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Freitag, 22. Juni 2018

WIRTSCHAFT STICHTAG 29. MÄRZ 2019 36 Millionen Versicherungen drohen durch Brexit ungültig zu werden Stand: 21.06.2018 | Lesedauer: 3 Minuten Von Claudia Wanner, London

WIRTSCHAFT 

STICHTAG 29. MÄRZ 201936 Millionen Versicherungen drohen durch Brexit ungültig zu werden

 | Lesedauer: 3 Minuten
Durch den Brexit ist auch eine Vielzahl von Verträgen bedroht. Betroffen sind Hunderttausende deutsche Versicherungspolicen. Die Zeit, sie noch rechtzeitig umzuschreiben, könnte vermutlich bereits abgelaufen sein.
Quelle: WELT/Christin Brauer
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Durch den EU-Austritt der Briten sind eine Vielzahl von Verträgen bedroht. Die Policen könnten ab März 2019 ungültig oder nicht mehr bedient werden. Auch Hunderttausende Verträge aus Deutschland sind betroffen.
Millionen lang laufender Finanzprodukte in der Europäischen Union drohen durch den Brexit ungültig zu werden. Die Zeit, sie womöglich noch rechtzeitig umzuschreiben, sei längst abgelaufen, warnt eine aktuelle Analyse von TheCityUK, einer Interessensvertretung britischer Finanzdienstleister. Betroffen sind allein 36 Millionen Versicherungsverträge, Hunderttausende davon auch in Deutschland.
Ferner betrifft das Problem eine Vielzahl komplexerer Investmentprodukte, beispielsweise Derivate im Wert von 26.000 Milliarden Pfund (30.000 Milliarden Euro). Derivate sind Finanzprodukte, die auf die Entwicklung eines anderen Finanzinstruments, etwa einer Aktie oder eines Index, wetten.
„Das mag sich nach einem abseitigen Problem anhören. Doch die Frage der vertraglichen Kontinuität nach dem Brexit zu ignorieren, würde für die Finanzen von Kunden in ganz Europa ein gefährliches Spiel mit dem Feuer bedeuten“, sagte Miles Celic, Geschäftsführer von TheCityUK. „Ohne praktikable Lösung könnten Millionen Menschen plötzlich ohne ein Sicherheitsnetz dastehen.“
Mit dem Ausstieg aus dem Binnenmarkt verlieren Finanzdienstleister aus Großbritannien die Möglichkeit des sogenannten Passporting. Eine einmalige Zulassung in einem EU-Mitgliedsland macht dabei den Vertrieb eines Finanzproduktes in der gesamten Union möglich. Umgekehrt wird auch für Anbieter aus der EU27 der Vertrieb auf der Insel komplizierter. Zudem verlieren beispielsweise viele Versicherer die Zulassung, im jeweils anderen Rechtsraum das Bestandsgeschäft weiterzuführen.

Über März 2019 laufende Verträge drohen nichtig zu werden

Über den Brexit-Stichtag, den 29. März 2019, hinaus laufende Versicherungsverträge drohen dann, nichtig zu werden, oder sie können im Schadensfall nicht länger legal bedient werden. Die Bank of England schätzt, dass allein im Bereich Versicherungen 30 Millionen Verträge in der EU und weitere sechs Millionen in Großbritannien von der Frage der sogenannten Vertragskontinuität betroffen sind.
Der Appell, rasch eine pragmatische Lösung zu finden, unterstreicht die zunehmende Frustration in der Londoner City über fehlende Fortschritte bei den Ausstiegsverhandlungen in Brüssel. Genau wie die Banken haben auch Versicherungen längst begonnen, sich durch neue Standorte oder den Ausbau von Niederlassungen in der EU27 gegen viele durch den Brexit drohende Veränderungen abzusichern. Luxemburg und Dublin gehören für die Versicherer zu den bevorzugten Destinationen, unter anderem aber auch Brüssel, Paris und München.

Britische Wirtschaft warnt vor totalem Brexit

 
Im kommenden März soll der Brexit vollzogen werden. Manche resignieren inzwischen: Der nicht vorhandene Kurs von Premierministerin May sorgt bei britischen Firmen für Unmut.
Quelle: WELT/ Kevin Knauer
Das Problem der Vertragskontinuität lösen die neuen Standorte aber nicht. Seit Monaten habe die Branche immer wieder lautstark auf das Problem hingewiesen, klagte – ohne Erfolg. Zwar gibt es theoretisch häufig einen Ausweg. Dabei werden bestehende Verträge in einen anderen Rechtsraum übertragen. Part-VII-Transfer heißt diese Option im Fachjargon, einige Versicherer haben inzwischen mit diesen Übertragungen begonnen.
Aber der Prozess ist aufwendig und teuer. Die Kosten dürften am Ende die Kunden tragen. In vielen Fällen ist die komplette Duplizierung eines Vertrags aus regulatorischen Gründen gar nicht möglich. Und der ganze Aufwand könnte sich je nach Brexit-Modell als unnötig erweisen.

Jeder Vertragstransfer muss gerichtlich bestätigt werden

Hinzu kommt, dass jeder Transfer von einem Gericht abgesegnet werden muss, ein Vorgang, der nach Branchenschätzungen 12 bis 18 Monate in Anspruch nimmt. Schon im vergangenen Herbst hatte die Bank of England in einem internen Schreiben gewarnt, dass die Zeit für diese Übertragungen ablaufe. Inzwischen bleiben gerade noch neun Monate bis zum Brexit. Es gebe gar nicht genug Anwälte, um alle potenziellen Fälle abzuarbeiten, warnte Celic.
Er schlägt als pragmatische Lösung einen umfassenden Bestandsschutz vor, entweder zeitlich befristet oder besser noch bis zur Fälligkeit der Verträge. Wichtig sei vor allem, die Frage nicht in den politischen Ränkespielen der Verhandlungen in Brüssel zu zerreiben. „Das Thema sollte gar nicht in den Brexit-Verhandlungen aufgegriffen werden“, empfiehlt Celic. „Das ist ein unpolitisches, technisches Problem und verlangt nach einer unpolitischen, technischen Lösung.“