ARGENTINIENEin Land am AbgrundArgentinien in Zahlen
Axel Kicillof ist als Wirtschaftsminister der Star der argentinischen Politik. Stürzt er das Land ins Verderben?
Er wippt hin und her, von links nach rechts, vor und zurück, wie ein Fußballer beim Singen der Nationalhymne. Er steckt seine Hände in die Hosentaschen, nimmt sie vor den Bauch, hinter den Rücken, steckt sie zurück in die Hosentaschen. Es ist ein staatstragender Moment, doch ArgentiniensWirtschaftsminister Axel Kicillof wirkt nicht, als wolle er Teil dieser Veranstaltung sein. Der Wirtschaftsminister blickt zu Boden, nach links und rechts. Nur Kabinettschef Jorge Capitanich sieht er nicht an, während der einen Kurswechsel verkündet, der mit allem bricht, das Kicillof geprägt hat in Argentiniens Wirtschaftspolitik.
48 Stunden zuvor war die Regierung noch Kicillofs Linie gefolgt. Sie hatte angekündigt, Interneteinkäufe im Ausland drastisch zu besteuern. So wollte sie verhindern, dass zu viele Dollar aus dem Land fließen und die eigene Währung an Wert verliert oder gar zusammenbricht. Doch am Freitag vergangener Woche erklärte der Kabinettschef vor den Kameras der Weltpresse, die Beschränkungen für Dollarkäufe sogar lockern zu wollen.
Es muss eine Qual sein für Kicillof. In den vergangenen Jahren hat er seine Politik in derlei Situationen leidenschaftlich und in brillanten Reden gegen Kritiker verteidigt, ausländische Spekulanten für jedweden Schlamassel verantwortlich gemacht und das Publikum auf diese Weise in seinen Bann gezogen. Aber heute, morgens um acht, steht er in der zweiten Reihe. Hinter Capitanich, als Kulisse fürs harmonische Fernsehbild. Nicht einmal Fragen beantworten soll Kicillof, bloß kein öffentlicher Widerspruch, keine neue Provokation, keine weiteren Anschuldigungen. Bloß die Leute, die ihr Geld außer Landes schaffen wollen, nicht noch mehr verschrecken. Denn geht die Kapitalflucht so weiter wie in der jüngsten Vergangenheit, droht Argentinien der finanzpolitische Kollaps. Schon wieder.
Zwölf Jahre nach dem Staatsbankrott von 2002, der Gläubiger auf der ganzen Welt weit mehr als 50 Milliarden Dollar kostete, fürchtet die Finanzwelt eine neue Argentinien-Krise. Zahlreiche Anleger wollten am vergangenen Donnerstag ihre Pesos loswerden und dafür Dollar haben. Binnen Stunden stürzte der Peso um bis zu 14 Prozent gegenüber dem US-Dollar ab. Die Zentralbank in Buenos Aires kämpft verzweifelt darum, den Wert des Peso zu stützen, indem sie mit Dollar-Reserven Peso kauft. Doch ihre Reserven schwinden. Der teure Dollar führt dazu, dass die Preise von Importen und somit die Preise im Land steigen. Die Inflationdroht auszuufern. Zudem floriert der Dollar-Schwarzmarkt, weil die Regierung von Präsidentin Cristina Fernández Kirchner ihre Bürger daran hindert, Pesos frei in Fremdwährungen umzutauschen. Und der Hauptschuldige an der ganzen Misere ist für viele Kritiker Cristina Kirchners Einflüsterer: Axel Kicillof.
Kein Politiker, die kränkelnde peronistische Präsidentin mal ausgenommen, hat die argentinische Nation zuletzt so bewegt wie der junge Ökonomieprofessor mit den Elvis-Koteletten und den smaragdfarbenen Augen. Bei seiner Ernennung zum Wirtschaftsminister im November vergangenen Jahres wurde der 42-Jährige schon als möglicher Nachfolger Kirchners gehandelt, 2015 wird sie wohl abtreten. Schon vor zwei Jahren, als er noch stellvertretender Minister war, nannten sie ihn den Rasputin von Buenos Aires, weil er bereits damals der persönliche Vertraute der gut 20 Jahre älteren Präsidentin und ihres Sohnes Máximo war. Und dermastermind hinter Kirchners Kurs der ständigen Einmischung in Wirtschaft und Finanzmärkte, eines Dirigismus, der viele Argentinier begeistert, aber internationale Investoren vergrätzt hat.
Der stolze Kicillof müsste seine eigene, radikale Politik infrage stellen
"Kicillof ist immer der Star im Kabinett gewesen, das gesamte Wirtschaftsressort ist auf ihn zugeschnitten", sagt der Meinungsforscher Carlos Germano. "Er müsste jetzt das Vertrauen der in- und ausländischen Geldgeber wieder herstellen, aber ich bezweifle, dass dies gelingt." Denn dazu müsste der stolze Kicillof seine eigene, radikale Politik infrage stellen.
Dabei wurde der Professor aus Buenos Aires einst als Regierungskritiker bekannt. "Die offiziellen Statistiken haben jegliche Glaubwürdigkeit verloren", prangerte Kicillof 2008 die geschönten Inflationszahlen an, mit denen Kirchners Leute neue Kreditgeber locken wollten. Prompt holte ihn die Regierung ins Boot, als Finanzchef der gerade verstaatlichten Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas. Bald mischte der ehrgeizige Ökonom in der großen Politik mit: unterstützt von den Kirchners und La Cámpora, der mächtigen Jugendorganisation der Peronisten.
Abgesehen von der Inflation floriert die Wirtschaft zu dieser Zeit. Die globalen Börsen für Soja, Fleisch und andere Nahrungsmittel bescheren Argentinien Exportüberschüsse und bis zu neun Prozent Wachstum. Aber 2011 endete der Boom, immer mehr krisenmüde Bürger begannen, ihr Vermögen außer Landes zu schaffen oder Pesos gegen sichere US-Dollar zu tauschen. Umgerechnet 21 Milliarden Dollar flossen binnen eines Jahres ab. Kicillof wollte den Devisenhandel radikal einschränken, und die Regierung beschloss: Fast jeder Kauf fremder Währungen muss vom Staat genehmigt werden. Bürger, die im Ausland per Kreditkarte bezahlen, müssen fortan bis zu 35 Prozent Zusatzsteuer entrichten. Bald bilden sich erste Dollar-Schwarzmärkte. Kicillof aber hat als stellvertretender Wirtschaftsminister bereits den nächsten, den ganz großen Coup vor Augen.
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"Jetzt liegen die Nerven blank"
16. April 2012, Triumphgeschrei hallt durch die Casa Rosada, den rosafarbenen Präsidentenpalast. Cristina Kirchner reckt den Arm in die Luft, lässt sich von der Menge besingen und feiern. "Viva, viva, viva la corazón", skandieren die Parteifunktionäre: "Es lebe das Herz." Soeben hat Kirchner verkündet, die Ölgesellschaft YPF zu verstaatlichen und Großaktionär Repsol zu enteignen: den Energiekonzern der einstigen Kolonialmacht Spanien. Regierungsfunktionäre laufen ins YPF-Hauptquartier, fordern die Repsol-Manager auf, einzupacken. Es geht zu wie bei einem Staatsstreich. Per Dekret überträgt Kirchner die Ägide über YPF an zwei ihrer Getreuen: an den Planungsminister – und an Kicillof.
Monatelang hat er den Schlag geplant. Und tags darauf zeigt "chico", der "Junge", was in ihm steckt. Im blütenweißen Hemd, mit offenem Kragen tritt er vor das Parlament, preist in einer zweieinhalbstündigen Rede die Enteignung. "Wir können uns nicht den Luxus erlauben, dass ein multinationaler Konzern uns sagt, was mit unserem Gas und Öl geschieht", röhrt Kicillof mit rauchiger Stimme. Der Staat lasse "die Ausbeutung unserer Ressourcen und Unternehmen" nicht mehr zu, die Zeit des Neoliberalismus sei abgelaufen. Die Abgeordneten jubeln, Millionen Argentinier sind begeistert. Doch nicht alle lassen sich mitreißen. "Wer investiert in ein Land", fragt die Zeitung La Nación, "dessen Regierung die privaten Eigentumsverhältnisse verändert wie eine Garderobe?"
Adidas handelt mit Möbeln, Porsche kauft massenhaft Olivenöl
Kicillofs Kritiker nennen ihn einen "Marxisten". Er selbst streitet das ab. Aber je mächtiger er wird, desto mehr setzt Buenos Aires auf Planwirtschaft. Eine Kommission diktiert der Energiewirtschaft die Strom- und Benzinpreise. Kicillof setzt Versicherer unter Druck, Milliarden in staatliche Infrastrukturprojekte zu investieren. Als die Weizenernte schlecht ausfällt, verhängt das Ministerium Exportverbote für die Bauern, damit die Preise daheim niedrig bleiben.
Um Argentiniens Devisenabfluss klein zu halten, müssen ausländische Firmen sich schon seit 2011 verpflichten, ebenso viel aus dem Land auszuführen wie sie importieren. Das hat skurrile Folgen: Porsche kauft containerweise Malbec-Wein und Olivenöl, Adidas steigt in den Handel mit argentinischen Möbeln ein, BMW wird Reis-Exporteur. Andere, wie etwa Apple, lassen sich auf derlei Geschäfte nicht ein und verlassen das Land. "Mit ihrer populistischen, unberechenbaren Politik hat die Regierung viele Investoren vertrieben", sagt Federico Foders, Lateinamerika-Experte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Die Glaubwürdigkeit ist dahin.
Seit er Staatsmann ist, zweifelt Kicillof die offiziellen Inflationsraten von rund zehn Prozent nicht mehr an – obwohl Ökonomen die reale Teuerung auf 25 bis 30 Prozent beziffern. Als die Zentralbankchefin im November 2013 vor ausufernder Geldentwertung warnt, muss sie gehen. Zugleich ernennt Kirchner Kicillof zum Superminister. Die Krise ist da schon aufgezogen: der Peso wertet ab, die Devisenreserven schmelzen dahin: auf nur noch 29 Milliarden Dollar. 2011 waren es noch 52 Milliarden.
Plötzlich zeigt sich Kicillof kompromissbereit. Er verhandelt mit Repsol über eine Entschädigung für die Enteignung. Spricht beim Pariser Club der Gläubigerstaaten vor, um die Gespräche über Argentiniens ausstehende Milliardenschulden neu zu beleben. Eine Einigung, so hofft die Regierung, könnte ihr den Weg zurück zu den internationalen Kreditmärkten öffnen. Kritiker bezweifeln das. "Diese Regierung hat jahrelang an allen Fronten provoziert und sich selbst international isoliert", sagt Klaus Bodemer, früherer Leiter des GIGA Instituts für Lateinamerika-Studien in Hamburg. "Jetzt liegen die Nerven blank."
Nichts illustriert das so wie der Verfall des Peso, der bis zum Crash von 2002 noch zum Kurs von eins zu eins an den US-Dollar gekoppelt war. Kostete ein Dollar Anfang 2013 noch 4,30 Pesos, sind es am vergangenen Donnerstag bis zu 8,24 Pesos – offiziell. Auf den Schwarzmärkten von Buenos Aires zahlen die Menschen für den Dollar zeitweise 13,20 Pesos, so groß ist ihre Panik vor einem weiteren Verfall oder gar einer neuen Hyperinflation wie 1989. Denn mit jeder Abwertung verteuern sich alle Importgüter.
Auch Kicillof, der die Verwerfungen auf "spekulative Attacken" und Schwarzmarktprofiteure schiebt, könnte nun ein Absturz drohen. "Argentinien hat noch eine Chance, wenn Cristina Kirchner einen grundlegenden Richtungswechsel vornimmt", sagt Mauro Toldo, Schwellenländer-Chefstratege der Deka-Bank. Kicillofs Absetzung wäre ein "starkes Signal" an die Märkte.
Bislang aber macht die Präsidentin keine Anstalten. Am vergangenen Freitag schickt sie Kicillof und Kabinettschef Capitanich lediglich mit der Botschaft vor die Kameras, dass die Argentinier künftig wieder auf einfachere Weise Dollar kaufen dürfen. So will sie die Panik drosseln und den Schwarzmarkt austrocknen. Während Kicillof von einem Bein aufs andere steigt, liest Capitanich die Erklärung ab. Schließlich verlassen beide die Bühne, der Termin scheint zu Ende. Da schnappt sich Kicillof das Mikrofon. "Schaut, schaut", ruft er in den Saal: "Dieselben Leute, die zehn Jahre lang gesagt haben, dass ein Peso ein Dollar wert sei, wollen uns heute einreden, ein Dollar sei 13 Pesos wert."
Da sind sie wieder, die dunklen Mächte, die dem Land schaden wollen. Und Axel Kicillof bestimmt doch noch die Schlagzeilen.
http://www.zeit.de/2014/06/argentinien-axel-kicillof/seite-2
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