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Dienstag, 9. Oktober 2012

Adenauers Griechenlandreise Unbeschreiblicher Jubel und kleine Explosionen

09.10.2012 ·  Die Sicherheitsmaßnahmen, mit denen Kanzlerin Merkel in Athen empfangen wird, lassen eher an einen Besuch in Afghanistan als in einem EU-Land denken. Konrad Adenauer hatte es im Jahr 1954 leichter.
Von Michael Martens, Athen
© Sammlung Felix von Eckardt Konrad Adenauer war schon 78 Jahre alt, als er den Griechen 1954 einen Besuch abstattete. Auf den Insel Santorin nutzte er einen Esel als Fortbewegungsmittel
 
Für Adenauer gab es noch ein Feuerwerk. Im März 1954, der Abzug der Wehrmacht war nicht einmal zehn Jahre her, reiste erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg ein deutscher Regierungschef nach Griechenland. Damals hetzten Kanzler auf Auslandsbesuchen noch nicht im Eilschritt durch die Weltgeschichte, waren eher Treiber als Getriebene, wirkten jedenfalls so. Fast eine Woche lang war der Kanzler per Auto, Schiff und Esel in Griechenland unterwegs.
Zum Auftakt gab das griechische Königspaar in Athen ein Diner zu Ehren des deutschen Gastes. Man saß bis Mitternacht beisammen, Konrad Adendauer zur Linken der Königin Friederike, Tochter Lotte zwischen Ministerpräsident Papagos und Parlamentspräsident Rodopulos. Von der jüngsten Vergangenheit, den Massakern der Wehrmacht in Kalavytra und anderen Orten, den beiderseits grausam geführten Kämpfen zwischen deutschen Soldaten und griechischen Partisanen, schwieg man lieber.

Deutsch-griechischen Beziehungen: „So manche Schatten“

Der damalige Berichterstatter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung traf den Geist jenes Schweigens wohl recht genau mit der Formulierung, „die Ereignisse der letzten Jahre“ hätten „so manche Schatten“ auf die deutsch-griechischen Beziehungen geworfen. Der Empfang für den Kanzler der freien Deutschen war dennoch überall herzlich auf dessen Rundreise - die Griechen waren offenbar über seine Lebensgeschichte informiert. Bei einer Besichtigung der Akropolis zeigte sich der deutsche Regierungschef zur Freude seiner Gastgeber sogar an kunsthistorischen Details interessiert („Wie haben die nur alle diese Steine hinaufgeschleppt?“).
An der Anlegestelle auf der Insel Santorini hatte die Lokalverwaltung gleich drei Esel bereitgestellt, aus denen sich der Gast für den Ritt in den 650 Stufen oberhalb der Mole gelegenen Ort einen auswählen konnte. Er entschied sich nach sorgfältiger Prüfung für das stämmigste Tier und gelangte ohne Zwischenfälle oben an. Sein Abschied geriet prächtig: „Mit Tausenden von Feuern, unzähligen Raketen und kleinen Dynamit-Explosionen an Stelle von Salutschüssen haben am Sonntagabend die Einwohner der Insel Santorini im Aegäischen Meer Bundeskanzler Adenauer verabschiedet, als dieser mit seiner Begleitung auf dem Passagierdampfer ,Agamemnon‘ die Insel in Richtung Peloponnes verließ. Von den Abhängen grüßten die Worte in Griechisch: ,Lang mögen Sie leben.‘ Unbeschreiblicher Jubel herrschte auf der ganzen Insel.“
Der Aufenthalt von Angela Merkel an diesem Dienstag in Griechenland wird kürzer und prosaischer, der Jubel beschreiblicher ausfallen als weiland bei Adenauer. „Kleine Dynamit-Explosionen“ sind weder zur Begrüßung noch zum Abschied vorgesehen, und es wird sie hoffentlich auch außerprotokollarisch nicht geben. Eine Rotte vermummter Krawallmacher wird allerdings viel daran setzen, Bilder von Gewalt und Zerstörung zu produzieren.
Vor der Kanzlerin und nach Adenauer waren noch Helmut Schmidt (1975), Helmut Kohl (1991, zum 50. Jahrestag der Schlacht um Kreta auf Einladung des damaligen griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis, eines Kreters und ehemaligen Widerstandskämpfers) sowie Gerhard Schröder in Griechenland. Doch kein Kanzler hat je unter so schwierigen Bedingungen Gespräche führen müssen wie nun Angela Merkel.

Deutschland wird am Olymp verteidigt

Wie es steht um die Beziehungen zwischen Deutschen und Griechen, davon zeugen nicht allein die hohen Sicherheitsmaßnahmen, deren Beschreibung den Eindruck aufkommen lässt, als besuche die Kanzlerin nicht einen EU-Staat, sondern ihre Truppen am Hindukusch. Noch deutlicher wird die Veränderung von Ton und Themen des deutsch-griechischen Dialogs durch einen Vergleich mit Angela Merkels erster Kanzlerinnendienstreise nach Athen im Vorkrisensommer des Jahres 2007. Seinerzeit schien alles noch in bester Ordnung, inzwischen aber gilt: Deutschland wird am Olymp verteidigt.
Als Angela Merkel vor fünf Jahren nach Athen reiste, werteten griechische Kommentatoren das auch als Wahlkampfhilfe für ihren konservativen Parteienfamilienfreund Kostas Karamanlis, der seine Nea Dimokratia auf vorgezogene Parlamentswahlen im September jenes Jahres zusteuerte, die er dann knapp gewann. Heute könnte einem griechischen Spitzenkandidaten, wenn er sein Land denn tatsächlich regieren will, kaum etwas ungelegener kommen als das Aufkreuzen der Kanzlerin in seinem Wahlkampf. Der Bewerber müsste sich sinngemäß so herausreden wie Präsidentschaftskandidat Bill Clinton im Jahr 1992, als er auf die Frage nach einschlägigen Erfahrungen im Umgang mit Cannabis bekundete, er habe es zwar geraucht, aber nicht inhaliert.

Als das griechische Wirtschaftswachstum noch beneidenswert war

Vor einem halben Jahrzehnt war Frau Merkel noch gern gesehen in Athen. Deutschland und Griechenland stünden in „exzellenten“ Beziehungen zueinander, verkündeten sie und ihr Gastgeber nach den Gesprächen. Die Kanzlerin bezeichnete das griechische Wirtschaftswachstum zudem als „beneidenswert“. In den Gesprächen der beiden Regierungschefs war es auch um neue Anschaffungen für die griechische Armee gegangen, einen milliardenschweren Kunden nicht nur der deutschen Rüstungsindustrie. Im Athener Ministerpräsidentenbüro akkreditierte griechische Journalisten wollten damals erfahren haben, dass die beiden Politiker bei Gesprächen über den Kauf von 60 Eurofighter-Kampfflugzeugen durch Griechenland für etwa fünf Milliarden Euro einer Einigung nahe gekommen seien. Frau Merkel wurde dazu mit der Bemerkung zitiert, man sei „auf einem guten Weg“.
Griechenland wurde auch von Frankreich bedrängt, statt amerikanischen F-16 nur noch Eurofighter zu kaufen, doch Karamanlis wollte sich im Wahlkampf nicht festlegen. Unstimmigkeiten gab es auch bei einem anderen Rüstungsgeschäft, seit Athen sich über den angeblich zu starken Neigungswinkel noch von der Vorgängerregierung bestellter deutscher U-Boote beschwerte.
Doch das konnte den Erfolg der Gespräche zwischen Herrn Karamanlis und Frau Merkel offenbar nicht trüben, zumindest nicht in der Bewertung der griechischen Öffentlichkeit. Das zeigen die Schlagzeilen griechischer Zeitungen vom 21. Juli 2007, dem Tag nach dem Besuch der Kanzlerin. Dass die Zeitung „Adesmevtos Typos“ (in etwa: Ungebundene Presse) von ausgezeichneten Beziehungen beider Länder schrieb und Frau Merkel als „eiserne Lady Deutschlands“ bezeichnete, hatte damals noch nicht den Beigeschmack, den dieselbe Formulierung heute hat. „Apogevmatini“ (Nachmittagszeitung) schrieb von dem „hervorragenden Niveau“ des Austauschs, und auch „Kathimerini“ (Tageszeitung) zählte unter der Überschrift „Ausgezeichnete Beziehungen zu Deutschland“ auf, was alles rund lief.
Aber das ist lange her. Seither haben die Ereignisse der letzten Jahre so manche Schatten auf die deutsch-griechischen Beziehungen geworfen. Adenauer reiste 1954 übrigens weiter in die Türkei, wo ihm bei dem Besuch einer Militärakademie in Ankara eine Gymnastikübung vorgeführt wurde. Der die Übungen leitende türkische Offizier hatte einige offenbar stark nachwirkende Jahre im Dritten Reich verbracht, weshalb er vor Adenauer trat und im Namen seiner Männer ankündigte: „Wir grüßen den deutschen Bundeskanzler mit einem dreifachen Sieg Heil!“. Und so geschah es dann auch.
Quelle: F.A.Z. 

http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/adenauers-griechenlandreise-unbeschreiblicher-jubel-und-kleine-explosionen-11918310.html

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