Nach mehreren Anläufen hat der Ölpreis die psychologisch wichtige Marke von 50 Dollar je Barrel übersprungen. Holger Zschäpitz, Wirtschafts-Experte der "Welt", schätzt die Situation im Studio ein.Quelle: Die Welt
Einmal in der Woche schaut die Finanzwelt auf Cushing, eine Kleinstadt im Süden der USA – 8400 Einwohner, ein Gefängnis, ein paar Bauernhöfe. Dort befindet sich, umgeben von Feldern und Weideland, das wichtigste Öllager des Landes. Die Pegelstände in den Silos, die immer mittwochs veröffentlicht werden, sind entscheidend für die globalen Rohstoffpreise: Je höher die Reserven in Cushing, desto höher das weltweite Angebot – so lautet das Kalkül der Investoren. Bis Anfang Mai füllten sich die Tanks, bis sie fast überliefen. Nun deutet sich eine Wende an: Erstmals gingen die Lagerbestände wieder zurück.
Am Donnerstag – dem Tag nach der Meldung aus der Kleinstadt – hat der Ölpreis daher eine zentrale Marke übersprungen: Ein Fass der Nordseesorte Brent kostete erstmals seit sieben Monaten wieder mehr als 50 Dollar. Das ist ein neuer Höhepunkt des Aufwärtstrends, der im Januar begann. Um 80 Prozent ging es seither nach oben.
Zuvor waren die Preise stark eingebrochen. Wegen des weltweiten Überangebots gingen sie in den vergangenen beiden Jahren zeitweise um drei Viertel zurück. Im Januar fielen sie bis auf unter 30 Dollar und damit den tiefsten Stand seit 2003.
Heizöl so teuer wie seit November 2015 nicht mehr
Deutsche Verbraucher trifft die Trendwende spürbar. 100 Liter Heizöl kosten jetzt wieder deutlich mehr als 50 Euro – der höchste Stand seit November vergangenen Jahres. Selbst für viele Experten kommt die neue Hausse überraschend. Schließlich hatte sich das Ölkartell Opec im April nicht auf eine Beschränkung der Fördermenge einigen können. Insbesondere Saudi-Arabien und der Iran wollten ihre Quoten nicht einfrieren, sondern fördern wie bisher oder sogar noch mehr. Zuletzt hatte das saudische Königshaus sogar den eigenen Ölminister gefeuert, weil der sich gegen eine Ausweitung der Ölproduktion ausgesprochen haben soll.
Aber genau das plant der saudische stellvertretende Kronprinz Mohammed Bin Salman, um den Konkurrenten Iran ökonomisch kleinzuhalten und gleichzeitig die eigene Stärke zu demonstrieren. Im kommenden Jahr will die Herrscherfamilie in Riad den Ölkonzern Saudi Aramco an die Börse bringen – da soll die Leistungsfähigkeit durch hohe Quoten unterstrichen werden.
Für viele Analysten war der Streit innerhalb der Opec eigentlich ein Zeichen dafür, dass die globale Ölflut bestehen und die Preise niedrig bleiben würden. Die Marke von 50 Dollar sollte frühestens Anfang des kommenden Jahres erreicht werden. Das lässt sich an den Prognosen der Analysten ablesen, die der Datenanbieter Bloomberg gesammelt hat.
Noch verdutzter sind die Händler an den Terminmärkten. Diese hatten 50 Dollar nicht vor dem Jahr 2020 erwartet. Jetzt ist der Preis schneller gestiegen – vor allem, weil die Amerikaner Bohrtürme schließen und weniger Öl produzieren.
Lagerbestände stärker verringert als berechnet
Analysten hat die Dynamik überrascht. Eine Reihe von Daten hat die Energiemärkte durchgeschüttelt. So haben sich die amerikanischen Lagerbestände in der vergangenen Woche um 4,2 Millionen auf 537,1 Millionen Barrel verringert. Hier hatten die Experten lediglich mit einem Rückgang von 2,5 Millionen Barrel gerechnet. Es war der zweite stärkere Einbruch, nachdem die Pegelstände zuvor monatelang gestiegen waren. Einige Händler sehen darin eine Trendwende.
Die lange Zeit niedrigen Ölpreise zwangen viele Unternehmen dazu, Bohrungen mit hohen Förderkosten zu stoppen. Betroffen waren hiervon vor allem US-Firmen, die das Öl mithilfe des technisch aufwendigen Fracking-Verfahrens aus Schiefergestein herauslösen.
Ablesen lässt sich das an der Zahl der Bohrtürme. Die war in der vergangenen Woche mit 404 Förderanlagen auf den tiefsten Stand seit Beginn des amerikanischen Ölbooms 1865 gefallen. Die USA hatten zwischen 2009 und 2015 ihre Produktion mehr als verdoppelt. Zeitweise holten die Amerikaner genauso viel aus dem Boden wie Saudi-Arabien. Doch inzwischen ist die Förderung wieder deutlich zurückgegangen. Statt knapp zehn Millionen Barrel werden nur noch gut neun Millionen täglich produziert.
Aber nicht allein die Amerikaner sind für die Preisrally verantwortlich. Begünstigt wurde sie auch von Produktionsausfällen in Nigeria, Venezuela und den Waldbrandgebieten Kanadas. Die Experten von Goldman Sachs sagten für Mai sogar einen Angebotsengpass voraus.
Doch viele Experten trauen dem Preisanstieg nicht über den Weg. "Die Rally wird nicht anhalten, denn die Preise werden ein Niveau erreichen, das US-Schieferöl in den Markt zurückbringt", sagt Jonathan Barratt, Chefanleger des Vermögensverwalters Ayers Alliance.
Ein erster Härtetest steht den Energiemärkten bereits in der kommenden Woche bevor. Am Donnerstag treffen sich die Ölminister der Opec-Staaten in Wien zu ihrer regulären Sommersitzung. Experten rechnen insbesondere wegen des Machtkampfs zwischen Saudi-Arabien und dem Iran nicht damit, dass sich das Kartell auf feste Förderquoten verständigt. Das könnte den Preisen einen Schlag versetzen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen