Diskussion über Nato-BeitrittDer Norden hält sich für verwundbar
In Schweden und auch beim Nachbarn Finnland verfolgt man äußerst missmutig das Gebaren Russlands in der Ukraine. Wie sollen die Länder sich schützen? Ein Nato-Beitritt würde die Beziehung zu Russland schwer belasten.
16.01.2015, von ANN-DORIT BOY, MATTHIAS WYSSUWA
Anna Kinberg Batra weiß, wie man in Schweden Aufmerksamkeit erregt. Kaum war sie am Wochenende zur Vorsitzenden der konservativen „Moderaten“ gewählt und damit zur Führerin des oppositionellen Vierparteienbündnisses „Allianz“, sprach sie die Nato an. Nicht dass sie sich in ihrem Land, das so stolz darauf ist, wenn schon nicht mehr neutral, so doch bündnisfrei zu sein, gewagt hätte, direkt einen Beitritt zu fordern.
Immerhin aber sprach sie sich dafür aus, eine Studie anzufertigen, um zumindest die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft des Königreichs zu untersuchen. Die Aufmerksamkeit gehörte ihr. Am Mittwoch wiederholte Batra ihre Forderung im Reichstag, mal über die Nato zu reden. Ministerpräsident Stefan Löfven reagierte darauf so, wie es zu erwarten war: Er lehnte sie ab. Schon bei Regierungsantritt hatte er sich klar gegen eine Nato-Mitgliedschaft Schwedens ausgesprochen. Seine Position hat er nicht geändert.
Und doch: Es hat sich etwas getan in den vergangenen Monaten. Die Äußerung Batras ist nur ein Hinweis darauf. In Schweden, aber auch beim Nachbarn Finnland, verfolgt man äußerst missmutig das Gebaren Russlands in der Ukraine – und auch das in den eigenen Gefilden.
Immer wieder sorgen Berichte über nahe kommende russische Flugzeuge für Aufsehen, ebenso wie es die Jagd nach einem womöglich russischen U-Boot im Stockholmer Schärengarten tat. Schweden und Finnland ist offenbar geworden, wie verwundbar sie sind. Nur sind sie sich nicht darüber im Klaren, welche Schlüsse aus dieser Erkenntnis zu ziehen sind. Und wie sie es künftig mit der Nato halten wollen. Klar ist nur: Keines der beiden Länder wird einen entscheidenden Schritt ohne das andere tun.
Pro Nato und contra Russland
In Finnland debattierte das Parlament am Mittwoch lange über das Verhältnis zu Russland. Regierungschef Alexander Stubb von der „Nationalen Sammlungspartei“ warnte in seiner Eingangsrede davor, dass eine sich verschlechternde wirtschaftliche Situation in Russland zu noch mehr Kontrolle im Inneren des Landes führen könnte – aber auch zu neuen Bedrohungen nach außen.
Präsident Sauli Niinistö hatte Russland schon in seiner Neujahrsansprache an das finnische Volk zu einem der wichtigsten Themen erklärt, ohne es freilich beim Namen zu nennen. „Es versteht sich von selbst, dass wir jederzeit der Nato beitreten können, wenn wir es wünschen“, sagte er. Aber Niinstö glaubt wie Stubb, dass ein Nato-Beitritt zu diesem Zeitpunkt nicht ratsam wäre, weil der Schritt die Beziehung zu Russland schwer belasten würde.
Am Dienstag, einen Tag vor der Parlamentsdebatte in Helsinki, bezog eine erste Brigade der russischen Nordmeerflotte Stellung am Stützpunkt Alakurtti, 60 Kilometer von der finnischen Grenze entfernt. Die Militärbasis wurde während des Kalten Krieges jahrzehntelang von sowjetischen Truppen besetzt, seit 2009 lag sie brach.
Im März vor einem Jahr, während russische Truppen ohne Hoheitsabzeichen die ukrainische Halbinsel Krim annektierten, hatte Moskau angekündigt, nahe Alakurtti in der Region Murmansk moderne Kasernen und Infrastruktur für 3000 Angehörige der Nordmeerflotte schaffen zu wollen. Russland will seine Präsenz in der Arktis verstärken – und rückt den Finnen näher. Mehr als 1300 Kilometer gemeinsame Grenze verbinden die beiden Länder. Das betonen finnische Politiker in letzter Zeit oft.
„Die Jahre der Einschnitte sind vorbei“
Auch in der finnischen Bevölkerung ist die Sorge vor dem großen Nachbarn im vergangenen Jahr gewachsen. Panik ist allerdings nicht ausgebrochen. Als die öffentlich-rechtliche finnische Rundfunkanstalt Yleisradio Anfang des Jahres wieder einmal nach der Meinung der Bürger fragen ließ, kam zutage, dass sich ein Drittel der Finnen vor russischer Aggression fürchten. Mehr als 60 Prozent hielten es jedoch für unwahrscheinlich, dass Russland zu einer echten Bedrohung für Finnlands Sicherheit werden könnte.
Bei den Schweden scheinen die vergangenen Monate hingegen deutlichere Spuren hinterlassen zu haben: Erstmals verzeichnete eine Umfrage dieser Tage eine Mehrheit für den Beitritt zur Nato. 48 Prozent der Befragten befürworteten eine Mitgliedschaft – das sind zwölf Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor. 35 Prozent der Befragten waren dagegen. Die Umfrage wirbelte so viel Staub auf, dass dabei fast übersehen wurde, dass eine andere Umfrage für die Zeitung „Dagens Nyheter“ zu einem anderen Ergebnis kam: Da sprachen sich nur 33 Prozent für eine Nato-Mitgliedschaft aus. So gibt es für jede Position auch eine Umfrage.
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So schwer wie Volkes Wille zu erfassen ist, so schwer ist auch vorherzusagen, ob die Nato-Debatte das Königreich einer Mitgliedschaft wirklich näher bringt. Zwar unterstützten alle Parteien der „Allianz“ die Forderung Batras. Jedoch ist die Ablehnung der rot-grünen Regierung deutlich. Fraglich ist zudem, wie die Haltung der „Allianz“ mit dem „Dezemberabkommen“ zusammenpassen soll. Dieses hatte die rot-grüne Regierung mit der „Allianz“ erst kurz vor dem Jahreswechsel geschlossen, um Neuwahlen zu verhindern und den Einfluss der rechtspopulistischen „Schwedendemokraten“ einzudämmen.
In dem Abkommen einigten sich die Parteien auf Politikfelder, in denen sie künftig eng zusammenarbeiten wollen: Eines davon ist die Verteidigungspolitik. Was also soll Batras Vorstoß? Eine mögliche Erklärung wäre, dass er ein Signal an jene in den eigenen Reihen ist, die das „Dezemberabkommen“ kritisiert hatten. Ein Zeichen, dass die Opposition trotzdem noch lebt. Ein innenpolitisches Manöver also?
Unabhängig davon sind sich die Parteien schon lange einig, dass die Streitkräfte in Zukunft mehr Geld erhalten sollen. Am Mittwoch bekräftigte Löfven: „Die Jahre der Einschnitte sind vorbei.“ Auch Finnland will mehr Geld für die Landesverteidigung ausgeben. Zudem liegt Stockholm und Helsinki viel an einer vertieften militärischen Zusammenarbeit. Auch wenn sich die beiden Länder für den Ernstfall keine gegenseitige militärische Hilfe zugesagt haben, wollen sie zumindest gemeinsame Flugmanöver üben, Informationen austauschen, und – was die Schweden nach der Aufregung im Stockholmer Schärengarten freuen dürfte – zusammen U-Boote jagen.

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