wie die Regierung erklärte. Zudem soll mit der Massnahme die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten gewährleistet werden.
Unternehmer als Feindbild
Die Ausrufung des ökonomischen Notstands, die in der Verfassung für eine Krisensituation wie die aktuelle vorgesehen ist, überträgt der Regierung weitreichende Befugnisse. Unter anderem sieht das Dokument vor, ausserordentliche Ausgaben für Investitionen in die Infrastruktur und in die Produktion von Lebensmitteln zu tätigen. Weiter sollen keine Ausschreibungen nötig sein für Anschaffungen von wichtigen Gütern durch die Regierung. Gleiches gilt für die Vergabe von Devisen für den Import von Grundgütern. Der wohl polemischste Punkt betrifft die Bevollmächtigung der Regierung, öffentliche und private Unternehmen zu einer Erhöhung der Produktion anzuhalten und nötigenfalls die Produktionsmittel vorübergehend oder permanent zu beschlagnahmen, um die Versorgung mit Medikamenten und Grundgütern zu sichern.
Das Dekret trägt die Handschrift von Maduros neuem WirtschaftsministerLuis Salas. Der 39-jährige marxistische Soziologe und Gründer des Instituts für politische Ökonomie der Universidad Bolivariana hat angekündigt, er werde «die Revolution vertiefen». Salas, der ideologisch als noch dogmatischer gilt als seine Vorgänger und das Unternehmertum als Parasiten sieht, ist felsenfest von der These des Wirtschaftskrieges des kapitalistischen Privatsektors gegen die Regierung überzeugt. Ökonomen reagierten mit Besorgnis auf Salas' Nominierung. Sie weisen zudem darauf hin, dass die Wirtschaft mit dem verhängten Notstand nicht gerettet werden könne, da strukturelle Massnahmen nötig seien, so zum Beispiel ein einheitlicher Wechselkurs sowie eine Erhöhung der Treibstoffpreise.
Das Dekret bedarf laut Gesetz der Zustimmung innert acht Tagen durch das Parlament, das zudem die Möglichkeit hat, Änderungen anzubringen. Damit fordert die Regierung die Opposition heraus, die seit den Parlamentswahlen am 6. Dezember eine Zweidrittelmehrheit in der Legislative stellt. Eine Ablehnung wie eine Anpassung wird Maduro dazu nutzen, um der Opposition vorzuwerfen, sie sei nicht an einem Ende der Krise interessiert.
Vom Erdölpreis betroffen
Ebenfalls am Freitag hat die Notenbank erstmals seit über einem Jahr wieder makroökonomische Daten bekanntgegeben. Die jährliche Inflation belief sich Ende September 2015 auf 141,5%, dürfte jedoch in Wahrheit noch höher sein. Unabhängige Institute gehen von einer Teuerung von deutlich über 200% im vergangenen Jahr aus. Das Bruttoinlandprodukt Venezuelas ist laut der Notenbank in den vier Quartalen bis September 2015 um 7,1% geschrumpft. Der tiefe Erdölpreis bringt das Land zusätzlich in Bedrängnis. Da Venezuela praktisch seine ganzen Exporteinnahmen aus dem Erdöl schöpft, haben sich die Staatseinnahmen laut Maduro um 62% verringert. Die Knappheit an Waren des täglichen Bedarfs wird immer drastischer und hat sich zum Hauptproblem der Venezolaner entwickelt. Die Regierung weicht nicht von der Rhetorik des Wirtschaftskriegs ab. Doch die Parlamentswahlen haben gezeigt, dass die Mehrheit des Volkes das Versagen der Regierungspolitik für die Lage verantwortlich macht.
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