Vereinigte StaatenDas Land der unbegrenzten Steuertricks
Mit brutaler Entschlossenheit haben die Vereinigten Staaten andere Länder dazu gebracht, Steueroasen auszutrocknen. Die eigenen aber verschonen die Amerikaner. Ist das alles ein abgekartetes Spiel?
15.05.2016, von WINAND VON PETERSDORFF
© AFPBesonderes Verhältnis zum Geld: Nevada mit der Zockerhauptstadt Las Vegas ist ein Paradies für Glücksspieler und Briefkastenfirmen.
Hören Sie das gigantische Sauggeräusch?“, fragt Peter Cotorceanu. „Es ist das Geräusch des Geldes, das nach Amerika strömt.“ Zu vernehmen sei es an den diskreten Finanzplätzen, sagt der Anwalt für internationales Steuerrecht. Die Quellen des Geldes seien die Schweiz, Singapur oder Hongkong. Von dort fließe das Geld dorthin, wo es sich vor Nachstellungen am sichersten fühlen kann: in die Vereinigten Staaten. Und irgendwo in der Schweiz dürfte gerade ein geschasster Banker sitzen, der grimmig lachen muss über diesen Treppenwitz.
Denn die Vereinigten Staaten haben das Schweizer Bankgeheimnis zerstört und die Bankgeheimnisse der meisten anderen Länder gleich mit. Sie zwangen Finanzinstitute in aller Welt, die Kontodaten der amerikanischen Klienten preiszugeben mit dem hehren Ziel, die Steuerehrlichkeit herzustellen.
Nur Amerika entzieht sich der Regulierung
Jetzt findet das aufgescheuchte Kapital seinen sicheren Unterschlupf ausgerechnet in Amerika. Die Vereinigten Staaten sind heute der beste Platz der Welt, um sein Vermögen zu verbergen. Das war nicht so geplant, auch nicht von den Amerikanern, glaubt zumindest Cotorceanu, der Steueranwalt mit Zulassungen in der Schweiz und den Vereinigten Staaten. Aber so ist es gekommen.
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Amerika ist allerdings nicht plötzlich zum Steuerparadies geworden, es war schon länger eines. Nur kristallisiert sich diese Eigenart des Landes jetzt mit greller Klarheit heraus, weil so viele Länder, deren Geschäfte auf Geheimnistuerei beruhten, heute transparenter geworden sind. Zuletzt hat ausgerechnet Panama erklärt, sich an internationale Transparenzregeln halten zu wollen.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordiniert die Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft, Geldwäsche, Steuerflucht und Korruption auszurotten. Sie schickt gerade eine Jubelmeldung nach der anderen heraus. Zuletzt kam die Mitteilung, dass neben Panama sich nun auch Nauru, der Libanon, Vanuatu und Bahrein dem internationalen Standard zum automatischen jährlichen Austausch von Kontodaten mit anderen Ländern beugen. Damit sind jetzt 101 Länder dabei. Amerika ist es nicht. Die OECD zögert trotzdem, dem Land den Stempel Steueroase aufzudrücken: weil der Fiskus wirklich „tough“ sei, auf Anfrage durchaus Daten preisgebe und Banken zwingen wolle, die wahren Eigentümer von Briefkastenfirmen-Konten zu verraten, sagt der OECD-Steuerexperte Pascal Saint-Amans.
Auf einer Linie mit Eritrea
Dazu kommt, dass gerade die Vereinigten Staaten der Weltöffentlichkeit gezeigt haben, wie man Steuergeheimnisse knackt – mit Fatca nämlich. Das ist das Kürzel für den Foreign Account Tax Compliance Act oder kurz Amerikas internationales Steuerrecht, das vor allem durch seine erstaunliche Reichweite weit über die eigenen Landesgrenzen auffällig ist.
Fatca ist selbst in gewisser Weise die Frucht einer kontroversen Regel, der zufolge Amerika nicht nur das dort erwirtschaftete Einkommen seiner Bürger und Bewohner versteuert, sondern deren weltweite Erträge. Mit diesem besitzergreifenden Globalanspruch liegt das Land voll auf einer Linie mit der Militärdiktatur Eritrea – und sonst mit kaum einer anderer Nation. Immer mehr Amerikaner, die im Ausland leben, geben wegen dieser Doppelbesteuerung ihren Pass ab. Ein deutsch-amerikanischer Anwalt, der in einer deutschen Großstadt praktiziert, plant das für dieses Jahr. Jedes Jahr macht der Mann zwei Steuererklärungen und muss für seinen amerikanischen Steuerberater dreimal so viel zahlen wie für den Deutschen. Dazu komme ein riesiger bürokratischer Aufwand. Und schließlich ist der Fiskus aus seiner Sicht unberechenbar, was ihn nicht hindere, bei falschen Deklarationen gewaltige Strafen zu erheben. Der Anwalt sagt goodbye zu seiner alten Heimat.
Drohung mit Quellensteuer zeigte Wirkung
Das 2014 in Kraft gesetzte Fatca-Gesetz zwingt unter Androhung von Sanktionen Leute in anderen, eigentlich souveränen Jurisdiktionen, genau das zu tun, was der amerikanische Gesetzgeber verlangt. Und aus dessen Perspektive darf man sagen: Es hat bisher bestens funktioniert. Mehr als 80 Länder und 77.000 Finanzinstitutionen haben mit Amerika vereinbart, dass sie die Kontodaten der amerikanischen Klientel liefern. Alle wichtigen Länder machen mit, auch klassische Steuerparadiese. Sie verraten dem amerikanischen Fiskus ihre amerikanischen Kunden, egal aus welchen Quellen diese ihre Einkommen beziehen. Und wenn diese versuchen, ihre Konten durch Briefkastenfirmen zu tarnen, dann werden sie von den Banken durchleuchtet, die Namen der Eigentümer oder kontrollierenden Manager werden gemeldet. In Deutschland sieht die Praxis so aus, dass die Banken alle in Amerika Steuerpflichtigen unmissverständlich zwingen, ihr Wertpapierkonto aufzugeben. Sie wollen den Stress mit dem amerikanischen Fiskus nicht.
Man muss nicht lange rätseln, wie die Vereinigten Staaten die ausländischen Banken zum Mitmachen bewegen konnten: Jedes Finanzinstitut, das sich Fatca verweigert, wird mit einer Quellensteuer in Höhe von 30 Prozent auf Erträge aus amerikanischen Wertpapieren, Fonds und anderen Finanzinstrumenten belegt. Die Androhung wirkt. Die größere Herausforderung war allerdings, die Länder zu Gesetzesänderungen zu zwingen, die es ihnen erlauben, private Daten an andere Länder zu geben. Das hat geklappt, weil man Amerika nichts abschlagen will und weil die Regierung Ländern Reziprozität in Aussicht gestellt hat. Deutschland etwa, so das Versprechen, bekommt im Gegenzug Auskünfte über seine Bürger, die ihr Geld in Amerika versteckt haben. Theoretisch.
Amerikaner wollen keinen globalen Austausch von Kontodaten
Praktisch aber kann jeder, der in Amerika ist, die Offenlegungspflichten umgehen. Von Reziprozität kann keine Rede sein. „Nichtamerikaner, die ihre Finanzinformationen mit ganz ehrlichen Motiven privat halten wollen, haben kein Problem, das in Amerika zu tun“, versichert Anwalt Cotorceanu. Die Amerikaner melden ihren Partnerländern nichts, wenn die Konten von (Briefkasten-)Unternehmen oder Stiftungen statt von Privatpersonen gehalten werden oder wenn die Konten keine Erträge aus amerikanischen Quellen aufweisen. Inzwischen bieten Banken Ausländern zinslose Girokonten an, die auch nicht berichtspflichtig sind.
Dazu kommt, dass die Amerikaner die Mitwirkung an der globalen Initiative zum Austausch von Kontodaten verweigern mit dem Hinweis, man brauche das nicht, man habe ja Fatca. Somit ist alles gerichtet für die gedeihliche Entwicklung amerikanischen Finanzplätze und ihrer Steuerhäfen in Delaware, Wyoming, Nevada oder South Dakota. Das Geld fließt, sagen Eingeweihte.
Brutale Entschlossenheit
Deutlich wird die brutale Entschlossenheit der Vereinigten Staaten, ihren Rechtsvorstellungen über die eigenen Grenzen hinweg Geltung zu verschaffen. Man kennt das schon: Fatca wurde möglich dank der Vorarbeiten des UBS-Bankiers Bradley Birkenfeld. Er verriet dem amerikanischen Fiskus im Detail, wie die UBS ihren reichen amerikanischen Klienten bei der Steuerhinterziehung half. Der Bank drohten Beschlagnahmung ihrer amerikanischen Besitzungen und der Entzug ihrer amerikanischen Banklizenz. Die UBS willigte in einen Vergleich ein, der unter anderem die Preisgabe der Kontoinformationen der amerikanischen Kundendaten und eine hohe Strafe vorsah.
Die kleine Wegelin-Bank bekam keinen Deal angeboten, bekannte sich 2013 vor einem New Yorker Gericht schuldig und stellte danach den Bankbetrieb nach 272 Jahren ein. Nach diesem Schock vereinbarten alle Schweizer Banken Deals mit der amerikanischen Justiz: Kontendaten gegen Ruhe vor weiterer Verfolgung. Nach der Durchlöcherung des Schweizer Bankgeheimnisses kann sich die amerikanische Justiz nun Zielen jenseits der Schweiz zuwenden. Zwei Finanzinstitute von den Cayman-Inseln bekannten sich im März vor einem New Yorker Gericht der Konspiration mit amerikanischen Kunden zum Zwecke der Steuerhinterziehung schuldig. In einem weiteren Fall verlangt das Justizministerium von der UBS die Preisgabe von Kontoinformationen aus einer Filiale in Singapur. Da ist das Geld nun auch dort nicht mehr sicher, so scheint es.
Die amerikanische Justiz habe dank eingesackter Geldstrafen die Mittel, die Verfolgung international auszuweiten, sagt der New Yorker Steueranwalt Asher Rubinstein. Und dank der Kontendaten vor allem aus der Schweiz wisse sie auch, wo sie suchen müsse: in Israel, in Singapur, in Dubai, Hongkong und Panama.
Bei eigenen Banken wird weggeschaut
Die brutale Entschlossenheit der Amerikaner bei der Durchsetzung ihrer Vorstellungen beschränkt sich allerdings nicht auf Steuerhinterziehung. Im Mai des letzten Jahres zahlte die französische BNP Paribas der amerikanischen Regierung die letzte Tranche der höchsten Strafe, die je verhängt wurde: neun Milliarden Dollar. Die Bank hatte amerikanische Sanktionsregeln, aber nach Ermittlungen der französischen Zentralbank keine europäischen Gesetze gebrochen. Der Fall empörte die französische Politik, die die Strafe als unangemessen hoch ansah. Amerikas Druckmittel blieb am Ende offenbar erfolgreich. Man drohte damit, der französischen Bank das Dollar-Clearing -Privileg zu nehmen: die Erlaubnis, Dollar in die Vereinigten Staaten hinein und aus den Vereinigten Staaten heraus zu transferieren. Die hohen Strafen oder Vergleichssummen, die die Amerikaner regelmäßig für Vergehen aller Art von europäischen Finanzinstituten erzwingen, haben sogar die EZB aufgeschreckt, die sich öffentlich Sorgen um die Gesundheit der Institute machte.
Bemerkenswerterweise finden die Amerikaner auch immer einen Weg, ihre extraterritorialen Justizaktivitäten zu rechtfertigen. „Wenn du mit deinem korrupten Unternehmen deinen Fuß auf unseren Boden setzt, sei es für ein Treffen oder sei es, dass du unser großartige Finanzsystem nutzt, dann wirst du haftbar gemacht.“ Der Satz stammt von dem FBI-Chef James Comey. Er hatte damit der verblüfften Weltöffentlichkeit erklärt, warum ausgerechnet die Vereinigten Staaten die Korruption der Fifa verfolgen. Die Verdächtigen hatten Dollar und amerikanische Banken genutzt. Das reicht für die amerikanische Justiz.
Die amerikanische Politik dagegen ist weniger rigoros, besonders wenn es um die wirtschaftlichen Interessen amerikanischer Unternehmen und Banken geht. Der von Republikanern beherrschte Kongress macht keine Anstalten, Banken zu zwingen, mehr Informationen über ihre Kunden mit anderen Ländern zu teilen. Vor allem Abgeordnete aus Florida stellen sich quer. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in Miamis Banken viel undeklariertes Geld aus Lateinamerika lagert.
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