Südchinesisches MeerRatlos am Rande des Abgrunds
Auf dem Shangri-la-Dialog zum Konflikt um das Südchinesische Meer steht China isolierter da als je zuvor. Eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Europa fordert eine asiatische Sicherheitsarchitektur - und verspricht, dabei zu helfen.
31.05.2015, von TILL FÄHNDERS, SINGAPUR
© AFPNiemand hat irgendeine Absicht: Admiral Sun Jianguo von der chinesischen Marine im Gespräch mit Amerikas Verteidigungsminister Carter
Asiens wichtigste Sicherheitskonferenz, der Shangri-la-Dialog in Singapur, läuft seit einigen Jahren nach dem gleichen Schema ab: Am Tag nach der Eröffnung hält der amerikanische Verteidigungsminister die erste Rede, in der er Chinas aggressives Verhalten in der Nachbarschaft kritisiert und ein verstärktes Engagement Amerikas in der Region verspricht. In der anschließenden Fragerunde meldet sich dann ein uniformiertes Mitglied der chinesischen Delegation, um die Anschuldigungen zurückzuweisen. Am zweiten Konferenztag ist dann ein Chinese dran, der die Vorwürfe in aller Breite zurückweist und die friedlichen Absichten Chinas betont. Daraufhin wird er selbst mit bohrenden Fragen der Delegierten überhäuft, die er ausweichend beantwortet.
Die Presse kann dann über diesen „Schlagabtausch“ berichten. Andere Teilnehmer, darunter Verteidigungsminister und weitere Repräsentanten aus Südostasien, Ostasien und Ozeanien sowie Europas tun auf der Veranstaltung ansonsten vor allem ihre Sorgen kund. Am stärksten tat dies nun Malaysias Verteidigungsminister Hishammuddin Hussein. Er warnte, dass das „alte“ Problem überlappender Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer „zu einem der tödlichsten Konflikte unserer Zeit, vielleicht sogar der Geschichte“ eskalieren könnte. Der deutsche Europaabgeordnete der Grünen Reinhard Bütikofer nannte den Konflikt „nicht weniger brisant als die Ukraine-Krise“.
Amerika kritisierte „beispielloses“ Vorgehen Chinas
In diesem Jahr waren die Erwartungen, dass es zu einer verbalen Konfrontation zwischen Mächten China und Amerika kommen würde, noch größer als sonst. Daran hatten beide Länder ihren Anteil. China versetzt mit seiner Landgewinnung im Südchinesischen Meer die Nachbarländer seit Monaten in Aufregung. Die Aufschüttung von Inseln dort, wo sich Gebietsansprüche Chinas mit denen Vietnams, der Philippinen, Malaysias, Bruneis und Taiwans überlappen, dienen teilweise eindeutig militärischen Zwecken. Auch auf der Shangri-La-Konferenz wurden keine echten Lösungen gefunden. „Die Ratlosigkeit ist mit Händen zu greifen“, sagte ein ranghoher Teilnehmer.
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Selbst die Vereinigten Staaten scheinen in der Sache keinen stringenten Plan zu verfolgen. Um China zu zeigen, dass es nicht einfach Fakten schaffen kann, hatte Washington vor wenigen Tagen ein Aufklärungsflugzeug über die Atolle geschickt und auch ein Fernsehteam des Senders CNN an Bord genommen. Die Journalisten erlebten, wie die Amerikaner von der chinesischen Marine aufgefordert wurden, das umstrittene Gebiet zu verlassen. Das ändert zwar nichts am neuen Status Quo, aber mit dem CNN-Bericht war die Bühne bereitet, auf der Verteidigungsminister Ashton Carter am Samstag die Einstellung der Bautätigkeiten fordern konnte, über die Amerika „sehr besorgt“ sei.
Der Amerikaner gab damit nicht nur der Sorge seiner Regierung Ausdruck, sondern auch die der meisten anderen auf der Konferenz vertretenden Länder, mit Ausnahme natürlich Chinas. Carter sagte, dass auch andere Länder militärische Außenposten in dem Gebiet errichtet hätten. Jedoch seien die chinesischen Aktivitäten „beispiellos“ in ihrem Ausmaß. Er ließ keinen Zweifel daran, dass Amerika sich nicht abschrecken lassen werde. Aus Sicht Amerikas handelt es sich bei dem Gebiet um die Korallenriffe und Atolle herum klar um internationale Gewässer.
Konferenz wird von westlicher Sicht dominiert
Aus der chinesischen Delegation war es dem bekannten Schema nach an Zhao Xiaozhuo, einem Oberst der Volksbefreiungsarmee, die „harsche Kritik“ Carters zurückzuweisen. Chinas Aktivitäten seien „legitim, angemessen und berechtigt“, sagte Zhao. Am Sonntag wiederholte der chinesische Delegationsleiter und stellvertretende Generalstabschef Sun Jianguo diese Formulierung. Der Admiral stellte es zudem so dar, als handele es sich bei den Landgewinnungsmaßnahmen um eine harmlose Bautätigkeit, von der alle profitieren würden.
Insgesamt verlief der Schlagabtausch zwischen China und Amerika diesmal weniger heftig als im Jahr davor, als der damalige Verteidigungsminister Chuck Hagel China eine Destabilisierung der Region vorgeworfen hatte. Die Stimmung war konstruktiver, allerdings stand China noch isolierter da als in den vergangenen Jahren. Die von der britischen Denkfabrik IISS in einem Fünfsternehotel des reichen Stadtstaats Singapurs veranstaltete Konferenz, an der jedes Jahr Hunderte Verteidigungspolitiker, Fachleute und Vertreter der Rüstungsindustrie teilnehmen, bemüht sich zwar darum, viele asiatische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Aber der Diskurs wird häufig von der westlichen Sicht dominiert.
Neben den Appellen, endlich einen bindenden Kodex zwischen China und den zehn Asean-Staaten (COC) zu vereinbaren, der das Verhalten im Fall von Zwischenfällen in dem Meeresgebiet regelt, gab es weitere Vorschläge, wie mit der Krise im Südchinesischen Meer umzugehen sei: So kündigte Ashton Carter eine neue „Seesicherheits-Initiative für Südostasien“ im Umfang von 425 Millionen Dollar an. Was genau dahintersteckt blieb indes ebenso undeutlich wie der Vorschlag des japanischen Verteidigungsministers Gen Nakatani einer „Shangri-La-Dialog-Initiative“. Alle diese Ansätze kranken daran, dass China entweder von vorneherein nicht einbezogen wird, oder die Teilnahme jederzeit aufkündigen kann.
Europäer wollen sich für Frieden engagieren
Einen Lichtblick bildeten die Europäer: Sie waren in Singapur so zahlreich vertreten wie lange nicht mehr. Neben Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprachen auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der Verteidigungsminister Großbritanniens. Mit von der Leyen besuchte erstmals seit 2007 wieder ein deutscher Verteidigungsminister die Konferenz. In ihrer von vielen Teilnehmern gelobten Rede stellte von der Leyen die Erfahrungen Europas mit Konfliktlösungen vor. „Zwar sind die sicherheitspolitischen Herausforderungen in Europa und Asien nicht die gleichen, aber die Muster sind sehr ähnlich“, sagte sie.
Europa habe immer wieder in seine Partnerschaften und Allianzen investiert und die EU-Mitgliedstaaten auch Teile ihrer Souveränität abgegeben, sagte die Ministerin. Sie erinnerte an die deutsche Geschichte seit den Weltkriegen. Von der Leyen machte deutlich, dass auch Deutschland als Handelsnation Interessen im asiatisch-pazifischen Raum verfolgt. Schließlich ginge die Hälfte des gesamten Güterverkehrs, der über See transportiert werde, durch diesen Raum. Wie Ashton Carter sprach auch von der Leyen deshalb von einer Sicherheitsarchitektur, die Asien benötige. Sie verwies auf den Staatenbund Asean, mit dem die EU sicherheitspolitisch noch intensiver kooperieren wolle.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini stellte den Plan der EU für eine weitergehende „Partnerschaft mit einer strategischen Absicht“ vor. Das europäische Engagement gehe weit über Handel, Investitionen und Entwicklungshilfe hinaus. „Es muss sich auch auf dem Feld der Sicherheitspolitik weiterentwickeln“, sagte Mogherini. Ihr Plan beinhaltet unter anderem die Erhöhung der finanziellen Unterstützung der EU für Asean. Auch die Europäer brachten zwar kein Rezept zur Lösung des Konflikts mit, sind aber immerhin gewillt, etwas für Frieden und Sicherheit in Asien zu tun.
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