Mayers WeltwirtschaftDie zweigeteilte Eurozone
Die Vermögenspreise im Norden und Süden der Währungsunion entwickeln sich sehr unterschiedlich. Das birgt Sprengkraft.
01.08.2015
Vermögenspreise spielen eine Doppelrolle für die wirtschaftliche Entwicklung: Einerseits spiegeln sie diese wider, indem sie den Gegenwartswert künftiger Entwicklungen messen. Andererseits beeinflussen sie die Wirtschaftsentwicklung über die Bilanzen der Wirtschaftsakteure. Veränderungen von Vermögenspreisen haben Bilanzanpassungen zur Folge. Steigen die Vermögenspreise, so erhöht sich die Fähigkeit zur Verschuldung. Eine steigende Kreditaufnahme zur Finanzierung von Konsum und Investitionen erzeugt einen positiven Kreditimpuls, der das Wachstum stimuliert. Fallen dagegen die Vermögenspreise, so muss Schuld abgebaut werden. Eine sinkende Kreditaufnahme bewirkt einen negativen Kreditimpuls und Rückgang des Wachstums.
Da die Rolle von Vermögenspreisen in der traditionellen Makroökonomie vor der Finanzkrise ungenügend berücksichtigt worden war, wurden die meisten Volkswirte von der Krise kalt erwischt. Ebenso wird man eine gefährliche Bruchstelle der Eurozone übersehen, wenn man der Divergenz der Vermögenspreisentwicklung zwischen den nördlichen und südlichen Euroländern keine Aufmerksamkeit schenkt.
Da die Entwicklung von Vermögenspreisstatistiken noch immer in den Kinderschuhen steckt, haben wir uns daran gemacht, eine Reihe von Vermögenspreisindizes für die privaten Haushalte in den wichtigsten Ländern der Eurozone (Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien) zu entwickeln. Wie die Konsumentenpreisindizes berechnen wir die Vermögenspreisindizes als gewichtete Durchschnitte der Preise für einzelne Vermögensklassen. An realen Vermögenswerten nehmen wir Immobilien, Betriebsvermögen, dauerhafte Konsumgüter sowie Sammel- und Spekulationsobjekte (Kunst, Wein und klassische Autos). An Finanzvermögenswerten berücksichtigen wir Aktien, Anleihen, Bankeinlagen und Anlagen in Gold und Rohstoffen. Die Gewichtung der einzelnen Vermögensklassen berechnen wir aus den Umfragen der EZB und der OECD zur Struktur der Haushaltsvermögen. Für die Eurozone insgesamt zeigt unser Index eine moderate Entwicklung der Vermögenspreise. Zwischen den Jahren 2005 und 2014 sind diese mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von gerade mal 1,2 Prozent gestiegen, weniger als die Verbraucherpreise (1,8 Prozent) oder die Produzentenpreise (1,9 Prozent). Hinter diesem scheinbar gemäßigten Verlauf verbergen sich jedoch sehr unterschiedliche Entwicklungen in den südlichen und nördlichen Ländern der Eurozone. Ab 2010 liefen die Vermögenspreise in den beiden Ländergruppen so stark auseinander, dass die Nordländer von da an bis 2014 einen Anstieg von 14,7 Prozent, die Südländer dagegen einen Rückgang von 14,0 Prozent verzeichneten. Den stärksten Fall erlitten in diesem Zeitraum mit 34,1 Prozent die Vermögenspreise in Griechenland, den stärksten Anstieg verbuchten mit 25,2 Prozent die in Österreich. Mit 19,6 Prozent lag der Anstieg der deutschen Vermögenspreise an zweiter Stelle. Der Rückgang der Vermögenspreise ging mit einer Schrumpfung der Bankkredite an private Haushalte und daraus folgend der Wirtschaftsleistung einher, ihr Anstieg dagegen mit einer Zunahme der Bankkredite und der Wirtschaftsleistung. Auseinanderlaufende Vermögenspreise setzten also eine Spirale der Divergenz von realwirtschaftlicher Entwicklung und Vermögenspreisen in Gang.
In den achtziger Jahren hatte Alan Walters, ein Wirtschaftsberater Margaret Thatchers, die Divergenz von Inflationsraten als Sprengsatz für ein System fester Wechselkurse identifiziert. Höhere Inflation senkt den Realzins in den stärkeren Ländern, während niedrigere Inflation ihn in schwächeren Ländern erhöht. Walters sagte richtig voraus, dass die dadurch entstehende Spirale der realwirtschaftlichen Divergenz schließlich den Wechselkursverbund im Europäischen Währungssystem (EWS) sprengen würde.
Bisher hält sich die Divergenz in der Entwicklung der Konsumentenpreise und damit der Realzinsen im Euroraum in Grenzen. Doch kann die Divergenz in der Entwicklung der Vermögenspreise zu einer Spirale in der realwirtschaftlichen Divergenz führen, wie sie Walters beschrieben hat: Für die nördlichen Länder sind die gemeinsamen Zinsen und der Wechselkurs zu niedrig, so dass Vermögenspreise und Wirtschaftsaktivität überhitzen. Für die südlichen Länder gilt umgekehrt, dass Zinsen und Wechselkurs zu hoch sind, so dass Vermögenspreise und Wirtschaftsaktivität in die Depression getrieben werden. Würde Walters seine für das EWS gestellte Prognose für die Europäische Währungsunion wiederholen? Dies hinge wohl davon ab, ob er die politischen Kohäsionskräfte in der EWU höher veranschlagen würde als die ökonomischen Zentrifugalkräfte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen