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Dienstag, 15. März 2016

Wachsende Ungleichheit wird besonders laut von denen beklagt, die von der Umverteilung leben.

Arm und ReichDie Welt wird gleicher

Wachsende Ungleichheit wird besonders laut von denen beklagt, die von der Umverteilung leben. Dabei werden die Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern immer kleiner. Doch das zu sagen, gilt als unpopulär.
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© AFPMenschen vor der Skyline von Schanghai: Symbol des wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas in den vergangenen 30 Jahren.
Die Welt wird immer ungerechter, die Ungleichheit immer größer. Wer in Deutschland das Gegenteil zu behaupten wagt, wird sofort niedergemacht von Politikern, Lobbyisten und Publizisten, deren Geschäft die Umverteilung dessen ist, was andere erwirtschaften. Das mediale Trommelfeuer zeigt Wirkung. Umfragen zufolge wollen die meisten Deutschen am liebsten in einem Land leben, in dem Vermögen und Einkommen gleich verteilt sind. Wieso eigentlich? Warum steht für die meisten Deutschen fest, dass mit der Globalisierung der Norden den Süden ausbeutet und die Marktwirtschaft die Reichen reicher und die Armen ärmer macht?
An der Debatte über Ungleichheit ist nicht nur ihre Einseitigkeit bemerkenswert, sondern auch die Neigung, Fakten nicht gelten zu lassen. Dabei müssten doch im Land des Export- und Reiseweltmeisters die Leute am Arbeitsplatz, im Urlaub oder beim Blick in die Medien sehen, wie schnell Asien und andere Weltregionen zum Westen aufschließen. Auch im Süden werden die Menschen älter, sind sie gesünder als früher, ist die Kindersterblichkeit geringer und wird die Bildung vor allem von Mädchen immer besser. Die Digitalisierung dringt in die Berge, die Arktis und die Wüste vor. Das Internet versorgt die Menschen überall mit dem Wissen der Welt. Dadurch wird die Welt gleicher, auch wenn kulturelle oder religiöse Unterschiede bleiben. Lebensumstände und Lebenserwartung werden ähnlicher, trotz der Schrecken vieler Kriege und des Terrors im Nahen Osten.
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Die Aufholjagd lässt sich beziffern. Vor 200 Jahren lebten rund 94 Prozent der Menschen in ärmlichen Verhältnissen, nach Angaben der Weltbank leben heute weniger als 10 Prozent in absoluter Armut. Zur globalen Mittelschicht gehörten 1985 eine Milliarde Menschen, heute 2,3 Milliarden. Die Tatsache, dass noch nicht alle aus der Armut entfliehen konnten, macht das Ausbrechen so vieler nicht weniger bewundernswert, sagt der jüngste Wirtschaftsnobelpreisträger Angus Deaton. Daran ändern auch reißerische Studien über Ungerechtigkeit von Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam nichts. Darin wird behauptet, die 62 reichsten Menschen hätten mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der Menschheit. Weil Oxfam mit negativen Nettovermögen hantiert, soll also jeder zehnte Amerikaner wegen der Hypothek auf sein Haus ärmer sein als drei Viertel der Afrikaner, die sich oft als Tagelöhner durchs Leben schlagen, aber zu arm sind, um Schulden zu machen. Das ist doch Unsinn.

Ruf nach Gleichheit schürt Emotionen

Durch das Aufholen der Schwellenländer in den letzten drei Jahrzehnten ist die globale Ungleichheit kräftig gesunken. Gleichzeitig stieg jedoch in manchen Ländern die Ungleichheit, auch in Deutschland. Wiedervereinigung, Einwanderung und Globalisierung haben die sozialen Unterschiede hierzulande vergrößert. Hiesige Facharbeiter stehen im globalen Wettbewerb mit Arbeitern in China oder Indien – trotz des Mindestlohns. In den Wirtschaftswunderjahren wuchsen Löhne und Unternehmensgewinne gleichzeitig, waren sozialer Ausgleich und wirtschaftliche Effizienz keine Gegensätze. Das wird heute anders empfunden. Dass Arbeitsplätze selbst in Betrieben, die Gewinne machen, heute nicht mehr sicher sind, verunsichert die Leute.
Deshalb lassen sich mit dem Ruf nach Gleichheit leicht Emotionen schüren. Doch die Dinge sind komplizierter, wie ein Blick zurück in die sozialistische DDR lehrt. Um die Debatte über Gerechtigkeit zu versachlichen, bemühen sich F.A.Z., F.A.S. und FAZ.net in einer Serie von teils kontroversen Beiträgen um Aufklärung. Gerade hat etwa der Chef vom DIW, Marcel Fratzscher, behauptet: „Die soziale Marktwirtschaft existiert nicht mehr“. Diese steile These taugt bestimmt für den Absatz seines neuen Buches mit dem bezeichnenden Titel „Verteilungskampf“. Aber als Beschreibung der deutschen Wirklichkeit taugt sie nicht.
Wie Clemens Fuest, der im April Hans-Werner Sinn als Chef des Ifo-Instituts ablösen wird, vor einem Monat in seinem Beitrag „Zehn Thesen zur Ungleichheitsdebatte“ in der F.A.Z. darlegte, wächst in den Industrieländern zwar die Ungleichheit der Markteinkommen. Aber es kommt auf die verfügbaren Einkommen an, also die Einkommen nach Steuern und Transfers, da der Sozialstaat die Ungleichheiten abfedert. Weil Deutschland mehr umverteilt als fast alle anderen Länder, ist der Anteil des ärmsten Viertels der Bevölkerung an den verfügbaren Einkommen in den zurückliegenden zwanzig Jahren recht stabil geblieben.
Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit darf nicht nur mit guten Absichten gestellt, sondern muss mit Bezug zur Leistungskraft auch beantwortet werden. Politiker und Buchautoren sollten sich nicht darauf beschränken, wirtschaftliche Freiheit und sozialen Ausgleich gegeneinander auszuspielen. Für Ludwig Erhard, den Vater des Wirtschaftswunders, waren Wirtschaftsleistung und Sozialleistung zwei Seiten einer Medaille: „Ebenso wenig wie ein Volk mehr verzehren kann, als das Volk an Werten geschaffen hat, so wenig kann auch der Einzelne mehr an echter Sicherheit erringen, als wir uns im Ganzen durch Leistung an Sicherheit erworben haben.“

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