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Donnerstag, 29. Januar 2015

Einen Schuldenschnitt kann Europa nicht riskieren

Einen Schuldenschnitt kann Europa nicht riskieren

AnalyseEs gibt Verhandlungsmasse mit Griechenland – aber auch unverrückbare Grenzen.

Griechenland hat 320 Milliarden Euro Schulden: Keine leichten Voraussetzungen für die Verhandlungen von Giannis Varoufakis, den neuen Finanzminister Griechenlands. Foto: Bloomberg
Griechenland hat 320 Milliarden Euro Schulden: Keine leichten Voraussetzungen für die Verhandlungen von Giannis Varoufakis, den neuen Finanzminister Griechenlands. Foto: Bloomberg

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Alexis Tsipras verliert keine Zeit. In rekordverdächtigem Tempo hat der neue griechische Ministerpräsident die Regierungsmannschaft formiert – auf dass er sich sogleich seinen beiden vordringlichsten Aufgaben zuwenden kann: die akute wirtschaftliche Not im Land zu lindern und die gewaltige Schuldenlast des Staates zu mindern. Gerade Letzteres birgt viel Sprengkraft, deren zerstörerische Wirkung weit über Griechenland hinausreicht.
Auf gut 320 Milliarden Euro türmen sich die griechischen Staatsschulden, was etwa 175 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) entspricht. Doch was bei diesen enormen Dimensionen etwas aus dem Blick gerät: Für etwa drei Viertel der Verbindlichkeiten kommen die Griechen in den Genuss überaus günstiger Konditionen. So beträgt die durchschnittliche Laufzeit bei den Ausständen des Eurorettungsfonds mehr als 32 Jahre, was die mittlere Fristigkeit des gesamten griechischen Kreditbestandes auf komfortable 17 Jahre erstreckt. Ausserdem musste das Land 2014 rein rechnerisch einen Durchschnittszinssatz von lediglich 2,4 Prozent zahlen.
Sinkende Zinslast
Diese Entlastungen fallen ganz erheblich ins Gewicht. Die Brüsseler Denk­fabrik Bruegel hat dazu kürzlich fest­gehalten – mit Verweis auf Japans Verbindlichkeiten von fast 250 Prozent des BIP –, dass jeder Schuldenberg für ein Land tragbar sei, sofern nur die Zinsen tief genug seien. Nach Berechnungen von Bruegel könnten die griechischen Aufwendungen für den Schuldendienst in diesem Jahr auf unter 2 Prozent des BIP sinken, vorausgesetzt das Land erfüllt die Bedingungen des Rettungsprogramms. Dieser Rückgang, nach 2,6 Prozent im Jahr 2014, ist dem allgemein sinkenden Zinstrend, aber eben auch den 2012 gewährten Konzessionen der Euroländer zu verdanken. Treffen Bruegels Kalkulationen zu, würde sich eine der Forderungen von Tsipras gleichsam von selbst erfüllen – ohne dass die Gläubigerstaaten weitere Abstriche bei den Kredit­konditionen machen müssten.
Dabei ist allen Beteiligten wohl längst klar, dass die Europartner um nochmalige Krediterleichterungen nicht herumkommen werden, wenn sie sich mit dem neuen griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis an den Verhandlungstisch setzen. Dafür spricht allein schon der Umstand, dass Alexis Tsipras nach seinem überraschend hohen Wahlsieg das Gesicht wahren muss. Offen ist also nur mehr die Frage, welche Reformversprechen man vom neuen Regierungschef und seinem Finanzminister im Gegenzug abverlangen kann.
Am Ende dürften sich die Euroländer dazu durchringen, die Kreditlaufzeiten noch weiter auszuweiten – womöglich auf 40 Jahre und mehr – und die Zinslast nochmals zu reduzieren. Im Gespräch sind ferner innovativere Lösungsansätze, wie den griechischen Schuldendienst an das Wirtschaftswachstum des Landes zu koppeln.
Gefahr einer Kettenreaktion
Eine wie auch immer geartete Übereinkunft über eine finanzielle Entlastung Athens könnte nicht zuletzt den haushaltspolitischen Spielraum der neuen Regierung vergrössern. Ohnehin sind die derzeit geltenden Vorgaben des Rettungsprogramms, vornehm ausgedrückt, höchst ambitioniert: Griechenland muss seinen Primärüberschuss im Staatshaushalt (ohne Zinszahlungen auf den Schulden) von 1,5 Prozent des BIP im vergangenen Jahr auf 4,5 Prozent bis 2016 erhöhen und anschliessend über Jahre hinweg auf diesem Niveau halten. Wie der zarte wirtschaftliche Aufschwung dort bei derart einschneidenden Restriktionen an Kraft gewinnen soll, ist schleierhaft.
Es gibt somit durchaus Verhandlungsmasse zwischen Athen und seinen europäischen Partnern. Tsipras und Varoufakis werden aber höchstwahrscheinlich auf Granit beissen, wenn sie auf einem eigentlichen Schuldenschnitt bestehen. Nach den Vorstellungen des Athener Regierungschefs sollten die Euroländer auf etwa ein Drittel ihrer Forderungen verzichten – was nicht nur deutsche Steuerzahler treffen würde, sondern auch solche aus anderen Krisenstaaten, die selber unter widrigen Verhältnissen zu leiden haben. Die europäischen Regierungen verfügen hier schlicht nicht über Manövrierraum, und gegen eine Umschuldung für Griechenland sprechen sich denn längst nicht nur Deutschland und andere Eurokernländer aus. Vielmehr sieht sich die griechische Regierung einer praktisch geschlossenen Phalanx gegenüber.
Gelänge es Alexis Tsipras tatsächlich, einen Schuldenschnitt – und nicht nur einen geringeren Schuldendienst – durchzusetzen, müsste man in Europa eine kaum mehr zu kontrollierende Kettenreaktion gewärtigen. In den Peripherieländern wären die Parteien am linken Rand des politischen Spektrums die grossen Profiteure – also jene Kräfte, die ihren Wählern so wie Tsipras versprechen, sie vom Schuldenjoch zu befreien. In den nördlichen Euroländern hingegen könnten sich die eurokritischen Rechtspopulisten über breiten Zulauf freuen. Würden sich doch ihre düsteren Prophezeiungen bewahrheiten, dass die reicheren Eurostaaten für die Schulden der «faulen Südländer» aufkommen müssten. Wenngleich natürlich auch tiefere Kreditzinsen und längere Laufzeiten auf einen (versteckten) Finanztransfer hinauslaufen.
Bleibt zu hoffen, dass sich Tsipras dieser Ausgangslage bewusst ist. Er besitzt im Schuldenpoker mit den Europartnern die schlechteren Karten – je schneller er dies einsieht, desto besser. Die Zeit läuft gegen sein Land: Ende Februar endet das Rettungsprogramm; ohne Anschlussfinanzierung droht spätestens im Sommer die Pleite, wenn Schuldenrückzahlungen von rund 7 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank anstehen. Griechenlands Hoffnungsträger bewegt sich auf äusserst schmalem Grat.
(Tages-Anzeiger)
(Erstellt: 28.01.2015, 23:10 Uhr)

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