Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Es war der erste Besuch der Kanzlerin in Athen, seit die europäische Schuldenkrise ausgebrochen ist. Es galt zu loben und Mut zuzusprechen. Frau Merkel hielt sich daran

Merkel in Athen Freundschaft und andere Probleme

09.10.2012 ·  Es war der erste Besuch der Kanzlerin in Athen, seit die europäische Schuldenkrise ausgebrochen ist. Es galt zu loben und Mut zuzusprechen. Frau Merkel hielt sich daran.
Von Günter Bannas, Athen
© dpa Zu zweit: Ruhiges Gesprächsklima zwischen Antonis Samaras und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Athen
Mut machen und keinesfalls Gräben aufreißen, hat die Devise gelautet. Wohlwollende Worte, Lob und Dank gegenseitig auszusprechen, hatten sich Angela Merkel, die in Griechenland als besonders streng geltende deutsche Bundeskanzlerin, und Antonis Samaras, der griechische Ministerpräsident, vorgenommen. „Wir sind Partner und wir sind Freunde“, sagte Frau Merkel im dichten Gedränge des griechischen Ministerpräsidenten-Amtes, und sie wisse, dass viele Menschen in Griechenland litten.
Sie anerkannte auch, dass das Tempo der Reformen in Griechenland größer geworden sei, was, äußerte sie dann in klassischer Merkel-Diktion, allerdings nicht heiße, dass nicht manches noch schneller gehen könne. Immerhin: Der Prozess stelle das ganze Land auf ein neues Fundament. Nicht zuletzt wegen der Demonstrationen in der Stadt mag sie dabei an die Gewerkschaftskundgebungen in Deutschland gedacht haben, als ihr Vorgänger die Agenda-2010-Reformen durchzusetzen versuchte. Samaras assistierte: „Ich sage nie, dass ich zufrieden bin.“ Er versicherte zugleich: „Wir werden das schaffen.“

In Athen wurden Cartoons gezeichnet

Eine besondere Geste sollte es sein, ein außergewöhnlicher Empfang, den Angela Merkel ihrerseits bei Staatsbesuchen in Berlin nur bei Besuchen des Papstes oder auch des saudischen Königs pflegt. Antonis Samaras war - was das gewöhnliche diplomatische Protokoll nicht vorsieht - hinaus zum Athener Flughafen gefahren, um seinen Gast zu empfangen. Mehrere Minister seines Kabinetts hatte er mitgebracht, was wiederum eine Geste zu sein schien, weil Angela Merkel ohne Ministerbegleitung diese Reise absolvierte. Blau war der Himmel, die deutsche und die griechische Nationalhymne wurden gespielt. Ein Sechs-Stunden-Besuch in der griechischen Hauptstadt, die auch so etwas wie die Wiege des demokratischen Europas ist, hatte begonnen.
  1/9  
© dapd Zu vielen: Der Besuch der Bundeskanzlerin in Athen wurde von schweren Protesten begleitet. Merkel gerät dabei zum Symbol einer verhassten EU-Sparpolitik
Es ist nicht der erste Besuch Angela Merkels als Bundeskanzlerin in Athen - wohl aber der erste seit Beginn der internationalen und dann immer mehr auch europäisch werdenden Finanzkrise samt ihres griechischen Schwerpunktes. Beiderseits begannen in den vergangenen zwei Jahren politische Emotionen hochzukochen und Aversionen auszubrechen. Hinterbänkler des Bundestages plädierten dafür, die griechische Regierung solle doch zur Finanzierung ihres Haushaltes Inseln im Mittelmeer verkaufen. Äußerungen über den hässlichen Deutschen waren die Antwort in Athen. Deutsche Ratschläge zum Sparen und zur Reform des griechischen Staatswesens wurden dort als Einmischung in innere Angelegenheiten bewertet.
Sogar die sich zumeist emotionsfrei gebende Bundeskanzlerin konnte mit Populismen aufwarten. Fast eineinhalb Jahre ist es her, als sie im Mai 2011 in Meschede im Sauerland ihre bekannte Haltung, Leistung, also Hilfe, müsse auf Gegenleistung beruhen, in neue Worte kleidete: „Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig.“ Sie sagte damals auch: „Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen.“ In Athen wurden derweil Cartoons gezeichnet: Angela Merkel mit Hitlerbärtchen.

Offenkundig hatten die Vorsichtsmaßnahmen Erfolg

Einfach und bedingungslos zu helfen, war von Anfang an nicht ihre Haltung. Die Bundeskanzlerin hatte sich vorgenommen, keine Versprechungen zu machen. Den Beschlüssen der Troika konnte und wollte sie nicht vorgreifen. Dass sie Griechenland in der Eurozone halten wollte, hatte sie immer wieder hervorgehoben, zuletzt im Gespräch mit Samaras auch in Berlin und natürlich am Vorabend dieser Tagestour am Dienstag. Doch die Bedingungen müssten stimmen, hatte sie ebenso deutlich wissen lassen. Immerhin: Verhandlungen über deutsche Unterstützung beim Aufbau des Gesundheitswesens in Griechenland und bei Hilfen für die regionale Verwaltung waren abgeschlossen. Die Bundesregierung hatte in Gesprächen mit den übrigen EU-Partnern den Part übernommen, während Frankreich, beispielsweise, Aufbauhilfen des griechischen Steuersystems und der Zentralverwaltung des Landes übernommen hatte. Etwa 20 Millionen Euro beträgt die Summe, die die Bundesregierung dafür zur Verfügung stellte.
Die Sicherheitsvorkehrungen während des Besuches hatten schon vor der Reise für Aufregungen gesorgt, was auch daran liegt, dass selbst in Deutschland die Krawallfähigkeit griechischer Demonstranten bekannt ist. 7000 Polizisten, war nach Deutschland übermittelt worden, seien zusammengezogen worden. Nur bei amerikanischen Präsidenten seien es mehr. Natürlich gab es seitens der Bundesregierung vorab keine Kommentare dazu. Klar war aber: Mit den Organisatoren der Kundgebungen, mit der Opposition und mit Vertretern griechischer Gewerkschaften würde es kein Gespräch geben. Wie denn auch? „Frau Merkel kommt nicht, um Griechenland, sondern um die baufällige Regierung Samaras zu stützen“, hatte der Oppositionsführer Alexis Tsipras wie zur Begrüßung gesagt.
Die Straßen der Athener Innenstadt waren weiträumig abgesperrt. Mit Hochgeschwindigkeit jagte die Kolonne des Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin vom Flughafen zum Amtssitz von Samaras. Bewaffnete Polizisten am Straßenrand. Ein paar Demonstranten zeigten ihre Transparente in den Seitenstraßen, und auch eine fliegende Wasserflasche war gesehen worden. Neugierige auf den Balkonen ringsum. Es wurde auch freundlich gewinkt. Manche Seitenstraßen waren mit rot-weißen Bändern abgesperrt, welche freilich niemals einen Demonstranten aufgehalten hätten. Vorsichtshalber waren, ebenfalls in den Seitenstraßen, Wasserwerfer geparkt. Offenkundig hatten die Maßnahmen Erfolg. Am Vormittag wurden an der deutschen Botschaft, die an diesem Tag zu den am meisten gefährdetsten Objekten gehört haben sollte, fünf Leute gesehen. Es waren Fotografen auf der Jagd nach spektakulären Bildern.

Den Griechen einmal richtig die Leviten lesen

Den Amtssitz des Ministerpräsidenten allerdings konnten die Begleiter der Bundeskanzlerin unkontrolliert betreten. Freilich gehörten zu diesem Tag auch über der Stadt kreisende Hubschrauber. Hätten Samaras und Frau Merkel die Fenster der Bibliothek, in der sie ihr Gespräch unter vier Augen führten, geöffnet, dann hätten sie von ferne auch den Lärm der Demonstration hören können. Mehr als 20.000 Menschen demonstrierten lautstark aber zumeist friedlich. Doch hatte die Polizei auch Wasserwerfer gegen Vermummte einzusetzen, die das Parlament stürmen wollten. Davon bekam Frau Merkel bei ihren Gesprächen wenig mit. Ohnehin neigt Frau Merkel nicht dazu, Demonstrationen sonderlich ernst zu nehmen. Sie mag es von Helmut Kohl gelernt haben.
Wie die griechische Regierung stand auch Angela Merkel unter innenpolitischem Druck - auch aus ihrer eigenen Koalition. Zwei bis drei Stunden täglich habe sie sich mit griechischen Krisen zu befassen, hat sie einmal gesagt. Immer wieder kamen aus den Reihen der FDP Forderungen, zur Not müsse Griechenland in die Insolvenz gehen. Frau Merkel hat das stets abgelehnt. Schon zu Beginn der Krise sagte sie: „Wir sollten Griechenland nicht pleite gehen lassen.“ Die Märkte würden „verrückt“ spielen. Entsprechend sagte sie bei passender Gelegenheit dem amerikanischen Präsidenten Obama: „Ich werde Griechenland nicht zu einem zweiten Lehman-Brothers machen.“
Gleichwohl: Frau Merkel tat sich zunehmend schwer, bei den erforderlichen Abstimmungen im Bundestag die sogenannte Kanzlermehrheit zustande zu bringen. Euro-Skeptiker aus der CSU mobilisierten gegen Griechenland, und selbst Vizekanzler Philipp Rösler von der FDP spekulierte noch im Sommer über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, und noch am Vorabend ihrer Reise gab es Äußerungen aus der Union, Frau Merkel müsse den Griechen einmal richtig die Leviten lesen: Tacheles reden. Noch am Vorabend ihrer Reise hatte Frau Merkel auf der CDU-Regionalkonferenz in Düsseldorf die Stimmung ihrer eigenen Partei erfahren. Es solle Mut gefasst werden, Griechenland aus dem Euroraum zu drängen, hieß es dort. Angela Merkel widersprach und hatte zu erklären.

Presseschelte vom Regierungssprecher

Begleitet wurde die Bundeskanzlerin von Hans-Joachim Fuchtel. Fuchtel ist Parlamentarischer Staatssekretär im Arbeitsministerium. Doch die Reise nach Athen unternahm er in seiner Funktion als Beauftragter der Bundeskanzlerin für die Deutsch-Griechische Versammlung. Frau Merkel hatte Fuchtel während der Regierungsbildung 2009 dazu ernannt und seitdem kümmert sich der baden-württembergische CDU-Politiker wie keiner sonst in der Bundesregierung um die Verbesserung der Beziehungen an der Basis: Bürgermeister und Landräte beider Staaten werden zusammengeführt. 81 Fernsehinterviews habe er mittlerweile gegeben, kann Fuchtel erzählen. Er scheint beliebt zu sein in Griechenland.
Einiges war vorbereitet worden - zuletzt im August, als Samaras die Bundeskanzlerin in Berlin besucht hatte. Würdigungen wie jetzt in Athen hatte es da schon gegeben. Angela Merkel: Der Euro ist mehr als nur eine Währung; Zusagen müssen erfüllt werden; Griechenland soll im Euro bleiben; Deutschland will dabei helfen; es gibt noch viel zu tun. Antonis Samaras: Wir sind dabei, Defizite abzubauen; wir sind ein stolzes Volk; Griechenland braucht die Chance zu Wachstum und Entwicklung; niemand ist unschuldig. Die Dramatik der Dinge daheim hatte Samaras in einem in Deutschland erschienenen Zeitungsgespräch beschrieben: Ohne baldige Hilfen sei Griechenland im November zahlungsunfähig. Und die Lage seines Landes verglich er mit jener in Deutschland zum Ende der Weimarer Republik. Das Verhältnis zwischen Frau Merkel und Samaras war nicht von Anfang an gut. Der Chef der griechischen Schwesterpartei der CDU hatte seinen Wahlkampf mit widerständigen Äußerungen gegen den in der Eurozone verabredeten Sparkurs geführt. Steuererhöhungen beispielsweise hatte er abgelehnt. Nicht ohne Grund hatte sich Frau Merkel nicht in seinem Wahlkampf engagiert. Mittlerweile scheint sich einiges zum Besseren entwickelt zu haben. In der Bundesregierung gibt es die Auffassung, Samaras gehe Strukturreformen in seinem Land beherzter an als sein sozialistischer Vorgänger.
Dass 24 Stunden vor ihrem Eintreffen in Athen der zeitliche Ablauf des Programms dieser Tagesreise noch nicht festgestanden hatte, mag Ausdruck der komplizierten deutsch-griechischen Verhältnisse sein. Extrem kurz ist für die Chefs der beiden Protokolle die Zeit gewesen, das Besuchsprogramm in die angemessene Form zu bringen. Mit Verwunderung nahm das Kanzleramt in Berlin zur Kenntnis, welche Erwartungen in Athen geschürt wurden: mehr Geld, mehr Zeit. Ausnahmsweise ließ sich Steffen Seibert, der Sprecher der Bundesregierung, zur Presseschelte hinreißen. Was in Griechenland alles so veröffentlicht werde, entspringe oft der Phantasie der Autoren, sagte er. „Wird Merkel zwinkern?“, hatte eine Schlagzeile gelautet. Aus griechischer Sicht mag Frau Merkel gezwinkert haben. Vielfach wiederholte sie, sie wünsche sich dass Griechenland in der Eurozone bleibe. Es klang wie eine Festlegung.
Quelle: F.A.Z.

 http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/merkel-in-athen-freundschaft-und-andere-probleme-11919912.html

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen