BGHZ 156,
Betrachtet
man die Passagen einiger Urteilsbegründungen, entsteht der E indruck,
dass es ein
solches Prinzip gibt. So meinte bereits das Reichsgericht in
Bezug auf
einen dauerhaft abgeschlossenen Bierlieferungsvertrag: „Die Übernahme
einer
solchen Pflicht beschränkt aber wegen ihrer völligen zeitlichen
Unbegrenztheit
die Bekl in übermäßiger Weise in ihrer wirtschaftlichen und
gewerblichen
Freiheit und steht mit den Anschauungen des Verkehrs über das,
was billig
und gerecht ist, nicht im Einklang“37 Ähnlich formulierte das O LG
Stuttgart in
einem Urteil bezüglich eines langfristigen Anzeigenvertrags mit
einer
Zeitung: „Zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung
von
Dauerschuldverhältnissen im allgemeinen und Dienstvertrag im besonderen
gehört, daß
nach einem gewissen Zeitablauf jede Partei die Möglichkeit
haben muß,
sich durch ordentliche Kündigung einseitig vom Vertrag zu
lösen. Zwar
sind langfristige Verträge, auch Dienstverträge, zulässig, jedoch
nicht in der
Weise, daß sie zeitlich unbegrenzt gelten und nur mit Zustimmung
des anderen
Vertragsteils aufgelöst werden können“™ Auch die Literatur
meint
vereinzelt, dass unkündbare, ewige Schuldverhältnisse der Schuldrechtsordnung
fremd und
daher unzulässig seien ," weshalb auch Bedenken
gegen ewige
Anleihen bestünden.100
97
RGJW1927,119f.
98 OLG
Stuttgart OLGZ 1990,249 Rdn. 50.
99 Claussen,
Bankrecht, 1. Aufl. 1996, §8 Rdn. 43; vgl. auch Siebei (Fn. 3), S. 39
Fn. 158. -
100 Siebel
(Fn. 3), S. 39 Fn. 158.
101 BGH NJW 2007,295,296.
Sprechen
sonach keine Gründe gegen die unbegrenzte Laufzeit ewiger
Anleihen, stellt
sich abschließend die Frage, wie es sich mit dem Recht zur
außerordentlichen
Kündigung nach § 314 BGB verhält. Vereinzelt wird angezweifelt,
ob Anleihen
als Dauerschuldverhältnisse i.S.v. § 314 BGB angesehen
werden
können, und dagegen vorgebracht, dass sich aus ihnen während der
Vertragslaufzeit
nicht wiederholend neue Rechte und Pflichten beider Parteien
ergäben.149
Die Überlassung des Kapitals könne nicht als fortdauernde
Leistung des
Inhabers gewertet werden. 50 Außerdem stehe es dem Inhaber
frei, die
Anleihe zu veräußern, so dass es an der für die außerordentliche Kündigung
erforderlichen
Unzumutbarkeit eines Festhaltens am Vertrag fehle.151
Der erste
Einwand ist allerdings nicht überzeugend, weil die bloße Überlassung
von Vermögen
ohne Weiteres als Leistung in einem Dauerschuldverhält -
nis in Frage
kommt.152 Der zweite Einwand betrifft die Frage des Vorliegens
eines
außerordentlichen Kündigungsgrundes im konkreten Fall, stellt aber
nicht die
Eigenschaft als Dauerschuldverhältnis und damit die grundsätzliche
Anwendbarkeit
des § 314 BGB in Frage. Die ewige Anleihe ist daher als Dauerschuldverhältnis
i.S.v. § 314
BGB anzusehen.153
Fest steht
im Ausgangspunkt, dass § 314 BGB in seinem Kern zwingendes
Recht
darstellt154 und daher de lege lata in den Anleihebedingungen nicht abbedungen
werden kann.
Dem Vorschlag in dem Diskussionsentwurf zu einem
neuen
Schuldverschreibungsgesetz vom November 2004, bei ewigen Anleihen
auch den
Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts zuzulassen, ist
hingegen mit
Skepsis zu begegnen.155 Dies zum einen, weil das außerordentliche
Kündigungsrecht
des §314 BGB auf dem Rechtsgedanken des §242
BGB
beruht156 und es keinen Grund gibt, weshalb der Grundsatz von Treu
und Glauben
bei ewigen Anleihen nicht gelten sollte. Zum anderen besteht für
einen
Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts auch kein zwingendes
Bedürfnis,
weil durch dieses der Eigenkapitalcharakter nach IAS 32
nicht
gefährdet wird, wie sogleich zu zeigen ist. Einstweilen bleibt es aber ohnehin
dabei, dass
§ 314 BGB nach geltender Rechtslage nicht abdingbar ist.
Ein
vollständiger Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts findet
sich in den
Anleihebedingungen freilich auch nicht. Vielmehr werden die außerordentlichen
Kündigungsrechte
sowohl des Inhabers als auch des Emittenten
lediglich
konkretisiert. So enthalten die Anleihebedingungen zugunsten
des
Emittenten in der Regel spezielle Kündigungsrechte bei Eintritt von gross
up-,
Steuer-, Rechnungslegungs- und - soweit einschlägig - aufsichtsrechtlichen
Ereignissen,
wie oben bereits dargelegt wurde.157 Desgleichen sehen einige
Anleihebedingungen
ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Inhaber
im Fall der
Liquidation, der Zahlungsunfähigkeit bzw. des -Verzugs
oder der
Insolvenzeröffnung des Emittenten vor.158
149
Maier-Reimer, in: Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des
Schuldverschreibungsrechts,
2004, S.
129, 135.
150
Maier-Reimer (Fn. 149), S.129,135.
151
Maier-Reimer (¥n. 149), S.129,136.
152 BGHZ
119, 305 - Klöckner (Genussrechtsvertrag); BGH NJW 2002, 3237 (Überlassung
eines
Grundstücks); Grüneberg,, in: Palandt, BGB (Fn. 62), § 314 Rdn. 5.
153 Zur
Einordnung von Sozialpfandbriefen als Dauerschuldverhältnisse mit
außerordentlichem
Kündigungsrecht
LG Köln, ZIP 1994, 1520; auch der Diskussionsentwurf
zu einem
Schuldverschreibungsgesetz von November 2004 (Fn. 66), S. 41,
lehnt die
Auffassung, wonach Schuldverschreibungen keine Dauerschuldverhältnisse
darstellen
und folglich kein Kündigungsrecht nach § 314 BGB bestehen soll,
ausdrücklich
ab.
154
Einhellige Meinung vgl. nur RegBegr. zu § 314 BGB, BT-Drucks. 14/6040, S. 176;
Grüneberg
(Fn. 152), § 314 Rdn. 3; MünchKommBGB/G^er, 5. Aufl. 2007, § 314
Rdn. 4.
155
Diskussionsentwurf (Fn. 66) § 9 Abs. 2 sowie S. 42.
steuer156
BGHZ
41,104,108; LG Köln, ZIP 1994,1520. .
157 Siehe I.
158 Vgl.
Linde Finance B.V., § 9 der Anleihebedingungen (1.7. 2003).
159 Sester, ZBB 2006,443,451; Gaier (Fn. 154), § 314 Rdn. 4.
Nach
richtiger Ansicht muss hinsichtlich der Frage der Unzumutbarkeit
einer
Vertragsanpassung bzw. eines Festhaltens am Vertrag hier der Maßstab
des § 314
BGB gelten, der niedrigere Anforderungen stellt als derjenige
des Rechts
der Störung der Geschäftsgrundlage, da es sich bei dem Kündigungsrecht
in Bezug auf
ein Dauerschuldverhältnis um ein vertragsimmanentes
Lösungsrecht
handelt.170 Dies zugrunde gelegt, kann es dann dahinstehen,
ob man das
Kündigungsrecht § 314 BGB entnimmt oder § 313 Abs. 3 BG B .171
Der Umstand,
dass der Inhaber auf liquide Mittel angewiesen ist, kann danach
zweifellos
nicht zur Kündigung berechtigen, weil dies zu seiner persönlichen
Risikosphäre
gehört.172 Es wird ohnedies in einem solchen Fall bereits an
der für die
außerordentliche Kündigung erforderlichen Unzumutbarkeit eines
Festhaltens
am Vertrag fehlen, weil der Inhaber die Anleihe veräußern und auf
diese Weise
liquide Mittel erzielen kann.173 Auch eine Gefährdung von Gläubigerrechten
durch
Restrukturierung des Schuldners (z.B. Verschmelzung mit
einem
anderen Unternehmen) kann grundsätzlich nicht zu einem außerordentlichen
Kündigungsrecht
führen, sofern in diesen Fällen ein Anspruch auf
Sicherheitsleistung
nach § 22 UmwG in Betracht kommt.174
167 Ähnlich
wohl auch Lutter in Bezug auf Genussrechte, Lutter (Fn. 134), §221
Rdn. 271.
Dabei sind die Auswirkungen von Grundlagenentscheidungen auf Genussrechte
wegen deren
Gewinnabhängigkeit noch stärker als auf ewige Anleihen.
168 Dazu
Gaier (Fn. 154), § 314 Rdn. 14.
169
Grüneberg (Fn. 152), § 314 Rdn. 9; Gaier (Fn. 154), § 314 Rdn. 14.
170 BGHZ
133, 316 ff.; Grüneberg (Fn. 152), § 313 Rdn. 14.
171 Für
einen Vorrang des § 313 Abs. 3 BGB wohl Begr. RegE BT-Drucks 14/6040,
S. 177; für
einen differenzierenden Ansatz Gaier (Fn. 154), § 314 Rdn. 14 und Grüneberg
(Fn. 152), §
313 Rdn. 14.
172 Vgl. zum
Genussrecht Habersack (Fn. 19), § 221 AktG Rdn. 90; Lutter (Fn. 134),
§221 Rdn.
270.
173 So auch
Sester, ZBB 443, 451; ferner Lutter (Fn. 134), § 221 Rdn. 270 in Bezug auf
Genussrechte.
174 Gem. §
125 UmwG gilt § 22 UmwG für die Spaltung und gem. § 204 UmwG für
den Formwechsel entsprechend.
Aus:
Die
Unternehmensfinanzierung durch
ewige
Anleihen zwischen Gesellschaftsrecht
und
Bürgerlichem Recht
Von S te fan
Th omas
ZHR 171
(2007) 684-712
Ewige
Anleihen sind Finanzierungsinstrumente, die eine Zwitterstellung
zwischen
Eigenkapital und Fremdkapital einnehmen und daher sowohl mit
gesellschaftsrechtlichen
Prinzipien als auch mit allgemeinen schuldrechtlichen
Grundsätzen
im Einklang stehen müssen. Die Problematik ist dadurch gekennzeichnet,
dass
einerseits die Unkündbarkeit Voraussetzung für die Einstufung
als
Eigenkapital im Sinne der internationalen Rechnungslegung, des Ratings
und-soweit
einschlägig - des Aufsichtsrechts ist, andererseits die Investoren
ein
Interesse an der späteren Rückholbarkeit ihres Kapitals haben und infolgedessen
Vertragsmechanismen
erforderlich sind, die trotz der rechtlichen
Unkündbarkeit
nach einem bestimmten Zeitraum zu einer Rückzahlung führen.
Aus diesen
Zwängen betreffend die Laufzeit ergeben sich besonders gelagerte
Fragestellungen
hinsichtlich der zivilrechtlichen Wirksamkeit ewiger Anleihen
und der
Vereinbarung von Kündigungsrechten sowie der Möglichkeit
der
außerordentlichen Kündigung.
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