Nach dem Brexit-VotumZwingen die Briten Deutschland zum Steuersenken?
Der britische Finanzminister sorgt mit seinem Vorschlag für Wirbel, die Unternehmenssteuern deutlich zu senken. Für den deutschen Fiskus geht es um einen Teil von 640 Milliarden Euro.
05.07.2016, von ALEXANDER ARMBRUSTER UND MARCUS THEURER, LONDON
© AFPAls die Welt in Großbritannien noch Ordnung war: Salutschüsse zum 90. Geburtstag der Queen im April
Der britische Finanzminister George Osborne hat eine deutlich niedrigere Steuerbelastung für Unternehmen in Aussicht gestellt - um sie nach dem Brexit-Votum davon zu überzeugen, im Land zu bleiben. Die Unternehmenssteuern sollen auf weniger als 15 Prozent sinken; wann, das sagte er nicht. Gleichwohl reagierten Politiker in Europa auf den Vorschlag.
Autor: Alexander Armbruster, Redakteur in der Wirtschaft.Autor: Marcus Theurer, Wirtschaftskorrespondent mit Sitz in London.
Der konservative französische Oppositionspolitiker Alain Juppé, der gerne der nächste Staatspräsident seines Landes werden möchte und gerade in London weilt, sagte, dass Frankreich auf die britischen Steuerpläne reagieren müsse: „Wir müssen zeigen, dass Frankreich ein wettbewerbsfähiges Land ist.“ EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici sagte im französischen Radio, dass Osbornes Idee voraussichtlich nicht umgesetzt werde, weil dem britischen Staat Einnahmen entgingen und das Haushaltsdefizit ohnehin hoch ist.
Gleichwohl gilt: Steuersätze bleiben ein Kriterium, nach dem Unternehmen ihren Standort entscheiden. Deswegen lohnt ein Vergleich. Nach einer Aufstellung des Bundesfinanzministeriums liegt das Vereinigte Königreich mit einer Unternehmenssteuerbelastung von derzeit 20 Prozent im Mittelfeld - dort würde es auch verbleiben, wenn die Briten diesen Satz auf 17 Prozent verringerten, wie es ihr Finanzminister noch vor dem EU-Referendum ohnehin mittelfristig vorgehabt hatte.
In den Niederlanden sind derzeit 24 Prozent Unternehmenssteuer fällig, in Österreich 25 Prozent, in Irland 12,5 Prozent. Gerade der Vergleich mit Irland ist für Britannien umso wichtiger, wenn das Land die EU und damit den Binnenmarkt verlassen sollte. In Frankreich (38 Prozent) und den Vereinigten Staaten (gemessen am Staat New York 39,62 Prozent) ist diese Belastung vergleichsweise hoch.
In der Bundesrepublik wiederum belaufen sich die Unternehmenssteuern zusammen auf knapp 30 Prozent: Die Körperschaftsteuer beträgt 15 Prozent, die Gewerbesteuer im Durchschnitt ebenso.
Wenn nun Großbritannien die Unternehmenssteuer wirklich auf 15 Prozent senken sollte, ergeben sich mehrere Fragen: Sind andere Länder wirklich gezwungen zu reagieren? Klar ist das nicht. Immerhin ist diese Steuer nur ein Kriterium und soll so, wie Osborne sie gerade vorschlägt, wohl vor allem eine Kompensation sein dafür, dass Britannien künftig nicht mehr der EU angehört.
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Und wenn zum Beispiel Deutschland seine eigenen Sätze senken müsste, würde dies ein Loch in den Haushalt von Finanzminister Schäuble reißen und seine „schwarze Null“ in Gefahr bringen? Das wohl eher nicht. Das Aufkommen aus der Körperschaftsteuer belief sich im vergangenen Jahr auf etwas weniger als 20 Milliarden Euro, für dieses Jahr werden etwas mehr vorhergesagt - gemessen am gesamten Steueraufkommen der Bundesrepublik von rund 640 Milliarden Euro sind das gerade einmal 3 Prozent. Alleine der für die kommenden Jahre zu erwartende Steuereinnahmezuwachs ist mehr als das.
In Großbritannien wiederum ist die angekündigte Senkung der Unternehmenssteuern überhaupt nicht ausgemacht und politisch heikel: In den vergangenen Jahren gab es auf der Insel immer wieder Proteste gegen legale Steuertricks von Konzernen wie Google und Starbucks, die in Großbritannien kaum Unternehmenssteuern bezahlten. Die Regierung hat vor drei Jahren einen Steuernachlass auf Gewinne aus geistigem Eigentum („patent box“) geschaffen: Sie werden seither nur noch mit 10 Prozent belastet. Ähnliche Rabatte gibt es auch in einer Reihe anderer europäischer Länder.
© DPA„Küss mich schnell, besteuer mich langsam“ - eine Teilnehmerin auf einem Protest gegen Steueroasen auf dem Trafalgar Square in London am 12. Mai.
Mit der jetzt in Aussicht gestellten Steuersenkung vollzieht Schatzkanzler George Osborne zudem auch persönlich eine überraschende Kehrtwende: Noch vor drei Wochen hatte er für den Fall eines Brexit-Votums höhere Steuern angekündigt. Damals hatte er argumentiert, dies sei notwendig, weil der EU-Austritt die britische Wirtschaft schwer belasten würde und damit auch die Steuereinnahmen des Staats.
Doch nun will Osborne genau das Gegenteil tun - und nimmt dafür in Kauf, dass die Sanierung der Staatsfinanzen noch länger dauern wird als bisher geplant; die Unternehmenssteuern stehen in Großbritannien für 7 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Staates aus. In der vergangenen Woche hatte Osborne eingeräumt, dass wegen des Brexit-Votums das Ziel, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Überschuss im Staatshaushalt auszuweisen, nicht mehr erreichbar sei.
Dieses Jahr beträgt das Defizit der Briten rund 4 Prozent der Wirtschaftsleistung und zählt damit zu den höchsten in der EU. Die Analysten der Investmentbank Goldman Sachs erwarten, dass Großbritannien wegen des bevorstehenden EU-Austritts in eine Rezession gerät und darunter auch die Steuereinnahmen stark leiden werden. Auch zum Ende des Jahrzehnts werde der Staatshaushalt noch ein Defizit von 1,6 Prozent der Wirtschaftsleistung ausweisen. Der staatliche Schuldenstand werde mit 83 Prozent der Wirtschaftsleistung nur marginal sinken, erwartet Goldman Sachs.
Unklar ist schließlich, welches Gewicht die Ankündigungen Osbornes noch haben: Die politische Zukunft des Schatzkanzlers ist seit dem Referendum ungewiss geworden. Wenn im Herbst in London eine neue Regierung gebildet wird, könnte er abgelöst werden. Denn der Pro-Europäer Osborne hat im Wahlkampf vor dem Volksentscheid immer wieder vor den wirtschaftlichen Risiken des Brexit gewarnt, und damit viele EU-Gegner in seiner Partei gegen sich aufgebracht. Premierminister David Cameron, dessen engster politischer Vertrauter Osborne bisher war, hat bereits erklärt, seinen Posten im September zu räumen.
© REUTERS/R. BOYCE, DEUTSCHE WELLEBrexit erschüttert junge Finanzbranche
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