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Donnerstag, 7. Januar 2016

Der sunnitisch-schiitische Konflikt Ölkrieg Riads gegen Teheran Saudiarabien fürchtet den Aufstieg Irans. Mit einer Dumpingstrategie im Erdölsektor versucht Riad, den antizipierten Höhenflug Teherans frühzeitig zu bremsen. // folgt dem Link zu guten Grafiken....

Der sunnitisch-schiitische Konflikt
Ölkrieg Riads gegen Teheran

Saudiarabien fürchtet den Aufstieg Irans. Mit einer Dumpingstrategie im Erdölsektor versucht Riad, den antizipierten Höhenflug Teherans frühzeitig zu bremsen.
  • von Ulrich Schmid, Jerusalem
Riad fürchtet das, worauf man in Teheran und in einem guten Teil der westlichen Welt hofft: eine rapide konjunkturelle Erholung Irans in der Folge des Atomabkommens.

Riad fürchtet das, worauf man in Teheran und in einem guten Teil der westlichen Welt hofft: eine rapide konjunkturelle Erholung Irans in der Folge des Atomabkommens. (Bild: Hasan Jamali / AP)

Der Konflikt zwischen Saudiarabien und Iran hat sich nach den Massenhinrichtungen im wahhabitischen Königreich und dem Sturm auf die saudiarabische Botschaft in Teheran auch in wirtschaftlicher Hinsicht verschärft. Riad kündigte an, ab sofort werde man sämtliche Flug- und Handelsverbindungen kappen. Dietreuesten Bundesgenossen Riads , allen voran Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Kuwait und Sudan, stuften die diplomatischen Beziehungen hinunter.

Riads Selbstkasteiung

All dies ist allerdings fast bedeutungslos im Vergleich zu dem veritablen präventiven Ölkrieg, den Saudiarabien im vergangenen Jahr gegen Iran begonnen hat und der sich jetzt zu intensivieren droht. Riad fürchtet das, worauf man in Teheran und in einem guten Teil der westlichen Welt hofft: eine rapide konjunkturelle Erholung Irans in der Folge des Atomabkommens, befeuert durch die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen und massive Neuinvestitionen. Die Wortmeldungen europäischer und amerikanischer Unternehmer scheinen diese Erwartungen zu bestätigen. Die Sorge Riads scheint nicht unbegründet. Wenn Iran schon unter dem Sanktionsregime in der Lage war, in zwei Stellvertreterkriegen in Syrien und Jemen mitzumischen – wie wird es dann erst auftreten, wenn es sich die Unterstützung Asads und der Huthi-Rebellen noch mehr kosten lassen kann?
Saudiarabien, nach den USA weltweit zweitgrösster Erdölproduzent (vgl. Grafik), will die iranischen Aspirationen im Keim ersticken. Seit einem Jahr flutet das Land den Markt regelrecht mit Erdöl und hat damit für einen Preissturz gesorgt, der viele Staaten, vor allem das strukturschwache Russland, empfindlich trifft. Im Sommer 2014 kostete das Fass Brent noch über 100 $. Diese Woche lag der Preis bei gut 36 $, der Abwärtstrend wird sich angesichts der schwächelnden chinesischen Nachfrage fortsetzen. Seit Januar 2015 fördert Riad etwa 10 Mio. Fass pro Tag und nähert sich nun dem Tiefpunkt von 2004, als das Fass weniger als 25 $ kostete.

Spiel mit dem Feuer

Die offensichtliche Bereitschaft Saudiarabiens, erhebliche Nachteile in Kauf zu nehmen, um Iran zu schwächen, verrät einiges Selbstbewusstsein. Man glaubt in Riad offenbar, über genügend Kraft und Reserven zu verfügen, um auch einen längeren Konflikt überstehen zu können. Das ist möglicherweise eine Fehleinschätzung. Schon der Versuch, die amerikanischen Ölschiefer- und Fracking-Produzenten durch Billigangebote aus dem Feld zu schlagen, ist extrem kostspielig. Sinkende Einnahmen haben laut der «Arabian Monetary Agency» die saudiarabischen Devisenreserven von 742 Mrd. $ im Oktober 2014 auf 648 Mrd. $ im Oktober 2015 absinken lassen. Das Budgetdefizit betrug Ende Jahr rund 20% des Bruttoinlandprodukts, der IMF befürchtet, dass Saudiarabien seine Devisen schon in fünf Jahren aufgebraucht haben wird, sollte es den Kurs nicht ändern.
Ein Staat, dessen Einnahmen noch vor kurzem zu 90% aus Erdölprodukten stammten, kann sich eine Dumping-Strategie nicht unbegrenzt leisten. Die für einen ausgeglichenen Haushalt notwendige Notierung (Break-even-Preis) lag 2014 und 2015 für Saudiarabien bei rund 100 $ (vgl. Grafik) – die Verluste bei einem Verkaufspreis von 36 $ sind also immens. Die steigenden Spannungen machen sich auch am Markt für Kreditversicherungen wie Credit default swaps (CDS) bemerkbar, die einen Tag nach dem Sturm auf die Botschaft in Teheran mit 175 Basispunkten um 25 Punkte höher als noch vor einer Woche gehandelt wurden. Al Jazeera will erfahren haben, dass König Salman das Finanzministerium angewiesen hat, neue Infrastrukturprojekte auf Eis zu legen und den Kauf neuer Autos und Möbel fürs Erste bleiben zu lassen. Iran auf der anderen Seite gibt richtig Gas. Das Potenzial ist riesig. Allein im Südwesten des Landes harren 60 Mrd. Fass der Förderung, Teheran steckt Millionen in die Instandstellung der Infrastruktur. Die National Iranian Oil Company (NIOC) will die Tagesproduktion von heute etwa 3,3 Mio. Fass noch im Januar auf knapp 4 Mio. steigern. Im Golf liegt eines der grössten Erdgasfelder, Iran teilt es sich mit Katar. Allein im iranischen Teil sollen sich 14 Bio. Kubikmeter Naturgas befinden.

Ein schlafender Riese?

Zu einem raschen Höhenflug wird Iran dennoch nicht ansetzen. Gelingt es den Iranern, ihre Produktion zu steigern, nehmen sie bestenfalls so viel ein wie vor einem Jahr, als der Preis noch bei 100 $ pro Fass lag. Können sich die VAE unter saudischem Druck zu Wirtschaftssanktionen durchringen, würde dies Teheran empfindlich treffen. Die Emirate haben sich in den letzten 15 Jahren zu einem der wichtigsten Handelspartner Irans entwickelt. Allein der Wert der nichtfossilen Exporte beträgt derzeit 11,5 Mrd. $. Doch während die Golfstaaten ansehnliche Mengen nach Iran exportieren, sind die Einfuhren aus Iran bescheiden. Sie betragen bloss 5% der Gesamtausfuhren. Die Golfmonarchien inklusive Saudiarabiens, dessen Erdöl rund um den Globus gekauft wird und das mit Iran sehr überschaubare Handelsbeziehungen unterhält, könnten einem iranischen Lieferstopp gelassen entgegenblicken.
Ob die aggressive saudiarabische Strategie die erhofften Resultate bringt, ist fraglich. Sicher werden dem antizipierten iranischen Aufschwung erst einmal die Flügel gestutzt. Doch die Furcht vor der Renaissance des ungleich bevölkerungsreicheren Nachbarn ist sicher berechtigt. Experten attestieren Iran mit seiner relativ gut ausgebildeten jungen Bevölkerung weit bessere Diversifizierungsmöglichkeiten als in Saudiarabien. Man denke nur an das enorme intellektuelle Potenzial Teherans, dem weder Riad noch Mekka noch Medina etwas entgegenzusetzen haben. Iran ist für Europäer auch kulturell näher als das strenge, fremde, abweisende wahhabitische Königreich. Und obwohl die Menschenrechte auch in Iran – man denke an die Hinrichtungen Homosexueller – mit Füssen getreten werden, scheint der Westen weit geneigter, mit dem Mullahregime ins Geschäft zu kommen.

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