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Donnerstag, 22. Oktober 2015

Briefkastenfirmen Das schrägste Börsentiming der Welt Die OECD sagt Briefkastenfirmen den Kampf an. Und wer geht in Holland an die Börse? Ein Betreuer von Briefkastenfirmen.

BriefkastenfirmenDas schrägste Börsentiming der Welt

Die OECD sagt Briefkastenfirmen den Kampf an. Und wer geht in Holland an die Börse? Ein Betreuer von Briefkastenfirmen.

© PICTURE-ALLIANCEEin Sehnsuchtsort - nicht nur für Urlauber: Cayman Islands. Auch Intertrust betreibt eine Filiale in diesem Steuerparadies.
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Das schrägste Börsentiming der Welt. Ein Unternehmen, das Briefkastenfirmen verwaltet, will an die Börse.
 
Die OECD geht gegen Briefkastenfirmen vor, ein niederländischer Konzern geht mit ihnen an die Börse.
Börsengänge sind seit Jahren eine heikle Angelegenheit. Die ständigen Finanzkrisen, die permanente Unsicherheit über die Konjunktur schicken Aktienkurse auf die Achterbahn. Für den Sprung aufs Parkett ist der eine richtige Zeitpunkt kaum mehr zu planen. Das lässt sich an den vielen Börsengängen ablesen, die kurzfristig abgesagt wurden. Mit der großen Finanzkrise von 2008 ging das los. Man erinnere sich an das spektakuläre Scheitern der Deutschen Bahn: Jahrelang hatte der Vorstand auf die Börsennotiz hingearbeitet, wollte seinen Plan im Herbst jenes Jahres trotz absackender Märkte noch durchprügeln, aber nach der Lehman-Pleite zog die Bundesregierung doch die Notbremse.
Die Bahn war damals nicht das einzige Unternehmen, das kurzfristig einen Rückzieher machte. Und seit jenem Jahr hat eigentlich kein Unternehmen einen verlässlich guten Zeitpunkt planen können. In diesem Sommer war es die Griechenland-Krise, die die Märkte plagte. Wieder kündigten Unternehmen einen Börsengang an und sagten ihn kurz darauf ab – zum Beispiel der Modehändler CBR mit seinen Marken Street One und Cecil. Bei ihm soll zudem eine Rolle gespielt haben, dass fast zeitgleich die Konkurrenten Gerry Weber und Ahlers Gewinnwarnungen gaben und die Beraterbanken von CBR bei den Investoren daher wenig Kauflust ausmachten.
Unglückliches Timing gibt es also schon seit Jahren. Den vielleicht interessantesten Zeitpunkt für einen Börsengang liefert jetzt aber ein Unternehmen in den Niederlanden: die Treuhandgesellschaft Intertrust. Sie ist eine der größten unter jenen Gesellschaften, die Briefkastengesellschaften für internationale Konzerne errichten und verwalten – damit die dann Steuern sparen. Die Niederlande sind eine der beliebten Steueroasen.

Wie kann das sein?

Intertrust, eine frühere Tochtergesellschaft der Bank Fortis, sitzt im „Amstelgebouw“, einem Zweckbau schräg gegenüber dem Bahnhof Amstel. Sie soll dort und in einer Rotterdamer Nebenstelle mehr als 3000 Gesellschaften, Stiftungen und Genossenschaften verwalten: von der Waffenfirma Lockheed Martin über Danone bis hin zur Rockband AC/DC. Intertrust selbst gibt an, dass zum Beispiel 60 Prozent der 300 größten internationalen Private-Equity-Häuser zu den Kunden zählen. Private Equity spielt auch als Eignerin von Intertrust eine Rolle: Die Beteiligungsgesellschaft Waterland verkaufte das Unternehmen 2012 an Blackstone. Und Blackstone hat es jetzt an die Börse gebracht. Am Donnerstag war Debüt in Amsterdam, die Deutsche Bank und UBS koordinierten das Ganze. Wie kann das sein? Hat nicht soeben die OECD dem System von Briefkastengesellschaften den Kampf angesagt? Eine Serie von Maßnahmen soll dem Geldschleusen, das die Steuern minimiert, ein Ende bereiten – oder es jedenfalls einschränken. Und dann geht ein Dienstleister dieser Gesellschaften aufs Parkett?
„Intertrust hat schlechtes Markttiming gehabt“, urteilte denn auch Analyst Jos Versteeg vom Finanzhaus Theodoor Gilissen. Das Unternehmen könnte zwar von Zusammenschlüssen in einer Branche profitieren, die unter Druck gerät. Aber: „Der Markt für Unternehmen, die Treuhanddienste anbieten, wird wegen des politischen Durchgreifens langfristig schwieriger werden.“
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Gemach, sagt das Unternehmen. Im Börsenprospekt für Investoren macht es geltend, dass man vielleicht sogar von der schärferen Regulierung profitiere. Denn die führe in der Regel dazu, dass Unternehmen Verwaltungs- und Compliance-Funktionen an Externe auslagern. So sieht das auch der Branchenverband Holland Quaestor, der sich übrigens als „Qualitätsvereinigung von Unternehmensdienstleistungsanbietern“ bezeichnet. Sein Vorstandsvorsitzender André Nagelmaker sagt, Unternehmen müssten immer kompliziertere Berichte über ihre Einkommen und Steuern abgeben. Da sei allerhand Outsourcing zu erwarten. „Eigentlich könnte man sagen, dass die Briefkastengesellschaft aus den Niederlanden verschwindet, aber dass der Treuhandsektor eine neue Rolle findet: als Verwalter und Sekretär internationaler Unternehmen in den Niederlanden und im Ausland“, zitiert ihn die Zeitung „De Volkskrant“.

Internationale Reform hätte erhebliche Wirkungen

Der Kern des Geschäftsmodells wäre so indes angeknabbert. Das wird auch aus dem Risikobericht deutlich, den Intertrust beim Börsengang den Investoren präsentierte. Der führt als einen wichtigen Punkt mögliche Änderungen in den Steuergesetzen auf – und namentlich den Vorstoß der OECD und der G-20-Staaten. Wenn die internationale Reform starke Wirkung zeige, könnte die Nachfrage nach den entsprechenden Treuhanddienstleistungen erheblich sinken – „was unser Geschäft wesentlich und nachteilig beeinflussen könnte“, heißt es da.
Anleger zeigten sich beim Börsengang erst einmal gleichmütig. Zwar wurde die Aktie am Donnerstag nahe dem unteren Ende der angepeilten Spanne ausgegeben, zu 15,50 Euro. Die Marktkapitalisierung des gesamten Unternehmens liegt aber dennoch deutlich über einer Milliarde Euro, und dies bei 296 Millionen Euro Jahresumsatz. In den kommenden Monaten wird der Markt sein Urteil abgeben: ob Intertrust nach der OECD-Initiative noch eine Chance haben wird oder ob dies der verrückteste Zeitpunkt der Geschichte für einen Börsengang war.

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