Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Sonntag, 3. Januar 2016

Hinrichtungen in Saudi-Arabien Demonstranten greifen saudische Botschaft in Teheran an Aus dem Gebäude der saudischen Botschaft schlagen Flammen. Die Gewalt ist Reaktion nach der Hinrichtung eines prominenten schiitischen Geistlichen.

Hinrichtungen in Saudi-ArabienDemonstranten greifen saudische Botschaft in Teheran an

Aus dem Gebäude der saudischen Botschaft schlagen Flammen. Die Gewalt ist Reaktion nach der Hinrichtung eines prominenten schiitischen Geistlichen.

© DPASaudische Schiiten, nach einem Begräbnis in Folge eines Selbstmordanschlags auf eine schiitische Moschee im Mai 2015.
Zahlreiche Demonstranten haben in der Nacht zum Sonntag die saudische Botschaft in Teheran gestürmt und Teile des Gebäudes in Brand gesetzt. Das berichteten Augenzeugen der Nachrichtenagentur dpa. Nach Angaben eines Polizeisprechers haben die Sicherheitskräfte die Lage inzwischen wieder unter Kontrolle, es seien keine Demonstranten mehr im Botschaftsgebäude. Die Feuerwehr war vor Ort, um den Brand zu löschen.
Die iranische Nachrichtenagentur Tasnim meldete, „eine Gruppe von wütenden Iranern“ habe die Botschaft aus Protest gegen die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al Nimr in Saudi-Arabien angegriffen.
Die Hinrichtungen des regierungskritischen schiitischen Geistlichen Scheich Nimr Baker al Nimr und 46 weiterer Menschen wegen Terrorvorwürfen in Saudi-Arabien hat zu wütenden Protesten im Irak geführt. In der den Schiiten heiligen Stadt Kerbela gingen am Samstag mehrere hundert Menschen auf die Straße, um gegen die Exekutionen zu protestieren. Auf Transparenten waren Drohungen gegen die sunnitischen Königshäuser in Riad und Bahrain zu lesen.
Protestteilnehmer in Kerbela äußerten Empörung. Das Blut von Scheich al Nimr sei nicht „vergebens“ geflossen, sagte Said Saad al Mussawi. „Wir werden die Erde unter euren Füßen zittern lassen.“
Mehr zum Thema
Der 56 Jahre alte al Nimr war ein entschiedener Gegner des sunnitischen Königshauses. Er hatte während der Proteste des Arabischen Frühlings 2011 die Abspaltung der östlichen Regionen Katif und Al Ihsaa befürwortet, in denen die meisten der rund zwei Millionen Schiiten Saudi-Arabiens leben. Bereits al Nimrs Festnahme im Juli 2012 hatte Proteste der Schiiten ausgelöst, bei denen zwei seiner Anhänger getötet wurden.
Im Oktober 2014 wurde al Nimr wegen Aufwiegelung, Ungehorsams und Waffenbesitzes von einem Sondertribunal zum Tode verurteilt. Ende Oktober 2015 wurde das Todesurteil vom Obersten Gerichtshof Saudi-Arabiens bestätigt. Laut dem saudiarabischen Innenministerium wurden am Samstag auch mehrere Sunniten hingerichtet, die für das Terrornetzwerk Al Qaida 2003 und 2004 Anschläge verübt haben sollen.
Neue App 
Der TAG jetzt auch auf Android 

Das neue Angebot für den klugen Überblick: Die wichtigsten Nachrichten und Kommentare der letzten 24 Stunden – aus der Redaktion der F.A.Z. – bereits über 100.000 mal heruntergeladen.
Mehr erfahren
Auch die EU kritisierte das Vorgehen Riads: Der Fall habe das Potenzial, „sektiererische Spannungen, die bereits viel Schaden in der gesamten Region anrichten, mit gefährlichen Folgen weiter anzuheizen“, erklärte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Sie bekräftigte die ablehnende Haltung der Europäischen Union (EU) zur Todesstrafe generell und erklärte, Nimrs Hinrichtung wecke ernste Bedenken hinsichtlich der Meinungsfreiheit und der Respektierung bürgerlicher und politischer Grundrechte in Saudi-Arabien. Sie forderte die Regierung auf, zur Versöhnung zwischen den verschiedenen Gruppen des Landes beizutragen
„Anstatt sich mit den (IS-) Terroristen zu beschäftigen, die die Region und die ganze Welt gefährden, lassen die Saudis eine Persönlichkeit wie al-Nimr hinrichten“, sagte Irans Außenamtssprecher Dschaber Ansari am Samstag. In Teheran wollen iranische Demonstranten am Sonntag vor der saudischen Botschaft gegen die Hinrichtung demonstrieren. Zudem bestellte die iranische Regierung den Vertreter des saudischen Botschafters ein.

„Ein letzter Weckruf für die Bundesregierung“

„Die Massenhinrichtungen à la IS durch die wahabitische Diktatur in Saudi Arabien gefährden den Frieden in der gesamten Region“, sagte die Sprecherin für internationale Beziehungen der Linksfraktion, Sevim Dagdelen. Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, erklärte, die vollstreckten Todesurteile seien „der letzte Weckruf für die Bundesregierung, die „strategische Partnerschaft“ mit einem Staat zu beenden, dessen Praktiken sich vom sogenannten Islamischen Staat kaum unterscheiden.“
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty hatte in der Vergangenheit kritisiert, Saudi-Arabien setze das Todesurteil auch als politisches Instrument gegen die schiitische Minderheit ein, die etwa 15 Prozent der Bevölkerung ausmacht. In dem überwiegend sunnitischen Land waren bereits in den vergangenen Monaten schiitische Geistliche und Aktivisten zum Tode verurteilt worden.
© REUTERSEmpörung nach Exekution von saudischem Schiiten-Geistlichen
Der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi reagierte „trauig“ und „geschockt“. Die Meinungsfreiheit sei ein grundlegendes Menschenrecht. Sein Vorgänger Nuri al-Maliki sagte voraus, die Tötung Al-Nimrs werde zum Sturz der Regierung in Riad führen. Die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah sprach von einem „abscheulichen Verbrechen“.
In sozialen Medien kursieren diverse Aufrufe zu Protesten in Saudi-Arabien. Zunächst wurden aber keine Demonstrationen aus dem ultrakonservativen Königreich gemeldet. Im benachbarten Bahrain, wo Schiiten die Mehrheit der Bevölkerung stellen, kam es dagegen zu Protesten. Angaben zu möglichen Toten oder Verletzten gab es zunächst nicht.

Rechtfertigung mit den terroristischen Taten der Betroffenen

Saudi-Arabien rechtfertigte die Exekutionen mit den terroristischen Taten der Betroffenen. Diese folgten „den Fußstapfen des Teufels. Durch ihre terroristischen Taten ist unschuldiges Blut vergossen worden mit dem Ziel, die Stabilität in diesem Land zu erschüttern“, hieß es nach Angaben der staatlichen saudischen Nachrichtenagentur SPA in einer Stellungnahme des Innenministeriums in Riad vom Samstag. Insgesamt wurden 45 Staatsbürger Saudi-Arabiens, ein Ägypter und ein Mann aus dem Tschad getötet.
Saudi-Arabien hatte 2015 laut Menschenrechtlern so viel Todesurteile vollstreckt wie seit 20 Jahren nicht mehr. Der Anstieg geht einher mit der Machtübernahme von König Salman im Januar. Von Januar bis November waren mindestens 151 Menschen hingerichtet worden, dies teilte Amnesty mit. Im gesamten Jahr 2014 seien es 90 gewesen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen