AnalyseWie die Banken mit den Steuern tricksen
Kennen Sie Cum-Cum und Cum-Ex? Zwielichtige Aktiengeschäfte haben den Fiskus um Milliarden gebracht. Und die teilverstaatlichte Commerzbank steckt mitten drin.
08.05.2016, von CORINNA BUDRAS
Steuertricks waren lange Zeit etwas für Fachleute, jetzt interessieren sie auch die Öffentlichkeit. Um genau zu sein: den Steuerzahler. Denn der muss damit leben, dass er der Doofe ist, der ständig zahlt. Und andere nicht, weil sie es besser wissen. Deshalb beginnt der Steuerzahler plötzlich, sich auch für so etwas Abstraktes wie Dividendendeals zu interessieren. Denn dort gibt es besonders viele Tricksereien – und offensichtlich auch solche, in die selbst anständige Banken wie die Commerzbank verwickelt sind. Wobei die Commerzbank vor allem deshalb als anständig gilt, weil sie seit der Finanzkrise Geld von ebenjenem Steuerzahler kassiert. Da hat die Öffentlichkeit irgendwie erwartet, dass das Geldinstitut dem Staat nicht auch noch Einnahmen entzieht.
Doch das war ein wenig naiv gedacht. Wenn es ums Steuersparen geht, steht auch die Commerzbank ihren Kunden beiseite. In der vergangenen Woche kam heraus, dass die Commerzbank an sogenannten „Cum-Cum-Geschäften“ beteiligt gewesen sein soll. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Dabei hilft die Bank einem ausländischen Investor, Steuern zu sparen, und verdient daran ganz ordentlich. Es ist durchaus sinnvoll, vom Ergebnis her zu denken, denn der Weg dorthin ist sehr kompliziert und selbst für Gerichte kaum zu durchschauen. Es geht um Aktiengeschäfte, die immer dann besonders beliebt sind, wenn der Stichtag für die Dividende naht, also am Tag nach der Hauptversammlung. Vorher und nachher wird geschachert, was das Zeug hält.
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Das Wörtchen „cum“ (lateinisch für „mit“) spielt dabei eine tragende Rolle. Aktien mit Dividendenbeteiligung werden nämlich „cum dividend“ gehandelt. Wird die Aktie dagegen am Tag nach der Hauptversammlung gekauft, besteht kein Anspruch auf die Dividende, die Aktie wird dann „ex dividend“ gehandelt, deshalb sind die Kurse zu diesem Zeitpunkt meist niedriger. Jeder, der eine Dividende erhält, muss dafür eine Kapitalertragssteuer abführen. Die kann er sich unter bestimmten Umständen vom Fiskus wiederholen. Kein Wunder, dass diese Geschäfte lukrativ sein können.
Der Fiskus hat das Nachsehen
Besonders lukrativ sind sie für deutsche Banken wie die Commerzbank, wenn ein ausländischer Investor solche Aktien hält, weil dieser vom deutschen Steuerrecht diskriminiert wird. Anders als inländische Steuerzahler kann er sich die Kapitalertragsteuer allenfalls teilweise wieder holen und braucht deshalb einen deutschen Geschäftspartner dafür. Der Trick: Kurz vor der Zahlung der Dividende verleiht ein ausländischer Anleger seine Aktien an einen deutschen Investor wie die Commerzbank. Der zahlt zwar 25 Prozent Kapitalertragsteuer, kann diese aber mit anderen Einkünften verrechnen und seine Steuerlast damit auf nahezu null drücken. Das Geld teilen sich dann die Commerzbank und der ausländische Geschäftspartner. Der Fiskus hat das Nachsehen.
Ist das legal? Die Antwort, die selbst Bundesfinanzminister Wolfgang Schäublefür plausibel hält, lautet „ja“, weshalb die Aufregung über das Geschäftsgebaren der Commerzbank eher moralischer Natur ist. Nachdem in der vergangenen Woche die Diskussion um solche Deals entbrannt ist, hat Schäuble dieses Verhalten zwar kritisiert, aber die entgangenen Steuereinnahmen für verloren erklärt. Grund dafür dürfte auch sein, dass das Verhalten des Gesetzgebers bei der Besteuerung dieser Deals auch nicht ganz unumstritten ist, schließlich behandelt er ausländische Investoren schlechter als inländische. Der Gesetzgeber rettet sich deshalb lieber damit, solche Geschäfte rückwirkend zum 1. Januar 2016 erheblich zu erschweren.
Zwielichtige Geschäfte
Der Aufschrei der vergangenen Woche aber kam wohl auch deshalb zustande, weil diese Deals ganz erheblich an die schmuddelige größere Schwester erinnern, den „Cum-Ex-Geschäften“, die kurz vor und kurz nach der Dividendenzahlung stattfinden. Jetzt kam heraus, dass sich die Commerzbank womöglich auch an solchen Deals beteiligt war wie so viele andere Banken auch. Dem deutschen Fiskus sollen auf diesem Wege in den vergangenen Jahren Steuereinnahmen von mehr als zehn Milliarden Euro entgangen sein. Dabei werden die Aktien zum Dividendenstichtag mehrmals verschoben, sodass unklar ist, wem die Aktien bei Auszahlung der Dividende gehören. Mit dabei sind stets auch Leerverkäufer, welche die Aktien nur weiterreichen, ohne sie jemals besessen zu haben. Das macht die Situation besonders unübersichtlich.
Obwohl die Kapitalertragssteuer nur einmal bezahlt wurde, reklamieren mehrere Investoren die Steuerrückzahlung für sich. Kritiker werfen ihnen vor, sich zu diesen zwielichtigen Geschäften verabredet zu haben, um die Steuerrückzahlung mehrfach zu kassieren.
Das klingt nach einer eindeutigen Sache, doch solche Deals sind schwer zu bewerten, weil in den Zeiten der Massenabwicklung die einzelnen Geschäfte kaum mehr nachzuvollziehen sind. Nur die Handelsströme als Ganzes tauchen in den Abrechnungen auf. Außerdem ist noch nicht einmal klar, ob diese Geschäfte sogar einmal mit dem Willen des Gesetzgebers geschahen und deshalb womöglich sogar legal waren. Das mag bizarr anmuten, aber es ist noch nicht so lange her, da war Steuervermeidung allenfalls ein Kavaliersdelikt. Besonders bei komplizierten Konstrukten schaute der Fiskus nicht immer genau hin, auch weil er den Handel nicht unnötig stören wollte.
„Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten“
Doch das hat sich in den vergangenen Jahren gehörig gewandelt. Jetzt wird jede Steuerschuld akribisch untersucht und nicht mehr nur unter einen gesetzlichen, sondern sogar unter einen moralischen Vorbehalt gestellt. Der „Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten“ ist verboten.
Tatsache ist allerdings auch, dass der Bundesfinanzhof noch immer nicht endgültig über einen solchen Fall des „Dividendenstrippings“ in letzter Instanz entschieden hat. Allerdings überwiegt in Fachkreisen die Meinung, die betroffenen Investoren und Banken hätten dabei kriminell gehandelt.
© DPABundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält die zwielichtigen Geschäfte der Commerzbank für legal.
Rechtssicherheit gibt es erst seit 2012. Seitdem ist klar: „Cum-Ex-Geschäfte“ sind nun nicht mehr legal möglich. Zuvor gab es dagegen lediglich Unmengen von Warnungen vor diesen Steuervermeidungsstrategien und einen Gesetzgeber, der lange Zeit nicht eingeschritten ist. Spätestens seit 2002 wusste nämlich auch die Bundesregierung, dass es Schlupflöcher in den Steuergesetzen gibt, die man besser schließen sollte. Doch lange Zeit tat sie nichts, erst 2006 entschloss sich der Gesetzgeber zu einer Gesetzesänderung. Fachleute beschreiben diesen Vorgang mit dem Bild des klaffenden Steuertores, das viele Jahre lang sperrangelweit offen stand. 2007 schloss der Bundestag das Tor und stellte einen Torwächter davor, der die Investoren darauf hinwies, doch besser die Hintertür zu schließen. Erst 2012 wurde auch sie verriegelt.
Klingt dubios? Ist es auch. Noch immer rätseln Fachleute, warum das Schlupfloch so lange nicht gestopft wurde. Dafür wurde eigens ein Untersuchungsausschuss des Bundestages ins Leben gerufen, der diese Fragen nun klären soll und dazu reihenweise Fachleute vernimmt. Inzwischen wissen also selbst Politiker bestens über Dividendengeschäfte Bescheid.
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