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Donnerstag, 12. Juli 2018

Es sei inakzeptabel, dass die Deutschen sich durch amerikanische Militärausgaben vor Russland schützen liessen und gleichzeitig «Milliarden und Milliarden» für Energiebezüge an Putin überwiesen. Sie seien in dessen Abhängigkeit geraten, zumal sie auf ihre Atomkraft verzichteten und ein ehemaliger Bundeskanzler (Schröder) in das Geschäft involviert sei.

Trump fordert Merkel heraus

Die Nord-Stream-Pipeline ist in der Nato zum Streitobjekt geworden. Trump wirft Merkel vor, sich von Russland abhängig zu machen – und die Amerikaner für Deutschlands Sicherheit zahlen zu lassen. Die Kanzlerin hat kühl auf die Anwürfe reagiert.
Andreas Ernst, Brüssel
Bundekanzlerin Angela Merkel und Donald Trump in Brüssel. (Bild: Sean Gallup / Getty Images)

Bundekanzlerin Angela Merkel und Donald Trump in Brüssel. (Bild: Sean Gallup / Getty Images)

Noch vor Beginn des Gipfels hatte Trump am Mittwoch beim Frühstück in der amerikanischen Botschaftsresidenz in Gegenwart von Nato-Generalsekretär Stoltenberg Deutschland hart angegriffen. Er bezeichnete es als «Gefangenen» Putins, weil es sich von russischen Energielieferungen abhängig mache. Es gehe um Milliarden und Milliarden, die an Russland bezahlt würden, «vor dem wir euch schützen sollen». Stumm und peinlich berührt sass die Diplomatenrunde am Frühstückstisch.

Stoltenbergs erfolglose Mission

Deutschland verdanke der Nato viel, erwiderte Merkel wenige Stunden später, ohne sich direkt auf Trump zu beziehen. Das Bündnis habe entscheidend zur Vereinigung ihres Landes beigetragen. Aber Deutschland leiste umgekehrt auch viel: Es entsende am zweitmeisten Truppen für Nato-Einsätze und stelle fast die gesamte militärische Kapazität in ihren Dienst. Und, fügte sie bei, mit dem Engagement in Afghanistan «verteidigen wir auch die Interessen der Vereinigten Staaten». Es war eine seltene Spitze Richtung Trump, als Merkel sagte, sie wisse aus ihrer Jugend in der DDR wie es sei, von einem anderen Land kontrolliert zu werden. «Es ist sehr gut, dass wir heute eigenständig sind und selber entscheiden.» Die Verteidigungsausgaben würden, wie vereinbart, in Richtung der zwei Prozent des Bruttoprodukts gesteigert.
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Die Teilnehmer des Nato-Gipfels in Brüssel haben sich am Mittwochabend (11.7.) trotz Uneinigkeit über die Verteidigungsausgaben auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt. Untere Reihe v.l.n.r.: Angela Merkel (Deutschland), Charles Michel (Belgien), Jens Stoltenberg (Nato-Generalsekretär), Donald Trump (USA), Theresa May (Grossbritannien). Mitte, v.l.n.r.: Lars Lokke Rasmussen (Dänemark), Erna Solberg (Norwegen), Andrzej Duda (Polen), Emmanuel Macron (Frankreich). Hinten, v.l.n.r.: Edi Rama (Albanien), Milos Zeman (Tschechische Republik), Pedro Sanchez (Spanien). (Bild: Ludovic Marin / Reuters)

Stoltenberg versuchte vergeblich, Trump zu bremsen, indem er ihn für seine «Leadership» lobte, dank der die Ungleichgewichte bei den Verteidigungsausgaben korrigiert würden. Auch er erinnerte Trump daran, dass die Nato auch den USA einen Gewinn an Sicherheit brächte und nicht nur umgekehrt. Trump hatte ausdrücklich das Nord-Stream-2-Projekt der Deutschen ins Visier genommen, das Erdgas via die Ostsee aus Russland heranführen soll. Es sei inakzeptabel, dass die Deutschen sich durch amerikanische Militärausgaben vor Russland schützen liessen und gleichzeitig «Milliarden und Milliarden» für Energiebezüge an Putin überwiesen. Sie seien in dessen Abhängigkeit geraten, zumal sie auf ihre Atomkraft verzichteten und ein ehemaliger Bundeskanzler (Schröder) in das Geschäft involviert sei.
Der Einwurf Stoltenbergs, selbst im Kalten Krieg hätten die Alliierten Erdgas aus Russland bezogen und man habe immer wieder Meinungsverschiedenheiten gehabt, ohne den Zusammenhalt und die Einheit der Allianz infrage zu stellen, liess Trump nicht gelten. Energie sei – anders als Handel – sicherheitspolitisch sehr relevant. Die Polen hätten das verstanden und würden sich nicht in solche Abhängigkeiten begeben.

Geschwächte Achse

Damit trat schon in den ersten Stunden des Gipfels ein, was die Nato unbedingt vermeiden wollte: Der Konflikt um die Lastenteilung ist zentral geworden und der amerikanische Präsident spielt Deutschland gegen die Osteuropäer aus. Statt stark und einig präsentiert sich die Nato mit einer geschwächten transatlantischen Achse.
Schon im Vorfeld hatte Stoltenberg versucht, Trump ein anderes Narrativ beliebt zu machen. Der Präsident solle sich als Sieger präsentieren, der die pflichtvergessenen Verbündeten energisch und erfolgreich vom fairen «burden sharing» überzeugt habe. Aber Trump wollte das nicht. Er betrachtet die Nato nicht als internationale Organisation, die für die kollektive Sicherheit aller Mitglieder aufkommt. Schon gar nicht ist sie in seinen Augen eine Wertegemeinschaft. Für ihn ist das Bündnis ein Sicherheitsmechanismus für jene, die ausreichend Schutzgeldzahlungen überweisen. Vor wenigen Wochen sagte er in South Dakota vor Anhängern: «Manchmal sind die schlimmsten Feinde unsere sogenannten Freunde.»

Und die US-Rüstungsindustrie?

Mit seiner Kritik an Nord Stream erwischt Trump die Deutschen allerdings auf dem linken Fuss. Sowohl die Osteuropäer als auch die EU-Kommission haben grosse Vorbehalte gegen das Projekt. Die EU-Kommission bereitet sogar eine Lex Nord Stream vor, die zwingend den Betrieb der Pipeline von der Gasproduktion trennen soll, auch wenn die Leitung über Drittstaaten führt. Einer solchen Verordnung war bereits das Projekt South Stream zum Opfer gefallen. Aus diplomatischen Kreisen hiess es, beim Zweiertreffen zwischen Trump und Merkel am Rande des Gipfels, das dann erstaunlich spannungsfrei verlaufen sei, habe man das Thema nur gestreift. Hier und da wird auch die These vertreten, Trump sei gegen das Projekt, um in Europa amerikanisches Flüssiggas besser absetzen zu können. Manche Kritiker glauben ohnehin, das Insistieren auf einer schnellen Erhöhung der Verteidigungsausgaben sei im Kern Wirtschaftsförderung für die amerikanische Rüstungsindustrie.

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