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Montag, 1. Oktober 2012

Nun haben sich im Fall von Griechenland die Regierungen der Euroländer und die Europäische Zentralbank (EZB) aber untereinander darauf geeinigt, dass sie selbst Gläubiger ersten Ranges sind. Damit sind wir automatisch zu einem nachrangigen Gläubiger geworden. Eine solche Veränderung der Gläubigerrangfolge im Nachhinein ist für uns nicht akzeptabel

Yngve Slyngstad, norwegischer Staatsfonds „Die Umschuldung Griechenlands war eine unglückliche Entscheidung“

09.05.2012 ·  Norwegens Ölfonds ist einer der größten Investoren der Welt. Wegen der Unsicherheit über den Euro schichtet er seine Anlagen um. Der Chefverwalter beklagt den Mangel an verlässlichen Regeln im Umgang mit der Schuldenkrise.
Der Ölfonds macht Norwegen zum reichen Onkel von Europa. Warum nehmen Sie Ihren armen Neffen und Nichten im Süden jetzt das Geld weg?
Die Beschreibung passt schon deshalb nicht, weil wir ja ein viel jüngeres Land als die meisten anderen sind. Aber was zurzeit im Euroraum geschieht, beunruhigt uns. Während der ersten Jahre seines Bestehens waren 60 Prozent des Anleihe- und 50 Prozent des Aktienvermögens unseres Staatsfonds in Europa investiert. Doch gerade mit Blick auf das Anleiheportefeuille sind wir jetzt besorgt. Denn wir verwalten das Vermögen unserer Enkelkinder. Deshalb sind für uns sichere Investitionen besonders wichtig - gerade bei den Staatsanleihen. Die jüngste Entscheidung, die wir in dieser Hinsicht für sehr unglücklich hielten, war die Umschuldung Griechenlands.
Was genau kritisieren Sie daran?
Zunächst ist es sehr problematisch, dass institutionelle Gläubiger aus dem Euroraum Vorrang vor privaten Investoren erhalten haben. Wenn eine Bank zum Beispiel eine private Immobilienfinanzierung prüft, wird sie zuerst nach der Rangfolge ihrer Ansprüche fragen. Nun haben sich im Fall von Griechenland die Regierungen der Euroländer und die Europäische Zentralbank (EZB) aber untereinander darauf geeinigt, dass sie selbst Gläubiger ersten Ranges sind. Damit sind wir automatisch zu einem nachrangigen Gläubiger geworden. Eine solche Veränderung der Gläubigerrangfolge im Nachhinein ist für uns nicht akzeptabel - auch wenn wir wissen, wie schwierig die Situation ist. Hier geht es ums Prinzip. Zweitens kritisieren wir die rückwirkend in Kraft getretenen Bestimmungen der sogenannten „Collective Action Clauses“. Denn wenn erst einmal bindende Verträge aufgelöst worden sind, wie können wir da wissen, ob in Zukunft nicht auch noch andere Verträge aufgelöst werden? Auch das ist für uns eine Grundsatzfrage. Gesetze im Nachhinein zu verändern halten wir für sehr unglücklich.
Wie nehmen es die anderen großen privaten Investoren auf, dass Sie sich so offen gegen den Schuldenschnitt aussprechen?
Ich habe den Eindruck, viele von ihnen halten es für angebracht, dass jemand eine grundsätzliche Haltung dazu eingenommen hat. Griechenland allein beschäftigt uns ja gar nicht so stark. Das Beunruhigende ist vielmehr, dass man anscheinend jeden Einzelfall dieser Krise separat lösen will, ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgen. Uns treibt die Frage um, nach welchen Regeln in anderen Staaten als Griechenland die nötigen Maßnahmen getroffen und welche Sicherheiten es künftig noch für private Investoren geben wird. Und weil wir glauben, dass die eingeschlagene Richtung für den Euroraum langfristig von Nachteil ist, haben wir unsere Kritik öffentlich gemacht.
Was wäre für den Ölfonds, den größten privaten Einzelinvestor in Europa, schlechter: eine Auflösung der Währungsunion oder eine Fortsetzung des eingeschlagenen Rettungskurses?
Die Lage ist so angespannt, dass wir mit solchen Aussagen sehr vorsichtig sind. Dazu hat die Frage eine zu große politische Dimension, die wir als Investor nicht beurteilen wollen. Wir können nicht einfach berechnen, was die Staatsschulden und die Banken in Europa wert sind, weil das von politischen Beschlüssen abhängt. Der Schuldenschnitt für Griechenland hat das deutlich gezeigt.
Wie viele Milliarden werden Sie als Konsequenz daraus noch aus dem Euroraum abziehen?
Ein solches Ziel würden wir nie bekanntgeben. Bislang haben wir den Anteil der in Euro begebenen Anleihen an unserem Anleiheportefeuille von knapp 50 Prozent auf 39 Prozent gesenkt, und wir senken ihn weiter. Auch das Volumen der in Euro gezeichneten Bankanleihen haben wir fast halbiert. Denn das Problem ist hier das gleiche wie bei den Staatsanleihen: Die EZB leiht den Banken Geld, erhält dafür Sicherheiten - und für die anderen Gläubiger bleibt entsprechend weniger übrig. Deshalb investieren wir in diesem Sektor nur noch in gedeckte Schuldverschreibungen. Das heißt zugleich, dass die europäischen Banken vor einer großen Herausforderung stehen: Werden sie künftig von privaten oder von öffentlichen Investoren finanziert werden?
Nach welchen Regeln sollte Ihrer Ansicht nach denn ein möglicher nächster Schuldenschnitt ablaufen?
Wir wurden von den europäischen Institutionen bislang nicht gefragt, unter welchen Voraussetzungen wir weiterhin in Staatsanleihen aus dem Euroraum investieren wollen. Dabei ist die Frage, was die privaten Investoren erwarten, doch durchaus relevant für Europa. Irgendwann wird man sich also zusammensetzen und darüber reden müssen, unter welchen Umständen private Investoren bereit sind, ihre Mittel zur Lösung der Staatsschuldenkrise einzusetzen. Sonst verschieben sich diese Schulden von den privaten zu den öffentlichen Gläubigern. Und gerade für Staaten mit soliden Finanzen wie Deutschland, Finnland und die Niederlande ist es gewiss nicht erstrebenswert, dass ihre Belastung auf diese Weise weiter zunimmt - sei es direkt oder indirekt über die EZB.
Steckt in Ihrem Strategiewechsel nicht auch ein Misstrauen der europäischen Wirtschaftskraft insgesamt gegenüber?
Nein. Aber es ist so, als ob so gut wie alle Länder im Euroraum Kredite in einer Fremdwährung ausgegeben hätten. Wir dachten, es handele sich um ihre eigene Währung, aber stattdessen hat sich gezeigt, dass der Euro eigentlich eine Fremdwährung für sie ist - und es ist nicht klar, wem diese Währung eigentlich gehört. Die Vereinigten Staaten etwa haben auch ein großes Defizitproblem, aber sie nehmen Kredite in ihrer eigenen Währung auf. Sie können also Geld drucken und ihre Kredite zurückzahlen. Die Währung verliert dadurch vielleicht an Wert, aber dass die Kredite nicht zurückgezahlt werden wie im Fall von Griechenland, ist sehr unwahrscheinlich. Der Fall ähnelt dem von Argentinien, das Anleihen in Dollar ausgegeben hatte, also in einer fremden Währung. So ist es nun auch mit den anderen Euroländern. Wer über diese Währung bestimmt, ist nicht eindeutig. Und das ist ein großes Problem.
Warum sind deutsche Staatsanleihen nicht die verlässliche Alternative, nach der Sie suchen?
Weil niemand weiß, wie groß der Anteil der Rechnung ist, den Deutschland einmal wird tragen müssen. Deshalb ist es schwierig, eine wirklich sichere Anlagemöglichkeit in Europa zu finden.
Deshalb wenden Sie sich jetzt nach Mexiko, Brasilien und Indien. Ist es dort wirklich sicherer als in Europa?
Früher war unsere Strategie, unser Anleiheportefeuille so auf die verschiedenen Währungen der Welt zu verteilen, dass es den insgesamt in diesen Währungen ausgegebenen Schuldverschreibungen entsprach. Deshalb halten wir traditionell sehr viele Anleihen in Dollar, Euro, Yen und Pfund, weil 90 Prozent der Staatsschulden auf der Welt in diesen vier Währungen aufgenommen werden. Jetzt wollen wir, mit einzelnen Ausnahmen, unsere Investitionen stattdessen proportional zum Bruttoinlandsprodukt der einzelnen Staaten auf die verschiedenen Währungen verteilen. Der Anteil der Euro-Anleihen soll folglich ungefähr so weit sinken, bis er dem Anteil des Euroraums am Bruttoinlandsprodukt der Welt entspricht.
Ihr Vertrauen in die europäische Wirtschaftskraft ist also doch geschwächt. Warum sonst sollten Sie jetzt nicht nur die Euro-Anleihen, sondern auch die Aktien europäischer Unternehmen auf den Prüfstand stellen?
Noch hat sich der Aktienanteil nicht verändert. Aber im Juni wird es eine Parlamentsdebatte darüber geben. Ich glaube, dass die derzeitige Entwicklung langfristig sogar positive Folgen für den europäischen Aktienmarkt und die europäischen Unternehmen haben kann. Es wird deutliche Restrukturierungen geben, einen schwächeren öffentlichen und einen stärkeren privaten Sektor - und ein größeres Bewusstsein dafür, wie wichtig eine wettbewerbsfähige Wirtschaft ist. Aber auch dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen dem Süden und dem Norden. In unserer Welt gehören Wirtschaftswachstum und solide Finanzen zusammen. Diese Auffassung ist umso weiter verbreitet, je weiter nach Norden man kommt - Finnland ist in diesem Punkt klarer als Deutschland, Schweden deutlicher als die Schweiz. Und am weitesten im Norden liegt in Europa eben Norwegen.
Das Gespräch führte Sebastian Balzter.
Quelle: F.A.Z.

 http://www.faz.net/aktuell/finanzen/anleihen-zinsen/yngve-slyngstad-norwegischer-staatsfonds-die-umschuldung-griechenlands-war-eine-unglueckliche-entscheidung-11745616.html

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