Drohender StaatsbankrottStunde der Wahrheit für Argentinien und die Gläubiger
Ein abermaliger Zahlungsausfall Argentiniens ist kaum noch zu verhindern. Dabei könnte das Land durchaus zahlen. Letzte Gespräche in New York sollen eine Lösung bringen.
29.07.2014, von CARL MOSES, BUENOS AIRES
Dreizehn Jahre nach seiner großen Staatspleite über 100 Milliarden Dollar steuert Argentinien abermals auf einen Zahlungsausfall zu. Nur noch ein Tag bleibt Argentinien, um im Clinch mit Hedgefonds und der amerikanischen Justiz einen abermaligen Zahlungsausfall abzuwehren. An diesem Dienstag soll in New York zum letzten Mal versucht werden, sich zu einigen. Am Mittwoch werden Zinszahlungen an Gläubiger argentinischer Staatsanleihen fällig. Doch ein Gericht in New York blockiert auf Antrag der Hedgefonds die Überweisungen. Wenn die Gläubiger am Mittwoch die Zahlungen nicht erhalten, gerät Argentinien offiziell in Verzug.
Dabei ist heute vieles anders als während des Staatsbankrotts im Jahr 2001. Argentinien kann und will zahlen, behauptet Argentiniens Staatspräsidentin Cristina Kirchner. Allein die amerikanische Justiz hindere das Land, seine Verpflichtungen zu erfüllen, klagt sie. „Argentinien wird nicht in Zahlungsverzug geraten. Denn das gilt nur für jemand, der nicht zahlt. Und Argentinien hat bereits gezahlt“, sagt Kirchner. „Sie werden eine neue Bezeichnung dafür finden müssen.“
Tatsächlich hat Argentinien schon vor einem Monat 539 Millionen Dollar an Zinsen auf seine in den Jahren 2005 und 2010 umgeschuldeten Staatsanleihen überwiesen. Das Problem ist: Das Geld kommt bei den Gläubigern nicht an. Denn der New Yorker Richter Thomas Griesa hat die Zahlungen eingefroren. Alle Zahlungen auf Argentiniens umgeschuldete Anleihen im Ausland werden über die Bank of New York Mellon abgewickelt. Auch Gläubiger in Europa und Japan sind darum betroffen.
Laut Griesas Urteil darf Argentinien die umgeschuldeten Anleihen nur bedienen, wenn es gleichzeitig 1,3 Milliarden Dollar plus Zinsen an die Hedgefonds zahlt. Sollte die Bank of New York Argentiniens Zahlungen nur an die anderen Gläubiger weiterleiten, würde sie gegen das Urteil verstoßen. Darum hält die Bank das Geld fest.
Warum Kirchner nicht nachgeben kann
Die Hedgefonds NML und Aurelius hatten nach der Pleite von 2001 notleidende argentinische Anleihen zu einem Bruchteil des Nennwerts aufgekauft und in New York auf die volle Zahlung des Kapitals zuzüglich aller aufgelaufenen Zinsen geklagt. Zuständig ist die amerikanische Justiz, weil dies in den Anleihebedingungen so vereinbart worden war. Das Gericht gab den Hedgefonds recht. Argentiniens Umschuldungen von 2005 und 2010, bei denen insgesamt 92 Prozent des Gläubigerkapitals einen Verzicht auf mehr als zwei Drittel der Forderungen akzeptiert hatten, lehnten die Hedgefonds ab.
Jahrelang hatte Argentiniens Regierung jegliche Zahlung an die von Kirchner als „Geierfonds“ bezeichneten Investoren ausgeschlossen. Erst nachdem das New Yorker Urteil durch alle Instanzen gegangen war und auch das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten Mitte Juni eine Revision abgelehnt hatte, zeigte sich Argentinien zu Verhandlungen darüber bereit, das Urteil zu erfüllen. Doch sofort zu zahlen sei nicht möglich, sagt die Regierung. Ihr größtes Problem ist: Wenn sie zahlt, drohen weitere Forderungen von Umschuldungs-Verweigerern, die sich auf 15 Milliarden Dollar belaufen könnten. Das entspräche der Hälfte der argentinischen Devisenreserven.
Die Hedgefonds haben bereits signalisiert, dass sie neue Staatspapiere in Zahlung nehmen würden. Doch die Regierung fürchtet, dass auch die Inhaber der bereits umgeschuldeten Anleihen neue Forderungen stellen könnten, wenn Argentinien den Hedgefonds 100 Prozent plus Zinsen zahlt. Eine Klausel in den Umschuldungs-Verträgen sichert den Inhabern der umgeschuldeten Anleihen zu, dass Argentinien sie gleichstellen muss, falls das Land anderen Gläubigern freiwillig ein besseres Angebot unterbreitet.
Damit könnten neue Forderungen von 120 Milliarden Dollar auf das Land zukommen, fürchtet die Regierung. Rechtsexperten kalkulieren sogar bis zu 500 Milliarden Dollar mögliche Neuforderungen. Das entspräche fast dem gesamten Bruttoinlandsprodukt Argentiniens, und das Land wäre tatsächlich wieder pleite.
Ablenken von anderen Problemen
Zwar wäre die Erfüllung eines Gerichtsurteils kaum als „freiwillig“ anzusehen, doch Argentinien will kein Risiko eingehen. Die sogenannte Rufo-Klausel (nach der englischen Bezeichnung „rights upon future offers“) läuft Ende 2014 aus. Argentiniens Regierung bittet Richter Griesa deshalb darum, das Urteil bis dahin auszusetzen. Doch dazu dürfte Griesa nur bereit sein, wenn auch die Kläger Argentiniens Antrag unterstützen würden. Die Hedgefonds lehnen dies jedoch ab. Denn Argentinien habe bisher keinerlei Bereitschaft zu Verhandlungen gezeigt.
Auch der von Richter Griesa eingesetzte Vermittler Daniel Pollack hat bisher keine Annäherung der Positionen erreichen können. Die Argentinier waren bisher nicht einmal zu persönlichen Gesprächen mit den Hedgefonds bereit. „Argentinien hat klar gemacht, dass es den Zahlungsausfall wählen wird“, sagte ein Sprecher des Hedgefonds NML Ende letzter Woche.
Am heutigen Dienstag wird nochmals eine argentinische Delegation von Beamten der zweiten Linie zu Gesprächen mit dem Vermittler in New York zusammenkommen. Ihren Wirtschaftsminister Axel Kicillof nahm Präsidentin Kirchner lieber mit zum Gipfeltreffen des Wirtschaftsverbundes Mercosur in Caracas, wo die Staatschefin abermals vollmundige Solidaritätsbekundungen ihrer südamerikanischen Amtskollegen für den Kampf gegen die „Geier“ einheimsen dürfte.
Und auch innenpolitisch profitiert Kirchner von ihrem Abwehrkampf gegen die Spekulanten, der von anderen Problemen wie Inflation und Wirtschaftsflaute sowie von Korruptionsskandalen in der Regierung ablenkt. Um Argentiniens grundsätzliche Zahlungsbereitschaft zu untermauern, überwies die Regierung am Montag 650 Millionen Dollar an die Gläubigerländer des Pariser Clubs, als erste Rate einer kürzlich vereinbarten Schuldentilgung von insgesamt 9,7 Milliarden Dollar.
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Die Zeit für einen Kompromiss mit den Hedgefonds läuft derweil davon. Ein direkter Kontakt der Konfliktparteien war auch für Dienstag nicht vorgesehen. Spekulationen über die Hinterlegung einer Garantiezahlung durch Argentinien beim Gericht und eine Aussetzung des Urteils bis Jahresende verloren darum an Kraft. Sollte keine der Seiten nachgeben, tritt am Mittwoch der Zahlungsausfall bei den Umschuldungs-Anleihen ein.
Für alle Beteiligten wäre das schlecht. Die klagenden Hedgefonds müssten ebenso wie die Inhaber der Umschuldungs-Anleihen weiter auf ihr Geld warten. Beobachter vermuten indes, dass sich die Hedgefonds durch Kreditausfallderivate (CDS) gegen einen argentinischen Zahlungsausfall abgesichert haben und gelassen auf neue Verhandlungen warten könnten. In dem von akuter Devisennot geplagten Argentinien würde sich die Rezession verschärfen, erwarten Ökonomen, der Wechselkurs des Peso käme abermals unter Druck, die bereits auf 40 Prozent gestiegene Inflation bekäme weiteren Auftrieb. Statt um 1,5 Prozent würde das BIP 2014 um 3,5 Prozent sinken und 2015 weiter fallen, kalkuliert das Beratungsunternehmen Abeceb.
Selbst die Architekten der Umschuldung von 2005 sind sich uneins über die Auswirkungen eines neuen Zahlungsausfalls. Der ehemalige Wirtschaftsminister Roberto Lavagna vergleicht den Default mit einem „Taifun“, während eine mögliche Forderungswelle auf Basis der Rufo-Klausel einen noch viel schlimmeren „Tsunami“ bedeuten könnte. Sein damaliger Finanzsekretär Guillermo Nielsen warnt dagegen, die gesamte bisher erreichte Umschuldung könne bei einem Zahlungsausfall zusammenbrechen. Denn die Gläubiger der Umschuldungs-Anleihen könnten die teils bis zum Jahr 2038 laufenden Papiere kurzfristig fällig stellen, wenn 25 Prozent der Gläubiger dies fordern sollten. „Bei einem Default weiß man wie er anfängt, aber nicht wie er aufhört“, warnt Nielsen.
Und auch der 84 Jahre alte Richter Griesa wird nicht glücklich sein, wenn er sich nach mehr als einem Jahrzehnt des Prozessierens weiter mit dem Thema beschäftigen muss. Verschiedene Beobachter haben den Eindruck, dass der betagte Richter mit den Ausuferungen des komplizierten Falls schon jetzt überfordert ist. Die Bank of New York Mellon fragt, was sie mit dem Geld tun soll, das Argentinien bereits überwiesen hat. Die Zahlungsstelle Euroclear beantragt, dass Griesa wenigstens die Zahlungen in Europa freigibt, die doch nicht in seinem Zuständigkeitsbereich lägen. „Wir sind in der Suppe“, sagte Griesa bei der letzten Anhörung der Parteien vergangene Woche. Weitere Entscheidungen wollte Griesa zunächst nicht treffen.
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