Argentiniens drohende StaatspleiteEin Mann gegen ein ganzes Land
Stand: 24.06.2014 13:27 Uhr
Auf der einen Seite steht ein ganzes Land. Auf der anderen ein einzelner Hedge-Fonds-Manager. Ein paar Tage Zeit bleiben den beiden Parteien, sich im Streit um Argentiniens Staatsschulden zu einigen. Sonst droht eine Katastrophe.
Von Heinz-Roger Dohms, tagesschau.de
Paul Singer, 69, hat manchen großen Kampf gekämpft in seinem Leben. Für die Schwulenehe etwa. Oder gegen Barack Obama.
Den Kampf für die Schwulenehe gewann er. 2011 war das, als im Bundesstaat New York ein Referendum über die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften zu scheitern drohte - bis Singer, Vater eines schwulen Sohnes, mit einer millionenschweren Wahlspende die Kehrtwende herbeiführte.
Weitere Millionen machte Singer, im Herzen ein Konservativer, ein Jahr später im US-Präsidentschaftswahlkampf locker. Doch diesmal half es nichts. Sein Protegé, der Republikaner Mitt Romney, verlor.
Die Niederlage hat Singer geärgert. Aber er konnte sie verschmerzen. Denn der eigentliche, der größte Kampf in seinem Leben ist ein anderer. Seit nunmehr 13 Jahre führt er ihn, und zwar gegen ein ganzes Land: Argentinien.
Diese Woche könnte zur Woche der Wahrheit werden
Rund 15 Milliarden Dollar schuldet der südamerikanische Staat einer Gruppe Altgläubiger, an deren Spitze Singers Hedge-Fonds NML Capital steht. Lange Zeit schien es, als stünden die Spekulanten in dem Kampf auf verlorenem Posten. Vergangene Woche jedoch schlug sich das Oberste Gericht der USA, der Supreme Court, in der Causa auf die Seite der Fonds. Argentinien müsse die Schulden komplett zurückzahlen, entschieden die Richter. Ein rechtsverbindliches Urteil - denn die Anleihen wurden einst unter US-Jurisdiktion begeben.
Singer winkt nun der Triumph seines Lebens. Und Argentinien? Droht eine Tragödie. Nämlich die neuerliche Staatspleite. Schon diese Woche könnte es zum Showdown zwischen den Hedge-Fonds und der Regierung in Buenos Aires kommen. Denn am 30. Juni werden die nächsten Kredite fällig. Das sei die Deadline, hat Argentiniens Regierung selbst verkündet.
Mit ganzseitigen Anzeigen wie dieser wehrt sich Argentinien heute in verschiedenen internationalen Zeitungen gegen die "Geierfonds" und die Entscheidung des US-Justiz. In der Anzeige heißt es: "Die Geierfonds haben Millionen von US-Dollar für Lobby und Propaganda aufgewendet, um die Welt davon zu überzeugen, dass Argentinien seine Verbindlichkeiten nicht zahlt und nicht zu Verhandlungen bereit ist. Jedoch ist das Gegenteil der Fall."
Zahlungsausfall vor mehr als zehn Jahren
Alles beginnt Ende 2001. Argentinien leidet damals unter einer schweren Wirtschaftskrise. Das Bruttoinlandsprodukt fällt, das Finanzsystem zerbricht, die Regierung sieht sich außerstande, ihre Schulden - mehr als 100 Milliarden Dollar - zu bedienen. Es ist der bis dahin größte Zahlungsausfall eines souveränen Staates.
Die meisten Investoren treten damals panisch die Flucht an, sie versuchen ihre Anleihen zu verkaufen, egal, zu welchem Preis. Anders Singers NML Capital, ein sogenannter "Vulture Fund", auf Deutsch: Geierfonds. Er kauft große Mengen der nun spottbilligen argentinischen Staatspapiere auf, wie ein Aasgeier, der sich über seine tote Beute hermacht. Dass Argentinien den Schuldendienst eingestellt hat? Ist ihm in dem Moment egal. Er spekuliert darauf, dass Buenos Aires eines Tages zahlen kann. Oder: zahlen muss.
Und tatsächlich, Argentinien erholt sich. Auch weil die meisten Investoren nicht ganz so abgebrüht agieren wie Singer. 2005 und 2010 einigen sie sich mit der Regierung auf einen sogenannten Schuldenschnitt. Ein Drittel der Verbindlichkeiten soll zurückgezahlt werden. Zwei Drittel verfallen. So bekommen die Investoren zumindest einen Teil ihres Geldes zurück, während der argentinische Staat finanziellen Spielraum für die Zukunft erhält. 93 Prozent der Gläubiger stimmen den Deals zu. Sieben Prozent verweigern sich. Darunter NML Capital.
Die sieben Prozent sind seitdem eine tickende Zeitbombe, die nun, mit der Entscheidung des Supreme Courts, hochgegangen ist.
Das Land zahlte zuletzt brav seine Schulden - alles umsonst?
Die Explosion trifft Argentinien in labilem Zustand. Einerseits macht das Land nach Jahren des Wachstums wieder eine ökonomische Schwächephase durch. Andererseits versucht es trotzdem nach Kräften, seinen Verpflichtungen nachzukommen und den pleitebedingten Pariastatus abzustreifen.
Die nach dem "Haircut" auf ein Drittel verringerten Altschulden zahlt die Regierung bislang brav zurück. Den spanischen Energiekonzern Repsol hat sie nach der Zwangsverstaatlichung seiner Argentinien-Tochter finanziell entschädigt. Und auch mit den im "Pariser Club" versammelten staatlichen Gläubigern hat die argentinische Regierung Ende Mai endlich eine Übereinkunft zur Rückzahlung von Schulden erzielt.
Bis vergangene Woche standen die Chancen also gut, dass Argentinien trotz seiner Wirtschaftsprobleme die Kurve kriegt. Doch nun ist plötzlich alles anders.
Den Argentiniern bleiben nur "vier schmutzige Optionen", analysiert schonungslos der britische "Economist" in seiner aktuellen Ausgabe: 1. die Hedge-Fonds vollständig entschädigen; 2. sich mit den Hedge-Fonds einigen; 3. alle Staatsanleihen statt unter US-Recht unter argentinisches Recht stellen; oder 4. die Zahlungsunfähigkeit eingestehen.
- Option eins fällt aus. "No pasaran", hat Singers Gegenspieler, der argentinische Wirtschaftsminister Axel Kicillof, dieser Tage öffentlich verkündet - eine Parole, die so viel bedeutet wie: "Die anderen kommen damit nicht durch." Jetzt doch umzukippen, wäre innenpolitisch kaum vermittelbar.
- Mutmaßlich verheerend wäre derweil Option vier, auch wenn Argentiniens Regierung den Hedge-Fonds in den vergangenen Tagen offen mit diesem Szenario gedroht hat. Denn mit einem Zahlungsausfall droht Buenos Aires auf einen Schlag wieder der internationale Pariahstatus, "mit unkalkulierbaren Folgen wie Kapitalflucht, Währungsverfall, Inflation und Arbeitslosigkeit", wie Carsten Brzeski erläutert, Chefvolkswirt der ING Diba.
- Option drei? Ist nicht nur juristisch hochkomplex - sondern, glaubt man den Juristen, in der jetzigen Situation auch kaum praktikabel (weshalb wir hier auf die hochkomplexen Details verzichten).
- Bleibt Option zwei: verhandeln.
Seit Tagen belauern sich die Regierung und die Geier, signalisieren einerseits Gesprächsbereitschaft, stellen andererseits Bedingungen auf, die für die jeweils gegnerische Partei kaum zu akzeptieren sind. Vordergründig geht es um lediglich 1,3 Milliarden Dollar: Das ist das Geld, das der Supreme Court Singer und ein paar anderen Hedge-Fonds, die ebenfalls geklagt hatten, zugesprochen hat.
Doch die Kläger machen nur einen kleinen Teil jener sieben Prozent der Gläubiger aus, die sich 2005 und 2010 dem Schuldenschnitt verweigert hatten. Heißt: Zahlt Argentinien an Singer & Co., dann dürften unweigerlich auch die übrigen Verweigerer auf ihrem Geld beharren. Schon wäre man bei rund 15 Milliarden Dollar - eine kaum tragbare Summe, wenn man bedenkt, dass Argentiniens tauschfähige Währungsreserven laut der Investmentbank Natixis gerade mal 22,3 Milliarden Dollar betragen.
Doch auch das ist noch nicht alles. Denn im Moment ist zwar unwahrscheinlich, aber Juristen zufolge nicht ausgeschlossen, dass sogar jene 93 Prozent der Gläubiger eine vollständige Entschädigung einklagen könnten, die sich eigentlich beim Schuldenschnitt mit einem Drittel der Summe zufrieden gegeben hatten. Inklusive Zinsen müsste Argentinien dann rund 120 Milliarden Dollar berappen. Eine schiere Unmöglichkeit.
Paul Singer? Lässt zur Not auch staatliche Schiffe pfänden
Staatspleiten und "Haircuts" kommen zwar immer wieder mal vor, inklusive harter Auseinandersetzungen zwischen Regierungen und Gläubigern. Aber ein Fall, der sich derart zuspitzt - "das scheint mir ein ziemliches Novum zu sein", sagt Ökonom Brzeski.
Wie weit Singer im Kampf seines Lebens bereit ist zu gehen, das hat er in den vergangenen Jahren wiederholt bewiesen. Einmal ließ er einen argentinischen Regierungsjet pfänden. Ein andermal ließ er das Segelschulschiff der argentinischen Marine in Ghana festsetzen. Und auch auf staatliche Konten und Bestände argentinischer Museen versuchte er schon Zugriff zu bekommen.
Wie weit ihn seine Anlagestrategie gebracht hat, zeigt sich daran, dass die Hedge-Fonds seines Hauses mittlerweile auf ein Anlagekapital von 24 Milliarden Dollar kommen. Also mehr Geld, als sein Gegner, der argentinische Staat mit seinen 40 Millionen Einwohnern, an Währungsreserven besitzt.
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