Die Beklagte kann sich den Klageforderungen gegenüber nicht auf einen völkerrechtlich
beachtlichen Staatsnotstand berufen.
a)
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 8.5.2007 (WM 2007,
1315) festgestellt, dass es keine allgemeine Regel des Völkerrechts gibt, die einem Staat
gegenüber Privatpersonen das Recht einräumt, die Erfüllung privatrechtlicher Zahlungsansprüche
mit dem Hinweis auf einen Staatsnotstand zu verweigern. Auf die tatsächliche
finanzielle Situation der Beklagten kommt es daher nicht an.
b)
Soweit die Beklagte auch unter Verweis auf das Gutachten in Anlage B9 geltend macht,
die Klägerin handele treuwidrig, weil sie sich nicht an der Umschuldung beteiligt haben,
führt dies nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Gläubiger, die einem außergerichtlichen
Sanierungsvergleich nicht zugestimmt haben, handeln grundsätzlich nicht
rechtsmissbräuchlich, wenn sie ihre Ansprüche gegen den Schuldner in vollem Umfang
geltend machen (BGH NJW 1992, 967). Die zwischen der Beklagten und den umschuldungsbereiten
Gläubigern getroffene Vereinbarung zur Umschuldung bindet nur die Gläubiger,
die diese geschlossen haben. Zwar wird vertreten, dass alle Gläubiger eine Gefahrengemeinschaft
bildeten, woraus sich dann einheitliche Rechtsfolgen für alle Gläubiger
ableiten lassen. Eine solche Gefahrengemeinschaft setzt aber zunächst eine Insolvenzer-
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Öffnung voraus, die es hier nicht gibt. Außerhalb der gesetzlich vorgesehen „Zwangsvergleiche"
kann durch die Rechtsprechung eine solche Rechtsfortbildung nicht erfolgen
(BGH aaO). Auch der Sache nach kann eine Treuwidrigkeit der Geltendmachung der Ansprüche
nicht festgestellt werden, da die für eine Gemeinschaft aller Insolvenzgläubiger
erforderliche „gemeinsame Beschlussfassung und Verwaltung“ nicht gegeben ist. Die Anlagegläubiger
der Beklagten haben keinerlei gesetzlich geregelte Einflussmöglichkeiten
auf die Bedingungen der Umschuldung gehabt, was eine Erstreckung der Umschuldungswirkungen
auch auf sie eventuell rechtfertigen könnte.
c)
Das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten vom 20. August 2013 (Anlage B3)
führt nicht dazu, dass von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
abzuweichen ist. Eine völker(gewohnheits)rechtliche Regelung, die der Stattgabe der Klage
entgegensteht, existiert weiterhin nicht. Weder besteht eine entsprechende Staatenpraxis
noch eine opinio iuris, was Voraussetzung für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht
wäre, noch ein entsprechender völkerrechtlicher Vertrag. Etwas anderes haben
auch die Gutachter nicht aufgezeigt. Vielmehr gilt: „Der Gang der Staaten auf die globalen
Finanzmärkte zur Finanzierung ihrer Staatshaushalte hat ... zur Folge, dass sie sich rechtlich
so behandeln lassen müssen wie auch jeder private Schuldner. Eine schrankenlose
einseitige Änderung von Kreditbedingungen durch einen Schuldner ist ausgeschlossen;
dies gilt für Staaten ebenso wie für private Schuldner" (Tietje, Schnitt mit Schaden, FAZ. v.
9.2.2012, zitiert nach www.faz.net).
Eine anderweitige völkerrechtliche Regelung folgt zunächst nicht aus einem multilateralen
Übereinkommen über ein Insolvenzrecht für Staaten. Ein solches Übereinkommen unter
Einschluss Argentiniens wurde bislang nicht abgeschlossen. Dies scheiterte am fehlenden
Konsens in der Staatengemeinschaft (ebenso Tietje, Die Argentinien-Krise aus rechtlicher
Sicht, 2005, S. 20). Dieser nach wie vor fehlende Konsens in der Staatengemeinschaft
symbolisiert zugleich, dass es auch an einer opinio iuris fehlt, wie sie Voraussetzung für
die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht wäre.
Eine entsprechende Regelung lässt sich auch nicht dem völkerrechtlichen zwingenden
Recht (ius cogens) entnehmen (vgl. S. 15 des Gutachtens). Zwar hat die Staatengemeinschaft
einschließlich der Bundesrepublik Deutschland ggf. die Verpflichtung, Verstöße gegen
das völkerrechtliche ius cogens zu verhindern. Art. 53 der Wiener Vertragsrechtskon-
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vention enthält hierzu folgende Definition1. „Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine
zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen
Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm,
von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen
Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“ Das ius cogens umfasst
namentlich das Verbot des Völkermordes und des Sklavenhandels, das Verbot der willkürlichen
Tötung sowie das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung (vgl. grundlegend
zum ius cogens Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, Berlin 1992).
Die Beklagte hat indes nicht aufgezeigt, dass im Falle einer Stattgabe der Klage ein Verstoß
gegen völkerrechtliches ius cogens droht Im Übrigen träfen etwaige Verpflichtungen
in erster Linie Argentinien. Selbst wenn ein Verstoß gegen ius cogens in Betracht käme,
hätte die Bundesrepublik einen Handlungsspielraum bei der Frage, in welcher Weise sie
Verstößen gegen das ius cogens begegnen möchte. So könnte die Bundesrepublik einer
etwaigen humanitären Katastrophe in Argentinien (welche von der Beklagte nicht aufgezeigt
wurde) im Wege der Entwicklungshilfe Vorbeugen. Es besteht keine rechtliche Veranlassung,
den Inhabern von Argentinien-Anleihen insoweit ein Sonderopfer aufzuerlegen.
Soweit sich die Gutachter zur Stützung ihrer Ansicht auf das Konzept der „responsibility to
protect“ berufen, vermag sich der erkennende Richter diesem Argument ebenfalls nicht
anzuschließen. Der Begriff der responsibility to protect (vgl. hierzu grundlegend Verlage,
Responsibility to Protect, Tübingen 2009) erlebte insbesondere dadurch einen Aufschwung,
dass nicht alle Staaten das Rechtsinstitut der sog. humanitären Intervention
(ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats) anerkennen, auf das die militärische Intervention
im Kosovo (1999) gestützt war. Vor diesem Hintergrund wurde nach anderen völkerrechtlichen
Wegen gesucht, um schwerwiegenden humanitären Missständen abzuhelfen. Beim
Konzept der responsibility to protect geht es vor allem darum, Völkermord, Kriegsverbrechen,
ethnische Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu unterbinden.
Eine Übertragung auf die Verpflichtung Argentiniens, seine Staatsanleihen zurückzuzahlen,
würde das Konzept der responsibility to protect überdehnen.
Soweit die Gutachter zur Begründung ihrer Ansicht auf Investitionsschutzverträge abstellen
(S. 17), überzeugt dies ebenfalls nicht. Der Zweck von Investitionsschutzverträgen liegt
vor allem darin, Investoren zu schützen, indem man ihnen das Recht einräumt, im Falle
einer Enteignung ihres Eigentums den verantwortlichen Staat vor einem internationalen
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Schiedsgericht zu verklagen. Die Rechte der Investoren werden durch Investitionsschutzverträge
gestärkt (ebenso Tietje, Die Argentinien-Krise aus rechtlicher Sicht, 2005, S. 15).
Würde man annehmen, dass sich daraus eine Verpflichtung von Anleihegläubigern herleiten
ließe, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten, würden die Rechte der Investoren
nicht gestärkt, sondern geschwächt. Der Zweck eines Investitionsschutzvertrages
würde in sein Gegenteil verkehrt.
Soweit das Gutachten darauf verweist, in der EU seien gemäß Art. 12 Abs. 3 des Vertrages
über den Europäischen Stabilitätsmechanismus „collective action clauses" vorgesehen,
führt dies ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Da Argentinien nicht Mitglied
der EU ist, ist Argentinien durch diese Regelungen rechtlich nicht betroffen (vgl. die Wiener
Vertragsrechtskonvention). Aus der zunehmenden Verbreitung von collective action
clauses lässt sich ebenfalls kein Rückschluss auf eine völkerrechtliche Verpflichtung zur
Verwendung solcher Klauseln herleiten. Zunächst erscheint es fraglich, ob die Verbreitung
der entsprechenden Klauseln wirklich so umfassend ist wie von den Gutachtern angenommen
wird (a.A. jedenfalls Tietje, FAZ. vom 9.2.2012: „nur an vereinzelten Börsenplätzen“).
Ungeachtet dessen kann aus der zunehmenden Verwendung allenfalls ein Schluss
darauf gezogen werden, dass die Verwendung völkerrechtlich zulässig ist, nicht aber darauf,
dass sie völkerrechtlich verpflichtend ist. Es hätte Argentinien freigestanden, ebenfalls
solche Klauseln zu verwenden, wovon es jedoch Abstand genommen hatte.
Auch die weiteren Ausführungen im Gutachten überzeugen nicht. So verweist das Gutachten
zur Begründung des angenommenen Völkergewohnheitsrechts auf beigefügte „Consolidated
Principies on Promoting Responsible Sovereign Lending and Borrowing“. Doch
stellt dieses Dokument in der Einleitung klar, dass die im Dokument erwähnten Prinzipien
lediglich zur Diskussion gestellt werden sollen („these principies are still open for discussion“).
Es handelt sich um ein Dokument ohne rechtskonstituierende Bedeutung.
Das Rechtsgutachten ist dadurch gekennzeichnet, dass es ohne Berücksichtigung völkerrechtlicher
Gegenargumente darauf ausgerichtet ist, ein bestimmtes Ergebnis zu begründen.
Zu diesem Zweck werden völkerrechtliche Argumente aus anders gelagerten Zusammenhängen
entnommen, in ihrer Aussagekraft teilweise in das Gegenteil verkehrt und
zur vermeintlichen Stützung des postulierten Ergebnisses herangezogen. Auch die weiteren
Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 9.12.2013 ändern daran nichts.
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Zugleich sind damit die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
nicht gegeben.
d)
Ein allgemeines völkerrechtliches Rechtsprinzip, nach dem Gläubiger von Staatsanleihen
verpflichtet wären, auf einen Teil ihrer Ansprüche zu verzichten, existiert nicht. Dieses besteht
bereits nicht in Deutschland; so ist in § 12 InsO geregelt, dass der Bund insolvenzunfähig
ist. Ebenso wenig existiert es auf völkerrechtlicher Ebene,
Auch das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Juni 2014 (Anlage B9) führt
nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Es ist von dem rechtspolitischen Ziel des
Verfassers getragen, „dem ordnungspolitisch ungewünschten Verhalten der Holdout-
Gläubiger einen Riegel vorzuschieben" (S. 18). Doch gehört es nicht zu den Aufgaben
staatlicher Gerichte, rechtspolitische Ziele zu verfolgen. Der Autor argumentiert, nach einem
allgemeinen Rechtsprinzip stehe dem „unkooperativen" Verhalten der Gläubiger, die
als „Trittbrettfahrer" angesehen werden könnten, der Grundsatz von Treu und Glauben
entgegen. Bei der Herleitung dieses Ergebnisses stützt er sich weitgehend auf „Soft Law",
dem keine rechtskonstituierende Bedeutung zukommt, und überträgt Grundsätze zu privaten
Insolvenzen auf anders gelagerte staatliche Insolvenzen (S. 25 f). Der Autor räumt ein:
„Bislang gibt es keine praktische Handhabe, um Gläubiger effektiv zur Kooperation zu bewegen"
(S. 14), außerdem das „Fehlen eines verpflichtenden Insolvenzmechanismus“ (S.
15) und: „Bislang hat kein Gericht einem Schuldnerstaat eine dauerhafte Einrede gegen
Holdout-Gläubiger wegen Rechtsmissbräuchlichkeit zugestanden" (S. 31). Diese vom Autor
eingeräumten Umstände verdeutlichen, dass die vom Autor postulierten Grundsätze
nicht dem geltenden Recht entsprechen, sondern dem Bereich der Rechtspolitik zuzuordnen
sind. Stattdessen gilt, was der Autor des Gutachtens bei anderer Gelegenheit zur
Leistungsfähigkeit des von ihm verfolgten öffentlich-rechtlichen Ansatzes in Zusammenhang
mit der Entwicklung eines zukünftigen rechtlichen Rahmen zur Restrukturierung von
Staatsschulden ausgeführt hat: “Der öffentlich-rechtliche Ansatz kann zur Entwicklung dieses
rechtlichen Rahmens wertvolle Beiträge leisten. Er bildet ein argumentatives Reservoir,
mit dessen Hilfe sich Rechtsnormen zur Erhöhung der Legitimität und Effektivität von
Restrukturierungen begründen lassen. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die Rechtswissenschaft allein nicht dazu in der Lage ist, ein solches rechtliches
Rahmenwerk zu entwerfen, da von ihm erhebliche distributive Auswirkungen zu erwarten
sind, für die es keinen allgemeingültigen Maßstab gibt. Dafür bedarf es eines politischen
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Prozesses" (ZaöRV 2013, S. 102). Dem ist nichts hinzuzufügen. Ein Insolvenzrecht für
Staaten kann nicht durch ein rechtswissenschaftliches Gutachten eingeführt werden, sondern
bedarf politischer Entscheidung.
6)
Die Kostenentscheidung beruht au
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