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Samstag, 22. November 2014

Die Griechen sind zermürbt und wollen das Wort Reform nicht mehr hören. Ministerpräsident Antonis Samaras würde die Troika deshalb am liebsten los werden – und ist doch auf ihr Sicherheitsnetz angewiesen


Regierung Samaras im DilemmaGriechische Widersprüche

Die Griechen sind zermürbt und wollen das Wort Reform nicht mehr hören. Ministerpräsident Antonis Samaras würde die Troika deshalb am liebsten los werden – und ist doch auf ihr Sicherheitsnetz angewiesen.

© REUTERSVergrößernMinisterpräsident Antonis Samaras (r) und Finanzminister Gikas Hardouvelis haben allen Grund zur Sorge
Griechenland riskiert einen neuen Absturz. Daran ändert auch die erfreuliche Wachstumsrate von 0,7 Prozent im dritten Quartal nichts. An den Finanzmärkten und unter Ökonomen nehmen die Zweifel über Griechenlands Zukunft wieder zu. Die Börsenkurse sind wieder abgesackt, der Risikozuschlag für griechische Staatstitel ist abermals gestiegen.
Zwar gibt es hoffnungsvolle Signale: Die Touristenzahlen sind kräftig gewachsen, der Konsum hat angezogen, die Löhne sind viel wettbewerbsfähiger geworden, und die Bauaktivität hat im Jahresvergleich einen Sprung um 23 Prozent gemacht. Doch der Rückstand bei den wirtschaftlichen Strukturreformen und der Kurs der Politik sorgen für Unsicherheit.
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Die jüngsten politischen Manöver des griechischen Ministerpräsidenten Antonis Samaras nehmen sich wie Verzweiflungstaten aus, die am Ende weder seine konservative Partei noch Griechenland voranbringen werden. Samaras wollte seine Popularität steigern, indem er mit Griechenland vorzeitig aussteigt aus dem Sanierungsprogramm, das die Europäische Kommission, der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank überwachen. Er hoffte auf Sympathien, wenn es ihm gelänge, dass Griechenland die Kontrolleure der Troika abschüttelt und sich früher als geplant direkt an den Finanzmärkten mit frischem Geld versorgt.

Kontrollgremium will ohne Zugeständnisse nicht nach Athen reisen

Mehr Sympathien hätte er dringend nötig, in den Meinungsumfragen führt die linke Protestbewegung Syriza von Alexis Tsipras. Neuwahlen könnte es schon in wenigen Monaten geben. Nach der Verfassung muss Ende Februar ein neuer Präsident gewählt werden. Sollte nicht spätestens im vierten Wahlgang ein Kandidat 60 Prozent der Stimmen im Abgeordnetenhaus erhalten, muss das Parlament sofort aufgelöst und neu gewählt werden.
Doch der symbolische Akt nationalen Stolzes gegen die Troika ist zum Rohrkrepierer geworden. Die Finanzmärkte, auf denen sich Samaras künftig finanzieren will, trauen der griechischen Regierung und ihrem Reformwillen nur, solange es eine internationale Aufsicht über das Reformprogramm gibt. Samaras braucht ein Sicherheitsnetz für die Staatsanleihen. Dieses gibt es nicht ohne neue Reformgarantien. Damit wird die ursprüngliche Idee ad absurdum geführt. Nun kommt es noch schlimmer: Denn um die vermeintlich letzten Amtshandlungen der Troika gibt es eine Machtprobe zwischen der griechischen Regierung, die den Haushalt für 2015 schon nach eigenem Gutdünken planen will, und den Vertretern der Troika, die noch einmal eine Nachbesserung verlangen. Ohne Zugeständnisse der griechischen Regierung will die Troika gar nicht mehr zu technischen Diskussionen nach Athen reisen.
Samaras hat die Wahl zwischen zwei Übeln: Gibt er der Troika nach, verliert er sein Gesicht bei potentiellen Wählern. Gibt er nicht nach, sät er neue Zweifel an den Finanzmärkten. Seine zwiespältige Haltung gegenüber der Troika fällt ihm nun auf die Füße. Samaras hatte seinen Wahlkampf 2012 mit viel Rhetorik gegen das Reformprogramm der Troika gespickt – und sich damals gegen die Gläubiger gewendet, die Griechenland mit rund 240 Milliarden Euro geholfen haben. Dann blieb ihm doch nichts anderes übrig, als die Umschuldung Griechenlands und die damit verbundenen Konditionen zu akzeptieren.

Keine Perspektiven für die Armen und Arbeitslosen

Die Rhetorik gegen die Troika blieb, sie drückt sich im Widerstand gegen viele Details der Reformauflagen aus. Griechenlands Regierung versäumte es zugleich, selbst ein überzeugendes eigenes Reformprogramm zu entwickeln. Einerseits versprach Samaras den Griechen Wachstum und neue Arbeitsplätze, andererseits blieben er und manche seiner Minister noch dem alten Filz und der alten Klientelpolitik verbunden.
Das führt immer wieder zu unverständlichen Szenen. So nehmen sich einzelne konservative Politiker oder der sozialdemokratische Koalitionspartner zwar die Proteste kleiner Interessengrüppchen zu Herzen, etwa aus der Verwaltung der Hochschulen, der Putzkräfte im Finanzministerium oder der Beamten mit Lügen im Lebenslauf, doch kümmern sie sich nicht um die Zukunftsperspektive von 1,2 Millionen Arbeitslosen und jenem Drittel der Griechen, das nun unter der Armutsgrenze lebt. Das zeigt die Orientierungslosigkeit der Regierung Samaras, die unter einem Dach Reformer und alte Garde vereint. Sie hätte eigentlich noch viel zu tun für eine Runderneuerung der griechischen Staatsorganisation, der Verwaltung und der Wirtschaftsgesetze. Doch nach viel Streit um Klein-Klein sind die Griechen zermürbt und wollen das Wort Reform nicht mehr hören. Umso mehr lockt die Oppositionspartei Syriza, die den Bürgern vorgaukelt, sie könnten in eine vergangene heile Welt zurückkehren.
Gerade jetzt braucht Griechenland deshalb besonders viel Aufmerksamkeit der europäischen Partner. Wenn nicht Samaras, dann müssen die Europäer das Hoffnungssignal geben, dass die Haushaltssanierung und die bisherigen Reformschrittchen nicht umsonst waren. Am Ende müssen aber die Griechen entscheiden, ob und mit wem sie die wirtschaftliche Erneuerung fortführen wollen.

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